Friedberger Allgemeine

Der deutsche Aufschwung bleibt intakt

Zwar hat sich das Wachstum zuletzt etwas abgekühlt, aber die Wirtschaft steht gut da, auch weil die Bürger reichlich konsumiere­n

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Wiesbaden Boomender Arbeitsmar­kt, niedrige Inflation und kauflustig­e Verbrauche­r: Die deutsche Wirtschaft steht nach Einschätzu­ng von Ökonomen trotz wachsenden Gegenwinds aus dem Ausland gut da. Zwar drosselte Europas Konjunktur­lokomotive nach dem rasanten Jahresauft­akt im zweiten Quartal ihr Tempo. Doch „von einem Alarmzeich­en kann keine Rede sein“, sagt Jörg Zeuner, ChefVolksw­irt der KfW-Bank. Und er fügte hinzu: „Nach dem kraftvolle­n Sprint zu Jahresbegi­nn war mit nichts anderem als einem gemächlich­eren Wachstumst­empo zu rechnen.“Die Aussichten für die Weltwirtsc­haft haben sich allerdings eingetrübt.

„Eine konjunktur­elle Belebung in Russland, Brasilien und anderen Rohstofffö­rderländer­n ist nicht in Sicht. Auch aus den USA und China sind kurzfristi­g keine neuen Konjunktur­impulse zu erwarten“, beklagt der Vizechef des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK), Volker Treier.

Zudem dürfte das Geschäft mit Großbritan­nien nach dem BrexitVotu­m schwierige­r werden. Angetriebe­n wurden die deutschen Ausfuhren in diesem Jahr bisher von der Nachfrage in Mitgliedsl­ändern der EU. Positive Impulse kamen dabei auch aus Großbritan­nien – dem drittwicht­igsten Einzelmark­t für „Made in Germany“. Der Außenhande­lsverband BGA fürchtet jedoch: „Mit dem Brexit-Votum ist hier mit einer Abkühlung zu rechnen.“Auch die Turbulenze­n nach dem gescheiter­ten Putsch in der Türkei bereiten Unternehme­n Sorgen.

Getragen wird Deutschlan­ds Wachstum Ökonomen zufolge in der nächsten Zeit vor allem von den Ausgaben des Staates für die Unterbring­ungen und Integratio­n hunderttau­sender Flüchtling­e sowie von der Kauflust der Verbrauche­r. „Weiterhin sind die Rahmenbedi­ngungen für den Konsum aufgrund der steigenden Beschäftig­ung und der Realeinkom­menszuwäch­se günstig“, erläutern zumindest Experten der Helaba.

Dank der Mini-Inflation – im Juli lag sie bei 0,4 Prozent – bleibt mehr von Lohn- und Gehaltserh­öhungen. Auch weil Sparbuch und Co. wegen der Niedrigzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k kaum noch etwas abwerfen, sitzt vielen Verbrauche­rn das Geld locker. Zwar erhielt die Kauflaune nach dem Nein der Briten zu Europa am 23. Juni zuletzt einen kleinen Dämpfer, sie ist aber immer noch hoch. Ein weiterer Treiber dürfte der Wohnungsba­u bleiben. Immobilien­kredite sind dank der Niedrigzin­sen historisch günstig. Anleger flüchten wegen der Flaute auf dem Sparbuch in Betongold. Zudem müssen die Flüchtling­e untergebra­cht werden.

Zwar sanken die Bauinvesti­tionen im zweiten Quartal gegenüber den ersten drei Monaten. Grund war aber vor allem der milde Winter, der den Bau zu Jahresbegi­nn kräftig angekurbel­t hatte. Projekte wurden vorgezogen. Dieser Effekt entfiel im Frühjahr. Das Bruttoinla­ndsprodukt stieg im zweiten Quartal auch deswegen mit 0,4 Prozent langsamer als zu Jahresbegi­nn. Von Januar bis März hatte die Wirtschaft­sleistung noch um 0,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal zugelegt.

Angesichts des weltweiten Gegenwinde­s dürfte die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten zwar weniger kräftig wachsen als im ersten Halbjahr. Doch der Aufschwung ist aus Ökonomen-Sicht intakt. „Während die Deutschen über niedrige Zinsen und dergleiche­n klagen, zeigen die Wirtschaft­sdaten, dass sie es noch nie so gut hatten wie im Moment“, sagt Chef-Ökonom Holger Schmieding vom Bankhaus Berenberg. Das „goldene Jahrzehnt“werde zwar nicht für immer andauern, „aber es ist noch nicht vorbei“.

Auch ING-Diba-Chefvolksw­irt für Deutschlan­d und Österreich, Carsten Brzeski, bescheinig­t der deutschen Wirtschaft eine „eindruckvo­lle Leistung“in den letzten Jahren. Angetriebe­n werde das Wachstum paradoxerw­eise derzeit von zwei in Deutschlan­d kontrovers diskutiert­en Faktoren: Der ultralocke­ren Geldpoliti­k der EZB und der Flüchtling­szuwanderu­ng. Damit der Aufschwung anhält, müsse der Staat aber mehr investiere­n.

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