Regierung rechnet mit mehr Arbeitslosen
Um die Flüchtlinge zu integrieren, muss der Staat Milliarden investieren. Experten sind sicher, dass sich das lohnt
Augsburg Wenn es darum geht, was die Flüchtlingskrise für die deutsche Wirtschaft bedeutet, gehen die Meinungen weit auseinander. DaimlerChef Dieter Zetsche sieht in der Zuwanderung die Chance auf ein neues Wirtschaftswunder. Andere sehen vor allem die immensen Kosten. Klar ist: Es wird dauern, bis zumindest ein Teil der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert ist. Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen im kommenden Jahr erstmals seit 2013 wieder steigt. Und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln rechnet vor, dass der Staat jährlich rund 3,5 Milliarden Euro allein für die Bildung und Ausbildung von Flüchtlingen ausgeben muss. Die Wissenschaftler sind allerdings sicher, dass sich diese Investitionen eines Tages auszahlen werden.
Ob die Zuwanderung auf Dauer zur Belastung oder zum Gewinn für die Wirtschaft wird, hängt in erster Linie davon ab, wie viele Migranten einen Job finden und damit von Hilfeempfängern zu Steuerzahlern werden. Für Hubertus Pellengahr von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) steht fest: „Nur mit guter Bildung haben Flüchtlinge eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Kluge Investitionen zahlen sich so doppelt aus: für die Betroffenen und für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Der aktuelle INSM-Bildungsmonitor zeigt, dass mehr als 57 Prozent der im Juni arbeitssuchend gemeldeten Flüchtlinge nicht einmal einen Hauptschulabschluss nachweisen können. Die Hoffnungen, mit den Zuwanderern lasse sich schon bald der Fachkräftemangel beheben, haben sich vor diesem Hintergrund schnell zerschlagen. Neben Sprachkenntnissen fehlt vielen auch die berufliche Qualifikation, um eine Stelle zu finden. Außerdem dürfen Asylbewerber nur unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten. Die Folge: Die meisten Unternehmen stellen bislang kaum Flüchtlinge ein – auch Daimler übrigens nicht.
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat nun analysiert, wie man solche Hürden aus dem Weg schaffen kann und was das kostet. 1,2 Milliarden Euro wären allein nötig, um rund 120 000 Jugendliche auf eine Berufsausbildung vorzubereiten. Außerdem müssen etwa 300 000 Flüchtlingskinder in Kitas und Schulen untergebracht werden. Belastung für die Staatskasse: rund 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. Rechnet sich das? IW-Experte Axel Plünnecke ist überzeugt: „Die zusätzlichen jährlichen Bildungsausgaben können bereits in wenigen Jahren durch geringere Ausgaben bei Sozialleistungen infolge einer besseren Arbeitsmarktintegration eingespart werden.“Langfristig würden die heutigen Flüchtlingskinder außerdem „Engpässe in Ausbildungsberufen mindern“.
Erst einmal werden die Arbeitslosenzahlen aufgrund der Rekordzuwanderung aber steigen. Das Bundesfinanzministerium bestätigte entsprechende Prognosen auf Anfrage unserer Zeitung. Schon im April hatte das Bundeswirtschaftsministerium seine „Frühjahrsprojektion“vorgelegt. Demnach wird es 2017 im Jahresdurchschnitt etwa 2,86 Millionen Erwerbslose geben – ein Anstieg um 110 000. Bis 2020 könnte die Arbeitslosenzahl sogar wieder über drei Millionen steigen. Gleichzeitig prognostiziert das Ministerium aber auch ein deutliches Plus bei der Zahl der Beschäftigten auf über 44 Millionen.
Zum Vergleich: Der Negativrekord datiert aus dem Jahr 2005. Damals gab es 4,9 Millionen Arbeitslose und rund 38,9 Millionen Erwerbstätige in Deutschland.