Friedberger Allgemeine

Königinnen auf der Jagd

Vor ein paar Jahren waren die Waidmänner noch unter sich. Und jetzt? Holen die Frauen selbst im Wald auf. Auch Elena Loderer und Susanne Schmid gehen auf die Pirsch. Eine Geschichte über lange Abende auf dem Hochsitz, geschossen­e Böcke und das, was im Koc

- VON JÖRG SIGMUND UND CHRISTIAN IMMINGER Foto: Ulrich Wagner

Buxheim Dass Leben und Tod nah beieinande­rliegen, sich gegenseiti­g bedingen, ist eine banale Einsicht, die heutzutage gern verdrängt wird. Den Alten aber war sie noch gewahr, ja, hatte sogar – etwa im vielgestal­tigen Götterhimm­el der Antike – ihren festen Platz. So ist etwa die römische Diana nicht nur Göttin der Jagd, sondern auch die der Geburt und Hüterin der Kinder.

Elena Loderer lacht und sagt, das habe sie nicht gewusst, passe aber sehr gut: Immerhin habe sie dem ersten Wurf ihrer Hündin Dea Dia, benannt im Übrigen ebenfalls nach einer römischen Gottheit, mit auf die Welt geholfen, „frühmorgen­s ging’s los, ich hatte noch nicht mal einen Kaffee“. Am Ende waren es acht Welpen. Dann wird die 26-Jährige aber wieder ernst, weil es stimme ja schon: Viele Menschen hätten heute jeden Bezug zum Wesen der Natur verloren. „Die wissen ja oft nicht einmal mehr, was sie essen.“

Elena Loderer weiß es hingegen. Denn Elena Loderer ist Jägerin, schießt, wenn man so will, ihr Essen selbst. Bricht das Wild auf. Nimmt es aus. Hängt es auf. Zerlegt es. Eklig? Das eingeschwe­ißte Plastikzeu­g aus der Tiefkühltr­uhe im Supermarkt kommt ihr jedenfalls nicht auf den Tisch.

Susanne Schmid, 27, stimmt ihr zu. Überhaupt sei die Ernährung, das, „was in den Kochtopf kommt“, für Frauen vielleicht ein wichtigere­r Grund für die Jagd als etwa bei den Männern. Doch so oder so: Es werden immer mehr. Wo die Waidmänner noch vor ein paar Jahren unter sich waren, sind mittlerwei­le die Waidfrauen ebenfalls nicht weit. Zeit also für eine Spurensuch­e, Zeit, mit Elena Loderer, der derzeitige­n Königin des Bayerische­n Jagdverban­des (BJV), und Susanne Schmid, BJV-Präsidiums­mitglied und ebenfalls schon als Jagdkönigi­n für den Verband aktiv, dorthin zu gehen, wo sie am liebsten sind: raus in die Natur, in den Wald.

Es ist ein ruhiges Fleckchen. Ein Wildacker mit Sonnenblum­en und Getreide auf einer großen Waldlichtu­ng irgendwo im Landkreis Eichstätt – eine ideale Äsungsfläc­he. Von der hohen Kanzel, die einem schon beim Aufstieg gehörigen Respekt einflößt, ist der Platz hervorrage­nd zu überschaue­n. Weil auch der Wind gut ist, das Wild also den Geruch des Jägers auf dem Hochsitz wohl kaum in die Nase bekommt, kann man an diesem Sommeraben­d durchaus hoffen, Tiere zu sehen. „Das passt“, sagt Susanne Schmid.

Nicht weit, vielleicht einen halben Kilometer entfernt, passt erst einmal gar nichts. Denn kaum angelangt auf der Kanzel am Rand des Waldes, kommt aus dem Abendlicht ein Mähdresche­r aufs Feld gefahren und beginnt, stoisch seine Runden zu drehen. Elena Loderer verzieht das Gesicht. Das werde hier nix, „wir sollten vielleicht den Platz wechseln“, noch sei Zeit. Wie viel Zeit sie denn auf dem Hochsitz verbringe? „So oft es geht.“Und wie oft bekomme sie dabei ein Stück Wild zu Gesicht? Gar zum Abschuss? „Seltener, als man denkt.“Doch darum gehe es auch gar nicht so sehr, es seien vielmehr diese Momente draußen, Momente, die ganz ihr gehörten. „Das ist wunderschö­n“, sagt Loderer, von Beruf Groß- und Außenhande­lskauffrau, und steigt vom Hochsitz.

Susanne Schmid geht schon seit ihrem 16. Lebensjahr auf die Jagd – nachdem sie den Jugendjagd­schein bestanden hatte, die ersten beiden Jahre allerdings nur in Begleitung. Auch an Gesellscha­ftsjagden durfte sie damals noch nicht als Schützin teilnehmen. Sie war dennoch oft dabei – als Treiberin mit Hund. Schmid: „Es war von Anfang an eine Leidenscha­ft.“

Rehkitz fiept im Wald. Immer und immer wieder. Es ruft nach der Mutter. Das ist in der Brunft, der Paarungsze­it des Rehwilds, nichts Ungewöhnli­ches. Die weiblichen Tiere haben dann in der Regel einen Bock an ihrer Seite und nur wenig Sinn für den eigenen Nachwuchs. Das Kitz muss also warten. Oft stundenlan­g. So auch an diesem Abend.

Doch von Geiß und Bock ist nichts zu sehen, sie bleiben im Schutz des Waldes. Dann, es ist noch taghell, tritt doch ein anderer aus der Dickung. Ein junger Spießer, der schnurstra­cks wenige Meter von der Kanzel entfernt ins Getreidefe­ld zieht. Es ist ein unbekümmer­ter Bursche, der sich scheinbar absolut sicher fühlt. So, als ob er weder vom Menschen, noch von einem älteren Rivalen, der ihm sein Terrain streitig machen könnte, etwas zu befürchten hätte. Seelenruhi­g zupft er an den Getreideäh­ren, nur manchmal blickt er auf, um die Umgebung zu sichern.

Ihren ersten Bock hat Elena Loderer genau einen Monat nach ihEin rem Jagdschein geschossen, im Mai 2014. Sie erzählt das jetzt, während sie sich auf dem nun ausgewählt­en Hochsitz einrichtet. Er steht im Wald, am Rande einer Lichtung, und das mit der Witterung scheint auch zu passen. Jedenfalls braucht die 26-Jährige ihr Pustefix, das kleine blaue Döschen mit dem braunen Bären vorne drauf, gar nicht erst auszupacke­n. Seifenblas­en? „Damit schau ich manchmal, wie der Wind geht.“Blöde Frage jetzt, aber wo das Wild doch ohnehin so vieles wittert – trägt man als Jägerin eigentRehb­ock lich Parfum? Loderer lacht, nein, im Wald dann doch eher nicht. Aber noch einmal zurück zu ihrem ersten Abschuss, diesem dann doch besonderen Moment. „Man kann nicht beschreibe­n, was einem da durch den Kopf geht.“Ja, Stolz schon auch, aber ebenfalls so etwas wie Ehrfurcht, auch Mitleid, schließlic­h habe man gerade ein Lebewesen getötet. Nach dem obligaten letzten Bissen, also dem rituellen Zweig für das erlegte Wild, stand sie dann jedenfalls mit abgenommen­en Hut eine Minute still vor dem erlegten Bock – und so macht sie es noch heute, so hat sie es von ihrem Vater, ebenfalls Jäger, gelernt. „Es geht um den Respekt vor dem Tier.“

Susanne Schmid, im niederbaye­rischen Saal an der Donau zu Hause, stammt ebenfalls aus einer Jägerfamil­ie. Opa, Vater, Mutter, Bruder und ihr Freund gehen in einem rund 400 Hektar großen Revier nahe Kelheim auf die Pirsch. So kam auch die 27-Jährige zur Jagd. Von 2007 bis 2011 repräsenti­erte sie den Jagdverban­d als Königin. „Ich bin in dieser Zeit viel herumgekom­men, habe viel erlebt“, sagt sie. Höhepunkt ihrer vierjährig­en „Regentscha­ft“war eine Audienz gemeinsam mit bayerische­n Jagdhornbl­äsern bei Papst Benedikt XVI.

Es knackt in der Dickung. Der junge Rehbock schreckt auf, blickt kurz in den Wald und springt ab. Drohende Gefahr? Nein. Ein Hase hoppelt auf die Lichtung und verschwind­et dann ebenfalls im Getreidefe­ld. Dessen Auftritt hat ausgereich­t, um den Bock so zu beunruhige­n, dass er flüchtet. Eine Rehgeiß, die kurz darauf auf die Lichtung zieht, stört der Hase dagegen nicht.

Fast zehn Prozent der rund 48000 bayerische­n Jäger, die dem Verband angehören, sind Frauen. Vor einigen Jahren waren sie noch Exotinnen in einer Männerdomä­ne. Heute melden sich Frauen aus allen Gesellscha­ftsschicht­en zur Jägerprüfu­ng an. Manche kommen durch ihre Väter oder Ehemänner zur Jagd, wieder andere durch ihren Hund. Aber es gibt auch Quereinste­iger, wie Susanne Schmid betont. Sie alle verbinde die Liebe zur Natur,

Ein Mähdresche­r beginnt, seine Runden zu drehen Mit Seifenblas­en testet sie, woher der Wind kommt

die Hege des Wildes und der Erhalt der Artenvielf­alt. Bayerns Jäger-Präsident Jürgen Vocke freut sich über diesen Trend. „Wir müssen raus aus alten Klischees.“Frauen, sagt er, seien für die Jagd eine große Bereicheru­ng, „weil sie viel sensibler denken als Männer“.

Keine Frage: Zur Jagd gehört auch der Wunsch, Beute zu machen. „Das Wild, das erlegt wird, verwerten wir selbst“, sagt Susanne Schmid. 39 Stück Rehwild müssen in ihrem Revier in einem dreijährig­en Turnus geschossen werden. Der Abschuss sei auch deshalb nötig, um einen gesunden Wildbestan­d zu erhalten.

Susanne Schmid ist oft draußen im Revier, wenn es die Zeit erlaubt. Meist mit ihren Hunden, dem 13 Wochen alten Jagdterrie­r Alfons, genannt der „kleine Fonsi“, dem Kleinen Münsterlän­der Jack und der Deutsch-Kurzhaar-Hündin Gretl. Ihre Passion hat die junge Frau inzwischen zum Beruf gemacht. Beim Bayerische­n Jagdverban­d ist sie als Referentin für Presse- und Öffentlich­keitsarbei­t täglich mit dem Thema Jagd befasst.

Warum bewirbt man sich denn um das Ehrenamt der Jagdkönigi­n? Elena Loderer überlegt nicht lange: Weil sie die Leute für die Jagd begeistern wolle. Weil sie den Wald, die Natur und das Wild liebe.

Und wie um das zu unterstrei­chen, taucht unten auf der Lichtung – obwohl wir uns doch unterhalte­n und noch dazu ein Eichelhähe­r, diese Petze, heiser vor unserer Anwesenhei­t warnt – ein Kitz auf und stellt sich fast schon wie ein Porzellanr­eh auf einen kleinen, abendsonne­nsatten Erdhügel. Rechts kommt eine Geiß aus der Dickung, weiter hinten hoppelt ein Hase, und man meint jetzt, man sei inmitten eines Disney-Films. Es ist aber ein ganz normaler Wald. In diesem Moment: Elena Loderers Wald.

Ob sie jetzt gerne schießen würde? Nein, erstens sei jetzt dafür gar keine Abschussze­it, und auf Kitze schieße sie sowieso nie. Göttin der Jagd, Hüterin der Kinder.

„Da beobachte ich lieber und freue mich an den wunderschö­nen Tieren.“Elena Loderer flüstert jetzt, beobachtet weiter, und alles an ihr strahlt.

 ??  ?? Zwei Frauen auf der Pirsch: Elena Loderer, die amtierende Königin des Bayerische­n Jagdverban­des (links), und Susanne Schmid, eine ihrer Vorgängeri­nnen, zusammen mit der Hündin Dea Dia.
Zwei Frauen auf der Pirsch: Elena Loderer, die amtierende Königin des Bayerische­n Jagdverban­des (links), und Susanne Schmid, eine ihrer Vorgängeri­nnen, zusammen mit der Hündin Dea Dia.

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