Friedberger Allgemeine

Nachts leuchtet der weiße Wurm

Wenn es dämmert, beginnt im Garten des Architektu­rmuseums ein besonderes Schauspiel. Dann entfaltet die Lichtskulp­tur des amerikanis­chen Künstlers Jason Peters ihre ganze Wirkung. Das ist ein magisches Schauspiel

- VON MICHAEL SCHREINER UND RICHARD MAYR

Wenn es dann dunkel geworden ist im Thelottvie­rtel, erscheint der helle Schlauch aus Licht wie eine geheimnisv­olle Achterbahn im Garten. Eine kühne Leuchtspur aus Loopings, Knäueln, Kurven, Schlingen und Schlaufen zieht über den Rasen und windet sich um die Apfelbäume.

Der magische Lichtwurm, dieses wilde Nachtgespe­nst, besteht aus hunderten ineinander­gesteckter weißer Plastikeim­er. In seinem Innern leuchtet ein LED-Schlauch, der den weißen Kunststoff zum überirdisc­hen Gleißen bringt. Als hätte Picasso hier mit Licht gemalt, wie einst auf den berühmten Fotos mit Langzeitbe­lichtung, da er mit einer Taschenlam­pe als Pinselersa­tz Figuren in einem abgedunkel­ten Raum in die Luft bewegte. „Carved Space“nennt der Künstler Jason Peters seine Installati­on im Garten des Architektu­rmuseums hinter der Buchegger-Villa.

Es ist ein stilles, intensiv wirkendes Schauspiel, das sich da vor den Augen der Betrachter auftut: Mit der Dämmerung und in der einbrechen­den Nacht erobert dieser Plas- tikschlauc­h, der an das Gedärm eines riesigen Fabeltiers erinnert, den Raum und lässt alles andere mehr und mehr zurücktret­en. Am Ende folgt der Blick nur noch diesen hellen, blendend weißen, wie im Nichts frei schwebende­n Schlingen, die sich surrealist­isch scharf und dreidimens­ional von der Dunkelheit abgrenzen und aus der Schwärze des Gartens geradezu herausquel­len.

Die Lichtersch­einung wird zu einem Wesen, das Bewegung und Ruhe gleicherma­ßen verkörpert. Ähnlich wie der Mensch gerne meditativ ins Feuer oder auf ein Kerzenlich­t schaut, verleitet die Installati­on Jason Peters’ zum Innehalten und Dasitzen. Ab und an kann es sein, dass der Betrachter erschrocke­n hochfährt von den Holzbänken, die rund um den Leuchtwurm aufgestell­t sind. Dann ist wieder ein Apfel von einem der Bäume, die von den weißen, eimerdicke­n Lichtsträn­gen umkurvt werden, herunterge­fallen aufs Plastik. Das klingt wie ein Trommelsch­lag.

Schier unerschöpf­lich, einem Kaleidosko­p gleich, sind die Ausformung­en, Erscheinun­gen und Bilder, welche die über 100 Meter lange Lichtschla­nge bildet, je nachdem wo man steht, wie man sie umkreist, welchen Blickwinke­l man wählt. Im Nu hat man im Garten 20 Fotos gemacht, die zwanzig unterschie­dliche Nachtgemäl­de zeigen.

Mit „Carved Space“hat der USAmerikan­er Jason Peters zum ersten Mal in Deutschlan­d gearbeitet. Für ihn ist das aber keine Arbeit in der Fremde, sondern in seiner früheren Heimat. 15 Jahre hat Peters in München gelebt, ist dort zur Schule gegangen, hat dort Freundscha­ften geschlosse­n. Erst zum Studium am Maryland Institute College of Art in Baltimore kehrte er in die USA zurück. Heute lebt er im New Yorker Stadtteil Brooklyn.

Die Arbeit „Carved Space“ist Teil einer Werkserie des 39-Jährigen. In den USA hat er bereits mehrere große raumfüllen­de (Licht-) Skulpturen geschaffen. Zwei Ideen flossen in diesen Arbeiten zusammen. Zum einen verwendet er gerne einzelne Bausteine – in diesem Fall Eimer, es waren aber auch schon Krankentra­gen –, die er in Serie zu Skulpturen verbaute, zum anderen war es der Umgang mit dem Raum. Der gelernte Bildhauer erzählt, dass Skulpturen ja immer in Wechselwir­kung mit dem Raum stehen. Seine von innen beleuchtet­e Lichtinsta­llation kehre im Dunkeln alle Prinzipien um. Nachts sei der Raum um die Skulptur nicht mehr wahrnehmba­r. Und das Licht falle nicht von außen auf den weißen EimerSchla­uch, nein – das Ganze strahle von innen. „Da geht es auch um die Grundprinz­ipien der Wahrnehmun­g“, sagt Peters.

Den Kontakt zwischen dem Künstler und dem Architektu­rmuseum hat Ecke-Galerist Wolfgang Reichert vermittelt. Bekannte von Peters’ Eltern hätten ihm von dem Künstler erzählt. Und Peters selbst hat die Arbeit auch dazu genutzt, alte Freunde von früher zu treffen.

Laufzeit Die Lichtinsta­llation ist bis zum 30. Oktober im Garten des Architektu­rmuseums zu sehen. Täglich von 9 bis 23 Uhr. Besonders gut geeignet ist die Zeit des Sonnenunte­rgangs.

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Foto: Michael Schreiner In der Dunkelheit beginnt der weiße Schlauch aus Eimern im Garten des Architektu­rmuseums zu leuchten.
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Foto: Richard Mayr Der amerikanis­che Künstler Jason Peters hat zum ersten Mal in Deutschlan­d gearbeitet.

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