Brecht ist tot, Brecht ist unsterblich
Der große Dichter und Dramatiker starb am 14. August 1956 in seiner Wohnung in Berlin an den Folgen eines Herzinfarkts. Sein Werk zeigt bis heute erstaunliche Aktualität. Neue Bücher zum Gedenktag
Bertolt Brecht ist tot, seit 60 Jahren. Gestorben am 14. August 1956 um 23.45 Uhr in seiner Berliner Wohnung Chausseestraße 125 an einem ausgedehnten Herzinfarkt im Alter von 58 Jahren und sechs Monaten.
Bert Brecht ist unsterblich, denn er hat die Welt das Zweifeln gelehrt. Das Zweifeln daran, dass etwas unveränderlich sei oder alternativlos. Klar tritt dieses Vermächtnis in einem neuen „Brecht-Brevier zur Wirtschaftskrise“hervor, das der Schweizer Germanist Tom Kindt zu Brechts Todestag vorgelegt hat. Aus dessen gesamtem Werk zog er Texte zusammen, die in aufklärerischer Absicht die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der modernen Gesellschaft erkunden. Denn Brecht lenke den Fokus auf das nur scheinbar Selbstverständliche, das bei näherem Hinsehen unverständlich, ja nicht selten unvernünftig erscheint.
Solcherlei Diagnosen gehen weit über die frechen Flapsigkeiten der „Dreigroschenoper“hinaus, dass zuerst das Fressen kommt und dann die Moral. Oder dass der Mensch für dieses Leben „nicht anspruchslos genug“sei. Vielmehr stellt die Figur Ziffel in den „Flüchtlingsgesprächen“angesichts der „unheimlichen Krämpfe“der Wirtschaft in der Krise fest, dass diese „eine so komplizierte Angelegenheit“geworden ist, „dass sie zu überblicken, so viel Verstand nötig ist, als es überhaupt nicht gibt“.
Tom Kindts Brecht-Brevier zeigt erstaunliche Aktualität. Mit Brecht wirft es einen spöttischen Blick auf die Beschwörung der magischen Kräfte des freien Marktes. Eine Lektion betrachtet, ob es sich bei den Beben der Börse, den Stürmen auf dem Finanzmarkt und den Dürren der Realwirtschaft tatsächlich um wettergleiche Naturerscheinungen handelt oder um menschgemachte Unfälle. Auch die perplexe Einsicht: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“gehört zum Lehrstoff der Abteilung „Geschäftsmodelle“.
Der Hang zum Geld durchtränkt eine Gesellschaft bis an die Wurzeln. „Gott sei Dank sind sie bestechlich“, sagt Mutter Courage. „Die Bestechlichkeit ist bei Menschen dasselbe wie beim lieben Gott die Barmherzigkeit.“Gelebt, so Brecht, wird in dieser Gesellschaftsordnung nicht in der Moral, sondern von der Moral.
*** Zu einer Relektüre anderer Art lädt der Nachdruck der Erinnerungen der Paula Banholzer, Brechts erste Liebe „Bi“, ein. Ohne jegliche Kommentierung erschien der 1981 erstveröffentlichte Band jetzt im Langen Müller Verlag – mitsamt den damaligen Interviews von Willibald Eser und Axel Poldner mit Paula Banholzer und Marianne Zoff. Mag auch nicht jedes Detail, dessen sich die Augsburgerin erinnert, einer kritischen Nachprüfung standhalten, so liefert ihre Schilderung doch aufschlussreiche Stimmungswerte des jungen Dichters. Von rasender Eifersucht erfüllt war der Jüngling, der sich literarisch gern zum rücksichtslosen Frauenverbraucher stilisierte. Nebenbuhler stach er auf offener Bühne im intellektuellen Gefecht aus, wenn es sein musste auch mit beharrlichem, schweigendem Sitzenbleiben bei seiner Bi und in autoritären Anweisungen, den Verlobten fahrenzulassen.
Brecht stieg der Mutter seines ersten Sohnes Frank lange nach. Selbst als Marianne Zoff bereits sein zweites Kind, Hanne, geboren und er die Schauspielerin still geheiratet hatte, kämpfte Brecht um Bi und machte Hermann Groß, ihrem späteren Ehemann, eine Szene („Die Bi weiß ganz genau, wie sie sich entscheiden muss“). Obwohl er damals bereits in Berlin ein Eisen im Feuer hatte. B.B. brachte es sogar fertig, Helene Weigel, seine künftige Lebenspartnerin, 1924 nach Augsburg zu schicken, um die Bi sofort nach Berlin zu holen … Doch die Trennung war endgültig. Zehn Tage später heiratete sie Hermann Groß.
*** Ebenfalls zur Relektüre bietet der Eulenspiegel Verlag die gesammelten Brecht-Anekdoten von André Müller und Gerd Semmer an, die erstmals 1967 erschienen sind. Die beiden hatten Mitarbeiter, Schüler, Freunde, Feinde und nicht zuletzt Geliebte über den Dichter befragt. Voller Witz und Esprit sind diese Anekdoten – etwa seine Wette, er schreibe in drei Tagen ein besseres Stück als der von ihm kritisierte Autor. Tatsächlich entstand es in drei Tagen. „Aber für die Änderungen habe ich acht Monate gebraucht.“
Ernst Bloch nahm den notorisch unrasierten B.B. ironisch in Schutz. Jener habe sich, so sagte er einem, der an Brechts Äußerem Anstoß nahm, „einen kostspieligen kosmetischen Apparat konstruieren lassen, der ihm Schmutz unter die Fingernägel schiebt“. Ein Manko haben die Anekdoten: Im Stil von Herrn K. sind alle Nachnamen abgekürzt. Wohl dem, der sie noch alle kennt. Sonst beginnt das Rätselraten.
Tom Kindt: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Das Brecht-Brevier zur Wirtschaftskrise, Suhrkamp, 124 S., 7 ¤
Paula Banholzer: So viel wie eine Liebe. Ungeordnetes Verhältnis mit Bert Brecht, Langen Müller, 191 S., 20 ¤
André Müller/Gerd Semmer: Gesammelte Brecht-Anekdoten, Eulenspiegel Verlag, 128 S. 9,99 ¤