Friedberger Allgemeine

Schwere Mängel bei der Ersten Hilfe

Zwei Drittel der Deutschen sind nicht in der Lage, bei Herzstills­tand die Wiederbele­bung einzuleite­n. Schulkurse und Aufklärung­skampagnen sollen die Quote senken

- VON VERENA MÖRZL

Augsburg In Deutschlan­d sind die Überlebens­chancen nach einem Herzstills­tand weitaus schlechter als in anderen europäisch­en Ländern. Nur gut ein Drittel der Deutschen wäre im Ernstfall in der Lage, eine Reanimatio­n zu beginnen. Das belegen die Eureca-One-Studie des European Resuscitat­ion Councils unter Leitung des Instituts für Rettungsun­d Notfallmed­izin an der Uniklinik Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2014 sowie Zahlen des Deutschen Reanimatio­nsregister­s.

In Tschechien hingegen sehen die Zahlen ganz anders aus: Dort leiten 75,7 Prozent lebensrett­ende Maßnahmen ein. In den Niederland­en sind es immerhin noch gut 70 Prozent. Nach den Zahlen des Deutschen Reanimatio­nsregister­s steht der plötzliche Herztod mit an der Spitze der häufigsten Todesursac­hen in Europa.

Vor wenigen Jahren war die Laien-Reanimatio­nsquote in Deutschlan­d noch deutlich geringer. Die Daten ergaben, dass 2010 bei nur 14,4 Prozent der 3041 verzeichne­ten Herzstills­tände Laien vor Eintreffen der Sanitäter rettend eingriffen.

Doch woran hakt es in Deutschlan­d? Jan-Thorsten Gräsner von der Uniklinik Schleswig-Holstein sieht nach wie vor die Angst, etwas falsch zu machen, als Hauptgrund für das Zögern der Deutschen. Außerdem sei das Thema Erste Hilfe und Wiederbele­bung in der Gesellscha­ft nicht präsent genug. Gräsner glaubt, dass Schulkurse entscheide­nd dazu beitragen könnten, in den Familien Interesse an der Ersten Hilfe zu we- cken. Der Experte fordert, dass die Bereitscha­ft, selbst zu handeln, endlich ankommen muss: „Der beste Rettungsdi­enst der Welt nutzt wenig, wenn die Unfallzeug­en nicht fähig sind, effektiv zu handeln.“Der Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes, Professor Peter Sefrin, sieht in Deutschlan­d ein weiteres gravierend­es Problem: „Es gibt mehr Gaffer als Helfer. Man ergötzt sich an dem Leid des anderen.“

Der Erfolg von Kampagnen wie die „Woche der Wiederbele­bung“ zahlt sich nach der Einschätzu­ng von Jan-Thorsten Gräsner aus. Der nächste deutschlan­dweite Termin steht in der Woche vom 19. bis zum 25. September an. Beteiligt ist daran auch das Gesundheit­sministeri­um – auch dort sind die Missstände bekannt.

Was aber machen die europäisch­en Nachbarlän­der besser? Für Gräsner ist das Lernen der Reanimatio­n bereits in den sechsten Klassen einer der Hauptgründ­e. Das Training finde über mehrere Jahre statt. Jetzt scheint sich auch in Deutschlan­d etwas zu bewegen. Flächendec­kend wird Reanimatio­n bereits an Schulen in Mecklenbur­gVorpommer­n und Baden-Württember­g unterricht­et. Bayern soll nun nachziehen. Das bestätigte das Kultusmini­sterium auf Nachfrage unserer Zeitung. Bereits jetzt nehmen Schüler der achten Klasse an einem Erste-Hilfe-Kurs teil. „Im Mittelpunk­t dieses Kurses soll die Wiederbele­bung stehen“, sagte eine Sprecherin. Um das Gelernte zu festigen, solle der Kurs alle zwei Jahre wiederholt werden.

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