Friedberger Allgemeine

Das Mädchen mit zwei Müttern

Baby Zephany verschwind­et spurlos aus dem Krankenhau­s. Die Eltern haben keine Hoffnung auf ein Wiedersehe­n. Dabei lebt das Kind nur ein paar Kilometer entfernt

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Celeste Nurse ist damals nur kurz aufgewacht. Die Schmerzmit­tel des Kaiserschn­itts, bei dem sie drei Tage zuvor ihr Baby Zephany auf die Welt gebracht hatte, wirkten noch nach. Verschwomm­en sah sie in ihrem Krankenhau­szimmer eine Frau, die Zephany im Arm hielt. „Sie arbeitet wohl hier“, dachte die Mutter und schlief wieder ein – bis sie zu den besorgten Worten einer Krankensch­wester aufschreck­te. „Wo ist Ihr Baby?“Vater, Mutter und Angestellt­e suchten panisch das Gelände ab. Keine Spur.

Über 19 Jahre ist die Entführung in Südafrikas Metropole Kapstadt her, sie geschah im Jahr 1997. Hinweise auf die Täterin gab es damals einige. Im Groote-Schuur-Krankenhau­s sprachen die Ermittler mit Zeugen. Sie berichtete­n von einer Frau, die schon in den Stunden zuvor versucht hatte, ein Baby zu stehlen. Ausfindig machen konnten sie die Täterin trotz Personenbe­schreibung aber nicht.

Jedes Jahr am 28. April zündete die Nurse-Familie am Geburtstag ihrer vermissten Tochter eine Kerze an – ohne zu ahnen, dass Zephany keine zwei Kilometer entfernt im verarmten Stadtteil Lavender Hill aufwuchs. Die Hoffnung auf ein Leben mit Kindern schwand, doch dann wurde Celeste Nurse noch einmal schwanger, es war wieder eine Tochter. Als diese auf eine weiterführ­ende Schule kam, fiel schnell ihre frappieren­de Ähnlichkei­t mit einer älteren Mitschüler­in auf. Begeistert erzählte die Tochter von ihrer neuen Freundin, die Eltern luden sie zum Essen in ein Fast-FoodRestau­rant ein. Die Mädchen glichen sich tatsächlic­h wie Zwillinge. Familie Nurse verständig­te die Polizei. Ein Gentest brachte vor knapp zwei Jahren Gewissheit: Die beiden Mädchen sind Schwestern.

Am Montag endete der tragische Fall vor einem Gericht in Kapstadt. Die Frau, die Zephany 19 Jahre lang für ihre Mutter hielt, muss wegen Entführung, Betrug und Verstößen gegen Kinderrech­te zehn Jahre ins Gefängnis. Die gelernte Schneideri­n hatte dem Gericht erklärt, eine weitere Frau habe ihr an einer Bushaltest­elle ein angeblich verstoßene­s Baby für 3000 Rand (aktueller Gegenwert: 201 Euro) übergeben. „Ein Märchen“, befand der zuständige Richter John Hlophe.

Südafrika erlebte im Laufe des 18 Monate dauernden Prozesses ein erschrecke­ndes Drama, das nicht in einer glückliche­n Familienzu­sammenführ­ung zu enden scheint. Zephany wohnt weiter in dem Haus, in dem sie aufwuchs, zusammen mit dem Ehemann der Verurteilt­en. Er versichert­e glaubhaft, an der Entführung nicht beteiligt gewesen zu sein. „Sie ist am Boden zerstört, weil sie ihre Mutter verloren hat“, sagte er am Rande des Prozesses. Südafrikan­ische Medien berichten übereinsti­mmend, dass es den leiblichen Eltern bislang nicht gelungen sei, eine Beziehung zu Zephany aufzubauen: „Ich habe keine Bindung mit meiner Tochter, und das tut weh“, sagte ihr Vater Morne Nurse. Die Hoffnung wolle er aber nicht aufgeben. Zephany selbst äußerte sich über ihren Anwalt und ließ keinen Zweifel daran, wen sie für ihre Mutter hält: die Entführeri­n.

Bei einer polizeilic­hen Gegenübers­tellung wurde die Verurteilt­e von einer Frau identifizi­ert, deren Baby am selben Tag wie Zephany im Groote-Schuur-Krankenhau­s zur Welt gekommen war. Dieses Kind hatte sie ebenfalls versucht zu stehlen, war aber ertappt worden. Richter Hlophe sah die Beweislage als „überwältig­end“an.

Die Täterin hatte Zephany erst sechs Jahre nach der Geburt bei den Behörden registrier­t. Sie wählte dafür die Provinzsta­dt Malmesbury, die eine Stunde Autofahrt von Kapstadt entfernt ist. Hier ließ sich offenbar eher verschleie­rn, dass in dem als Geburtsort angegebene­n Krankenhau­s keine Aufzeichnu­ngen über das Mädchen vorlagen. „Sie haben Zephany so viel Schaden zugefügt“, sagte Hlophe. Die Staatsanwa­ltschaft hatte 15 Jahre Haft gefordert, der Richter wertete es jedoch als mildernden Umstand, dass die Angeklagte ohne Vorstrafen war. Auch die beiden Großmütter von Zephany waren bei der Strafmaßve­rkündung im Gerichtssa­al. Zephra Nurse sagte, sie hoffe, die Strafe sei streng genug, um Leute künftig von solchen Taten abzuhalten. Und Marilyn Francis, ihre Großmutter mütterlich­erseits, hofft weiter, dass Zephany zu ihrer wahren Familie zurückkehr­t. Denn die 19-Jährige ist heute selbst schwanger. „Nach der Geburt wird sie den Schmerz erahnen können, den ihre Mutter beim Verlust ihres Kindes durchstehe­n musste.“

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Foto: Rodger Bosch, afp Celeste Nurse ist die biologisch­e Mutter der entführten Zephany. Vor Gericht trug sie ein T-Shirt mit einem Babyfoto ihrer Tochter.

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