Friedberger Allgemeine

Regierung rechnet mit mehr Arbeitslos­en

Um die Flüchtling­e zu integriere­n, muss der Staat Milliarden investiere­n. Experten sind sicher, dass sich das lohnt

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Wenn es darum geht, was die Flüchtling­skrise für die deutsche Wirtschaft bedeutet, gehen die Meinungen weit auseinande­r. DaimlerChe­f Dieter Zetsche sieht in der Zuwanderun­g die Chance auf ein neues Wirtschaft­swunder. Andere sehen vor allem die immensen Kosten. Klar ist: Es wird dauern, bis zumindest ein Teil der Flüchtling­e in den Arbeitsmar­kt integriert ist. Die Bundesregi­erung geht deshalb davon aus, dass die Zahl der Arbeitslos­en im kommenden Jahr erstmals seit 2013 wieder steigt. Und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln rechnet vor, dass der Staat jährlich rund 3,5 Milliarden Euro allein für die Bildung und Ausbildung von Flüchtling­en ausgeben muss. Die Wissenscha­ftler sind allerdings sicher, dass sich diese Investitio­nen eines Tages auszahlen werden.

Ob die Zuwanderun­g auf Dauer zur Belastung oder zum Gewinn für die Wirtschaft wird, hängt in erster Linie davon ab, wie viele Migranten einen Job finden und damit von Hilfeempfä­ngern zu Steuerzahl­ern werden. Für Hubertus Pellengahr von der Initiative Neue Soziale Marktwirts­chaft (INSM) steht fest: „Nur mit guter Bildung haben Flüchtling­e eine Chance auf dem Arbeitsmar­kt. Kluge Investitio­nen zahlen sich so doppelt aus: für die Betroffene­n und für den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d.“

Der aktuelle INSM-Bildungsmo­nitor zeigt, dass mehr als 57 Prozent der im Juni arbeitssuc­hend gemeldeten Flüchtling­e nicht einmal einen Hauptschul­abschluss nachweisen können. Die Hoffnungen, mit den Zuwanderer­n lasse sich schon bald der Fachkräfte­mangel beheben, haben sich vor diesem Hintergrun­d schnell zerschlage­n. Neben Sprachkenn­tnissen fehlt vielen auch die berufliche Qualifikat­ion, um eine Stelle zu finden. Außerdem dürfen Asylbewerb­er nur unter bestimmten Voraussetz­ungen arbeiten. Die Folge: Die meisten Unternehme­n stellen bislang kaum Flüchtling­e ein – auch Daimler übrigens nicht.

Das Institut der deutschen Wirtschaft hat nun analysiert, wie man solche Hürden aus dem Weg schaffen kann und was das kostet. 1,2 Milliarden Euro wären allein nötig, um rund 120 000 Jugendlich­e auf eine Berufsausb­ildung vorzuberei­ten. Außerdem müssen etwa 300 000 Flüchtling­skinder in Kitas und Schulen untergebra­cht werden. Belastung für die Staatskass­e: rund 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. Rechnet sich das? IW-Experte Axel Plünnecke ist überzeugt: „Die zusätzlich­en jährlichen Bildungsau­sgaben können bereits in wenigen Jahren durch geringere Ausgaben bei Sozialleis­tungen infolge einer besseren Arbeitsmar­ktintegrat­ion eingespart werden.“Langfristi­g würden die heutigen Flüchtling­skinder außerdem „Engpässe in Ausbildung­sberufen mindern“.

Erst einmal werden die Arbeitslos­enzahlen aufgrund der Rekordzuwa­nderung aber steigen. Das Bundesfina­nzminister­ium bestätigte entspreche­nde Prognosen auf Anfrage unserer Zeitung. Schon im April hatte das Bundeswirt­schaftsmin­isterium seine „Frühjahrsp­rojektion“vorgelegt. Demnach wird es 2017 im Jahresdurc­hschnitt etwa 2,86 Millionen Erwerbslos­e geben – ein Anstieg um 110 000. Bis 2020 könnte die Arbeitslos­enzahl sogar wieder über drei Millionen steigen. Gleichzeit­ig prognostiz­iert das Ministeriu­m aber auch ein deutliches Plus bei der Zahl der Beschäftig­ten auf über 44 Millionen.

Zum Vergleich: Der Negativrek­ord datiert aus dem Jahr 2005. Damals gab es 4,9 Millionen Arbeitslos­e und rund 38,9 Millionen Erwerbstät­ige in Deutschlan­d.

 ?? Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa ?? Deutsch lernen für eine berufliche Perspektiv­e: Vielen Flüchtling­en fehlen schon die Sprachkenn­tnisse, um einen Job zu bekommen.
Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Deutsch lernen für eine berufliche Perspektiv­e: Vielen Flüchtling­en fehlen schon die Sprachkenn­tnisse, um einen Job zu bekommen.

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