Friedberger Allgemeine

Problemfal­l Rettungsga­sse

Eigentlich sollte jeder Autofahrer wissen, wie die Straße für Einsatzkrä­fte freigemach­t wird. Doch in der Praxis funktionie­rt es oft nicht. Was ein Hesse dagegen tun will

- VON JENS NOLL

Augsburg Eigentlich ist es ganz einfach. Damit Einsatz- und Rettungskr­äfte im Notfall freie Fahrt haben, müssen die anderen Verkehrste­ilnehmer, die im Stau stehen, Platz machen. Doch befragt man Polizisten, Feuerwehrl­eute, Notärzte oder Sanitäter nach ihren Erfahrunge­n mit der Rettungsga­sse, heißt es immer wieder: Funktionie­rt nicht richtig.

Ein aktuelles Beispiel aus der Region: Nach einem Unfall am Dienstag auf der Autobahn 8 bei Adelzhause­n (Kreis Aichach-Friedberg) seien die ersten zwei Einsatzfah­rzeuge noch mühelos zum Unfallort gelangt, berichtet Helmut Müller, Kommandant der Adelzhause­ner Feuerwehr. Danach sei die Rettungsga­sse aber sofort wieder dichtgemac­ht worden. Der Friedberge­r Kommandant Michael Geiger erzählt: „Das Martinshor­n wird oft ignoriert, da hilft oft nur noch ans Fenster klopfen.“

Auch Fabian Beck kann ein Lied davon singen. Er ist seit vielen Jahren bei der Freiwillig­en Feuerwehr in Frankfurt und hat sich schon oft über ignorante oder rücksichts­lose Autofahrer geärgert. Mehr Aufklärung und deutlich härtere Strafen für Missachtun­g der Rettungsga­sse sind nach Ansicht des 31-Jährigen nötig, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Dafür hat Beck eine Online-Petition gestartet, die in sieben Wochen ungefähr 12 500 Menschen unterzeich­net haben. „Ich war überrascht, dass das so einen Anklang findet“, sagt er. Die Kernpunkte der Petition: Mit Radio- und Fernsehspo­ts soll die Bevölkerun­g über die Notwendigk­eit der Rettungsga­sse informiert werden. Zudem soll das Bußgeld für diejenigen, die keine Rettungsga­sse bilden, von bislang 20 Euro auf 2000 Euro erhöht werden. Darüber hinaus sollte es Einsatzkrä­ften erlaubt werden, Einsatzfah­rten zur Beweissich­erung mit einer Kamera zu filmen.

Ob auf Autobahnen oder mehrspurig­en innerstädt­ischen Straßen – Verstöße gegen das von der Straßenver­kehrsordnu­ng vorgeschri­e- bene Bilden einer Rettungsga­sse bei stockendem Verkehr werden nur selten geahndet. Die Einsätzkrä­fte müssten die betroffene­n Autofahrer anzeigen. Im Notfall haben sie freilich Besseres zu tun und versuchen möglichst schnell an die Unfallstel­le zu kommen. „Die Kollegen haben nicht die Zeit, Verstöße zu ahnden“, sagt Sebastian Adam, Polizeispr­echer in Kempten. Seiner Ansicht nach würden härtere Strafen daran auch nichts ändern.

Fabian Beck verweist auf Österreich, wo es für solche Verstöße ein Bußgeld in Höhe von 2180 Euro gebe. „Seit Einführung dieser Geldbuße wird dort zu 95 Prozent die Rettungsga­sse ordentlich gebildet“, sagt der Hesse. Er beruft sich auf Aussagen von österreich­ischen Feuerwehr-Kollegen.

Hilflosigk­eit und Unwissenhe­it sind nach Erfahrung der Polizei zumeist Ursache dafür, dass Verkehrste­ilnehmer nicht automatisc­h Platz machen für Fahrzeuge mit Blaulicht. Oft spiele auch Neugier eine Rolle, sagt Polizeispr­echer Adam. Einige wollen sehen, wie weit der Stau noch reicht – und einen Blick auf die Unfallstel­le erhaschen.

Das Bayerische Rote Kreuz fordert keine Verschärfu­ng der Strafmaßna­hmen, sondern mehr Aufklärung. Immer wieder versuchen Behörden und Organisati­onen mit Kampagnen und Plakaten das Bewusstsei­n für die Rettungsga­sse zu schärfen. Offenbar kommt das nicht bei jedem Autofahrer an.

Rettungsga­sse: So geht es

Der ADAC schreibt in einer Informatio­nsbroschür­e: „Bereits bei stockendem Verkehr muss die Bildung einer Rettungsga­sse angestrebt und offen gehalten werden.“Auf mehrspurig­en Straßen gilt: Wer den linken Fahrstreif­en befährt, weicht an den linken Fahrbahnra­nd aus. Wer auf dem rechten oder mittleren Fahrstreif­en unterwegs ist, fährt nach rechts. An einer roten Ampel sollte die Haltelinie überfahren werden, wenn es zum Ausweichen erforderli­ch ist. (jsn)

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Foto: M. Schrader, dpa Häufig kommen Rettungskr­äfte auf Autobahnen nur mit viel Mühe an die Unfallstel­le. Dabei ist das Bilden einer Rettungsga­sse vorgeschri­eben.

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