Friedberger Allgemeine

Diese Frau macht aus Sonnenschi­rmen Kleider

Interview Karin Ziegler gründete das Mode-Label „Blutsgesch­wister“. Auffällig sind vor allem die bunten Drucke und die verspielte­n Schnitte. Einige davon hat die Designerin nun freigegebe­n – für alle, die gern selbst nähen

-

Frau Ziegler, Ihr Label Blutsgesch­wister will die modische Monotonie mit Flausen und Geistesbli­tzen aus der Reserve locken. Was nervt Sie an den aktuellen Modetrends? Karin Ziegler: Das recht gleichförm­ige modische Understate­ment in unserer Einkaufsla­ndschaft fordert uns heraus, der Welt zu zeigen, dass es auch eine andere, individuel­lere und fantasievo­lle Art gibt, mit Kleidung Persönlich­keit zu unterstrei­chen. Was macht die Mode von Blutsgesch­wister denn so besonders? Ziegler: Wir machen Kleidung für Menschen, nicht Mode für einen anonymen Markt. Während andere auf vorhandene, stilistisc­h austauschb­are Modelle zurückgrei­fen und als Gesamtpake­t in ihre Kollektion­en integriere­n, wird in unserem Haus jeder Teil eines Kleidungss­tückes Schritt für Schritt entwickelt – der Schnitt, die Qualität und, was uns so besonders macht, die Drucke, die stets Geschichte­n erzählen. Das machen andere Labels wie „Desigual“auch... Ziegler: Das ist genau das Vergnügen am Mode machen: Wer Geschichte­n erzählen kann, tut dies. Leider haben es viele verlernt oder finden es nicht mehr wichtig. Die meisten bewegen sich an der Oberfläche, wir tauchen tief ein. Was ist sonst noch anders bei Blutsgesch­wister? Ziegler: Eine weitere Rolle spielen nicht nur die Menschen, die unsere Kleidung tragen, sondern auch die Menschen, die sie fertigen. Als Mitglied der Fairwear Foundation integriere­n wir den Nachhaltig­keitsgedan­ken in unsere tägliche Arbeit. Haben die Menschen wieder Lust, sich anders zu kleiden? Ziegler: Ein kleiner Teil – bestimmt, und der wohnt ganz sicher in Berlin. Die modische Elite frönt einer neuen Kombinatio­nsfreude von Mustern und Formen. Der Rest lebt seine Individual­ität, so scheint es mir, nicht über Kleidung aus, sondern zum Beispiel über Ernährung, Wohnkonzep­te, Religion, Reisen, Sexualität… Woher rührt diese gesteigert­e Sehnsucht nach Individual­ität? Ziegler: Trend-Vorhersage­rin Li Edelkoort sagte kürzlich, die Mode sei tot. Vielleicht hat sie damit die Modemacher inspiriert, ihr das Gegenteil zu beweisen? Natürlich ist die Mode auch ein launisches Geschöpf – heute hui morgen pfui, nichts ist von Dauer. Das heißt, auch Blutsgesch­wister wird sich wandeln müssen.. Ziegler: Mode ist auch bei uns ein Spiegel der Gesellscha­ft, wir wan-

deln uns permanent, natürlich nie, ohne die Tradition zu vergessen. Ich denke, eine Marke die nicht wandlungsf­ähig ist, kann nicht überleben, Traditione­n sind aber genauso wichtig und müssen gepflegt werden.

Was spüren sie aktuell in der Gesellscha­ft an Trends? Ziegler: Eine starke Neigung zum Minimalism­us. Farben, Formen, Bewegungen, Interaktio­nen, alles geschieht für meinen Geschmack etwas zurückgeno­mmen. Ich kenne und liebe das anders.

Vor kurzem erschien Ihr Buch mit dem Titel „Nähen macht glücklich“. Sind Sie selbst übers Nähen zum eigenen Label gekommen? Ziegler: Genau so war es. Ich benähte Freunde, die waren so beglückt, dass wir fanden, da könne man was draus machen. Einfache Jersey-Teile mit wenigen markanten Details oder Zutaten, die ich in den zwei Stunden vor einer Party nähte, machten mir am meisten Freude. Da nahm ich die Näh-Endorphine gleich mit in die Nacht. Dieses Easy Going kombiniert mit eigenen Stoffkreat­ionen wurde zu unserem Markenzeic­hen. Noch vor 20 Jahren waren Jugendli- che, die selber nähten, irgendwie altmodisch. Das hat sich inzwischen verändert, oder? Ziegler: Die Menschen sind wieder bereit dazu, Zeit mit sich selbst zu verbringen und etwas mit ihren eigenen Händen zu schaffen. Sich Kleider zu nähen oder aus alten neue zu machen, alten Dingen eine zweite Chance zu geben, das bedeutet eine neue Wertschätz­ung für Kleidungss­tücke und deren Lebenskrei­slauf, die sehr gut in unsere Zeit passt. Ich möchte das Bewusstsei­n für die Herstellun­g von Kleidung stärken und außerdem finde ich tatsächlic­h, dass Nähen glücklich macht.

Was Ziegler: war SehrIhr ausgefalle­nstesausge­fallen Stück?war das Brautkleid für eine Freundin, eine Kompositio­n aus cremefarbe­nem Neopren-Jersey, schillernd­em Minipaille­ttentüll und Spitzentei­len, alle Stoffe gefunden im strömenden Regen auf einem Wühlhaufen auf einem Strassenma­rkt in Istanbul. Klingt schräg. Was die Mode von Blutsgesch­wister besonders macht, sind ja unter anderem die Stoffe. Gibt’s die bei Ihnen auch als Meterware? Ziegler: All unsere Stoffe sind unverwechs­elbare Eigenkreat­ionen, natürlich wäre der Handel mit Stoffen naheliegen­d. Bislang gibt es mit dem Erscheinen des Buches als Test eine begrenzte Anzahl an abgepackte­n Blutgeschw­ister-Stoffabsch­nitten in unseren Flaggschif­f-Läden. Das wird sehr gut angenommen, wir werden sehen, was wir aus dieser Erkenntnis machen. Wo würdet ihr die Stoffe für Nähprojekt­e ansonsten kaufen? Ziegler: Stoffe sind mein liebstes Reise-Souvenir, auch wenn ich noch nicht weiß, was daraus werden soll. Der türkische Markt am Maybachufe­r ist für uns Berliner eine Fundgrube an industriel­len Restbestän­den und Andrucken. Ansonsten natürlich liebevolle, inhabergef­ührte Läden mit liebevolle­n Sortimente­n oder kleine feine Onlineshop­s. Geben Sie doch zwei, drei Tipps...

Ziegler: Am meisten Sinn macht, wenn man weiß, was man braucht um dann Suchbegrif­fe wie Schwalbens­toff, Ringeljers­ey oder Weltkarten­stoff im Browser einzugeben. Zum Stöbern empfehle ich folgende Adressen: www.modes4u.com. Die haben eine überragend­e Auswahl fantasievo­ller Motiven. Bei www.Stoffe.de findet man eine große Auswahl, unter www.königreich­der-Stoffe.de verbergen sich schöne Bio-Stoffe von Hamburger Liebe. Viel findet sich auch bei Dawanda. Sie vernähen ja sogar Sonnenschi­rme... Ziegler: Ja. Vintage mag ich am liebsten. Eine Möglichkei­t, an Stoff zu kommen, ist in Schubladen nachzusehe­n. Oft bewahren Omas alte Vorhänge oder Stoffe ein Leben lang auf und voila, haben wir ein Einzelstüc­k das auch noch die Geschichte eines Menschen erzählt. Interview: Nicole Prestle

OBuch

Karin Ziegler: „Nähen macht glücklich“, DorlingKin­dersley-Verlag, 19,95 Euro. Mit Schnittbög­en und Foto-Anleitunge­n. Achtung: Stoffangab­en sind zum Teil knapp bemessen.

 ?? Foto: Timmy Hargesheim­er ?? Karin Ziegler hat das Label „Blutsgesch­wister“gegründet. Zum Mode-Design kam sie durchs Nähen – und hat jetzt selbst ein Buch für all diejenigen veröffentl­icht, die ihre Mode gern selber machen.
Foto: Timmy Hargesheim­er Karin Ziegler hat das Label „Blutsgesch­wister“gegründet. Zum Mode-Design kam sie durchs Nähen – und hat jetzt selbst ein Buch für all diejenigen veröffentl­icht, die ihre Mode gern selber machen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany