Nachts leuchtet der weiße Wurm
Wenn es dämmert, beginnt im Garten des Architekturmuseums ein besonderes Schauspiel. Dann entfaltet die Lichtskulptur des amerikanischen Künstlers Jason Peters ihre ganze Wirkung. Das ist ein magisches Schauspiel
Wenn es dann dunkel geworden ist im Thelottviertel, erscheint der helle Schlauch aus Licht wie eine geheimnisvolle Achterbahn im Garten. Eine kühne Leuchtspur aus Loopings, Knäueln, Kurven, Schlingen und Schlaufen zieht über den Rasen und windet sich um die Apfelbäume.
Der magische Lichtwurm, dieses wilde Nachtgespenst, besteht aus hunderten ineinandergesteckter weißer Plastikeimer. In seinem Innern leuchtet ein LED-Schlauch, der den weißen Kunststoff zum überirdischen Gleißen bringt. Als hätte Picasso hier mit Licht gemalt, wie einst auf den berühmten Fotos mit Langzeitbelichtung, da er mit einer Taschenlampe als Pinselersatz Figuren in einem abgedunkelten Raum in die Luft bewegte. „Carved Space“nennt der Künstler Jason Peters seine Installation im Garten des Architekturmuseums hinter der Buchegger-Villa.
Es ist ein stilles, intensiv wirkendes Schauspiel, das sich da vor den Augen der Betrachter auftut: Mit der Dämmerung und in der einbrechenden Nacht erobert dieser Plas- tikschlauch, der an das Gedärm eines riesigen Fabeltiers erinnert, den Raum und lässt alles andere mehr und mehr zurücktreten. Am Ende folgt der Blick nur noch diesen hellen, blendend weißen, wie im Nichts frei schwebenden Schlingen, die sich surrealistisch scharf und dreidimensional von der Dunkelheit abgrenzen und aus der Schwärze des Gartens geradezu herausquellen.
Die Lichterscheinung wird zu einem Wesen, das Bewegung und Ruhe gleichermaßen verkörpert. Ähnlich wie der Mensch gerne meditativ ins Feuer oder auf ein Kerzenlicht schaut, verleitet die Installation Jason Peters’ zum Innehalten und Dasitzen. Ab und an kann es sein, dass der Betrachter erschrocken hochfährt von den Holzbänken, die rund um den Leuchtwurm aufgestellt sind. Dann ist wieder ein Apfel von einem der Bäume, die von den weißen, eimerdicken Lichtsträngen umkurvt werden, heruntergefallen aufs Plastik. Das klingt wie ein Trommelschlag.
Schier unerschöpflich, einem Kaleidoskop gleich, sind die Ausformungen, Erscheinungen und Bilder, welche die über 100 Meter lange Lichtschlange bildet, je nachdem wo man steht, wie man sie umkreist, welchen Blickwinkel man wählt. Im Nu hat man im Garten 20 Fotos gemacht, die zwanzig unterschiedliche Nachtgemälde zeigen.
Mit „Carved Space“hat der USAmerikaner Jason Peters zum ersten Mal in Deutschland gearbeitet. Für ihn ist das aber keine Arbeit in der Fremde, sondern in seiner früheren Heimat. 15 Jahre hat Peters in München gelebt, ist dort zur Schule gegangen, hat dort Freundschaften geschlossen. Erst zum Studium am Maryland Institute College of Art in Baltimore kehrte er in die USA zurück. Heute lebt er im New Yorker Stadtteil Brooklyn.
Die Arbeit „Carved Space“ist Teil einer Werkserie des 39-Jährigen. In den USA hat er bereits mehrere große raumfüllende (Licht-) Skulpturen geschaffen. Zwei Ideen flossen in diesen Arbeiten zusammen. Zum einen verwendet er gerne einzelne Bausteine – in diesem Fall Eimer, es waren aber auch schon Krankentragen –, die er in Serie zu Skulpturen verbaute, zum anderen war es der Umgang mit dem Raum. Der gelernte Bildhauer erzählt, dass Skulpturen ja immer in Wechselwirkung mit dem Raum stehen. Seine von innen beleuchtete Lichtinstallation kehre im Dunkeln alle Prinzipien um. Nachts sei der Raum um die Skulptur nicht mehr wahrnehmbar. Und das Licht falle nicht von außen auf den weißen EimerSchlauch, nein – das Ganze strahle von innen. „Da geht es auch um die Grundprinzipien der Wahrnehmung“, sagt Peters.
Den Kontakt zwischen dem Künstler und dem Architekturmuseum hat Ecke-Galerist Wolfgang Reichert vermittelt. Bekannte von Peters’ Eltern hätten ihm von dem Künstler erzählt. Und Peters selbst hat die Arbeit auch dazu genutzt, alte Freunde von früher zu treffen.
Laufzeit Die Lichtinstallation ist bis zum 30. Oktober im Garten des Architekturmuseums zu sehen. Täglich von 9 bis 23 Uhr. Besonders gut geeignet ist die Zeit des Sonnenuntergangs.