„Am besten einfach nicht abfliegen“
Einmal „Grüne Hölle“und zurück: Warum die Nordschleife nichts von ihrer Faszination verloren hat
Tolkien-Fans wissen es: Es gibt diesen einen Ring, der die anderen Ringe der Macht beherrscht und an dessen Schicksal der Dunkle Herrscher auch sein eigenes bindet – was nicht zuletzt dazu führt, dass er mit dem Ring zu Grunde geht.
So ähnlich erging es auch schon manch einem Rennfahrer, der sein Schicksal in die Hände eines Ringes legte – des Nürburgrings. Nicht umsonst zählt die Rennstrecke in der Vulkaneifel,. wo sich Tolkiens, Hobbits und Elben sicher wie zu Hause fühlen würden, als anspruchsvollste der Welt: Hier wurden große Triumphe gefeiert, aber auch zahlreiche tragische, mitunter gar tödliche Unfälle gehören zur Geschichte des Rings, der seinen Anfang 1904 unter Kaiser Wilhelm II. nahm.
Aufgrund der steigenden Popularität des Motorsports forderte das Staatsoberhaupt eine eigene Strecke, damit die Rennen nicht mehr auf der Landstraße ausgetragen werden mussten. Die dünn besiedelte Eifel mit ihren Hochflächen, Tälern und weiten Ebenen stand schnell als Standort fest, doch erst 1925 begann man mit dem Bau.
In nur zwei Jahren wurde der 28 Kilometer lange Rundkurs fertiggestellt und schon damals als „bärig schwer“befunden. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Zwar wurde der Ring immer wieder verkürzt und die Südschleife gibt es nicht mehr, doch die 22,8 Kilometer lange Nordschleife macht ihrem ihr von der Rennfahrerlegende Jackie Stewart verliehenem Beinamen „Grüne Hölle“alle Ehre.
Mehr als 300 Meter Höhenunterschied liegen zwischen dem tiefsten und höchsten Punkt, 33 Links- und 40 Rechtskurven wollen bezwungen werden – und das alles ohne große Auslaufzonen. Wo bei anderen Rennstrecken Kiesbett und Reifenstapel dafür sorgen, dass Ausflüge abseits des Asphalts meist glimpflich vonstatten gehen, lauern auf der Nordschleife Hecken, Bäume und harte Mauern.
Wie gut, dass unser Instruktor einen hilfreichen Tipp hat: „Am besten einfach nicht abfliegen“, rät er uns über den Bordfunk, als wir uns mit dem Porsche 911 Carrera 4S aufmachen, den Ring zu bezwingen. Die Bedingungen sind gemischt: Das Auto, ein 420 PS starker Porsche mit Allradantrieb, könnte wohl kaum besser gewählt sein, doch der deutsche Sommer hält Dauerregen bereit. Mit feuchten Händen geht es los auf den nicht minder nassen Asphalt, der stellenweise schon deutlich bessere Zeiten gesehen hat. Gemütlich umrunden wir die Stre-
cke ein erstes Mal, zum Kennenlernen. Und während der Motor nur leicht warm wird, redet sich der Profi im Vorausfahrzeug heiß. Er kennt hier jede Kurve wie seine Westentasche: Tiergarten, Flugplatz, Schwedenkreuz, Metzgesfeld, Bergwerk oder Hohe Acht – jede Biegung hat einen eigenen Namen. Wären die Kurven nur durchnummeriert, würde man spätestens nach einer Viertelrunde den Überblick
verlieren. So aber weiß unser Instruktor zu jeder Kehre wertvolle Tipps zu geben und Anekdoten zu erzählen: Sei es über das auf tragische Weise verlorengegangene Ohr von Niki Lauda oder über spektakuläre Crashs, bei denen Testfahrer aus der Industrie – die hier nur zu gerne ihre Prototypen auf Herz und Nieren erprobt – mitunter Millionenwerte in den Sand beziehungsweise Wald setzen.
Damit es dazu nicht kommt, manövrieren wir den gut 188 000 Euro teuren Elfer zwar sportlich, aber behutsam durch die engen Waldschneisen und versuchen, bei allen Kurven zumindest auf der Strecke zu bleiben. Mitunter ist der nasse Kurs aber derart glitschig, dass wir trotz Allradantrieb alle Hände voll zu tun haben, den Porsche wieder einzufangen.
Doch Runde um Runde lässt der Regen nach, und das Vertrauen wächst, in uns und ins Auto. Ein Vertrauen, das von kurzer Dauer ist, wie wir schon wenige Kilometer später erfahren müssen: Wo in der Runde zuvor noch die Sonne durch den Wald blinzelte und anfing, die nasse Fahrbahn trockenzulegen, hat sich innerhalb weniger Minuten ein dicker Nebelschleier über die Strecke gelegt. Solche Wetterkapriolen gehören in der Eifel zur Tagesordnung und fordern die Fahrer immer wieder heraus. Wie gut wäre es, jetzt aus dem Effeff zu wissen, wo es weitergeht – davon aber sind wir weit entfernt: Rund 200 Runden, sagen die Profis, muss man schon absolvieren, um den Kurs einigermaßen zu kennen.