Der prächtige Türke
Hat Tizian (oder einer seiner Mitarbeiter) ein wenig übertrieben? Der gewaltige Turban, der das Gemälde dominiert, steigt wie ein meterhoher, stramm aufgeblasener Ballon vom Haupt seines türkischen Trägers empor. Tatsächlich waren mächtige Kopfbedeckungen im Reich der Osmanen keine Seltenheit. Und Süleyman war nun mal der Prächtigste. Das Bild, das den Sultan und seinen Turban zeigt, drückt jedenfalls die Bedeutungs- schwere aus, die Süleyman der Prächtige für die östliche und die westliche Welt hatte.
Sein Abbild im Washingtoner Kongress zeigt einen etwas zurückgenommeneren Süleyman. In die heilige Stätte der amerikanischen Politik gelangte er nicht so sehr als Herrscher eines Weltreichs, sondern als weiser Gesetzgeber. Als solcher wird er auch in seiner türkischen Heimat gefeiert. Und natürlich als großer Eroberer: Er dehnte das Osmanenreich so sehr aus, dass es von Ungarn bis ins Zweistromland und von dort bis in den Westen Nordafrikas reichte. Ein Vorbild für türkische Großmachtträumer.
Für die meisten Europäer aber war Süleyman die personifizierte Türkengefahr. Immer wieder zog es ihn militärisch nach Westen. Er träumte davon, das Heilige Römische Reich zu erobern. Noch mit 70 trieb es ihn in einem Feldzug nach Ungarn. Dort starb er im Jahr 1566. Es war sein zehnter Kriegszug nach Europa.
Buda und Pest, und den ganzen Südosten hatte er schon erobert. Sein ewiges Sehnsuchtsziel, das in fast greifbarer Nähe vor ihm lag, aber blieb ihm verschlossen. Die Eroberung Wiens, der Perle des christlichen Habsburgerreichs, war 1529 gescheitert. Zweieinhalb Herbstwochen lang belagerte Süleyman mit 150 000 Mann die Stadt. Die Wiener verteidigten sich mit einer etwas dürftigen christlichen Allianz von 17 000 Soldaten hinter schwächelnden Stadtmauern. Gelegentlich wagten sie sogar Ausfälle. Doch so ungleich die Personalstärke und so groß die Angst der Christen vor den moslemischen Türken auch war: Der Prächtige zog unverrichteter Dinge ab, ehe der Winter kam. Unverrichteter Dinge? Das war Ansichtssache. Im Westen sprach man von Erlösung aus höchster Not. Im Reich des Prächtigen sah man sich als Sieger. Tatsächlich herrschte Süleyman weiter bis tief nach Ungarn hinein. Allerdings: Den nächsten vergeblichen Sturm auf Wien wagten die Osmanen erst rund 150 Jahre später.