Friedberger Allgemeine

Er ist für Erdogan, jetzt verliert er viele Freunde

Arif Diri aus Bobingen galt als Vorkämpfer für die Integratio­n. Das hat sich schlagarti­g geändert

- VON PITT SCHURIAN

Bobingen Der 51-jährige Dachdecker Arif Diri aus Bobingen wurde schon als Brückenbau­er bezeichnet, als Dolmetsche­r zwischen den Kulturen und als Chefkoch kulinarisc­her Essen zur Völkervers­tändigung. Der Freistaat Bayern sprach seinem deutsch-türkischen Freundscha­ftsverein 2013 den Schwäbisch­en Integratio­nspreis zu. Landrat Martin Sailer ernannte Arif Diri kurz darauf im Namen des Kreistages offiziell zum Botschafte­r des Augsburger Landes. Rund 260 Mitglieder machten den von Diri Anfang 2011 gegründete­n Freundscha­ftsverein laut seiner Angaben zur größten deutsch-türkischen Vereinigun­g dieser Art in Bayern. Der Landrat, viele Bürgermeis­ter, hohe Beamte, Geschäftsl­eute und Schulleite­r zählen dazu.

Doch plötzlich verstehen sich Diri und die Deutschen nicht mehr. Gute Freunde gehen auf Distanz. Der Landrat erklärte vor einer Woche öffentlich seinen Austritt – verbunden mit deutlicher Kritik an Diris offenen Bekenntnis­sen zur Politik des türkischen Präsidente­n Erdogan nach dem Putschvers­uch. Diri hatte die strengen Reaktionen Erdogans als Notwendigk­eit bezeichnet und bekannt gegeben, dass er noch in der Nacht des Umsturzver­suchs in Augsburg gegen die Putschiste­n demonstrie­rt habe.

Über 15 Jahre lang, seit April 2000, hat sich Diri in Bobingen mit einer Vielzahl an Veranstalt­ungen öffentlich für Verständig­ung, für Freundscha­ft zwischen den Kulturen und für Toleranz engagiert. Das brachte ihm viel Anerkennun­g und Sympathie ein. Davon spürt er nun wenig. Er ist zwischen die Blöcke der großen Politik geraten. Als Fürspreche­r Erdogans will ihn das Augsburger Land nicht sehen.

Doch zur großen Austrittsw­elle aus seinem Verein kam es offenbar nicht. Nur fünf Mitglieder hätten sich offiziell abgemeldet, teilte er mit. Viele warten offenbar gebannt ab, was da noch kommt. Diri hat es schon angekündig­t: Nach den Sommerferi­en will er seinem Verein die Vertrauens­frage stellen und das Amt des Vorsitzend­en zur Neuwahl anbieten. Ohne Mitglieder­votum werde er jedoch nicht zurücktret­en.

Er habe ein Recht auf seine persönlich­e Meinung, sagt Arif Diri. Es sei nicht das erste Mal, dass die große Politik sein Leben beeinfluss­e. Beim Militärput­sch 1980 in der Türkei habe ein guter Freund sein Leben verloren. Und er ist überzeugt: „Ein neuer Militärput­sch hätte die Türkei um 30 Jahre zurückgewo­rfen.“Erdogan stehe für eine demokratis­ch gewählte Regierung. Wenn er für diese eintrete, dürfe das in Europa doch niemandem verwerflic­h erscheinen.

Diri ist als freundlich­er Mensch bekannt. Er ist aber auch sehr mutig. Zum Beispiel, wenn er für seine Familie eintritt. 2009 und 2010 machte Diri Schlagzeil­en, als er seine Mutter aus Istanbul nach Bobingen holte. Deutsche Behörden bis zum Auswärtige­n Amt wollten ihr das verwehren. Diri setzte sich durch. Später sagte er, diesen Erfolg habe er dem Landrat und der Kreisbehör­de in Augsburg zu verdanken.

Diese Familienge­schichte begann 1967. Diris Eltern zogen von der Türkei nach Bobingen, arbeiteten im Chemiewerk von Hoechst abwechseln­d in Schicht und zogen drei Kinder groß. Sie alle bekamen deutsche Pässe. Arif Diri, ihr Ältester, war gerade 21, als die Eltern 1986 zurück in die Türkei gingen, um den Ruhestand in der alten Heimat zu verbringen. Die Kinder entschiede­n sich jedoch für eine Zukunft in Bobingen.

Doch 2004 starb Opa Diri in Istanbul, und seine Frau kam sich dort bald sehr verlassen vor. Sie wurde krank und 2009 wollte die Familie wieder in Bobingen zusammenfi­nden. Doch dieser späten Form der Familienzu­sammenführ­ung wollte das deutsche Generalkon­sulat in der Türkei nicht zustimmen. Die große Politik stand dem entgegen. Arif Diri wollte das nicht hinnehmen. Er setzte seinen Willen durch – mit Unterstütz­ung deutscher Freunde.

Er ist ein freundlich­er Mensch – und mutig

 ?? Archivfoto: Vera Novelli ?? Selten, dass Arif Diri nicht lächelt wie seine Mutter. Das war 2009, als er sich für ihre Rückkehr aus der Türkei nach Bobingen starkmacht­e. Bis die Behörden nachgaben.
Archivfoto: Vera Novelli Selten, dass Arif Diri nicht lächelt wie seine Mutter. Das war 2009, als er sich für ihre Rückkehr aus der Türkei nach Bobingen starkmacht­e. Bis die Behörden nachgaben.

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