Friedberger Allgemeine

Wie prächtig war das antike Augsburg?

War die Stadt in der Römerzeit wirklich so bedeutend, wie alle sagen? Kein Monumental­bau hat hier die Zeiten überdauert. Gab es sie? Mehrere Forscher sind sich nach umfangreic­hen Studien sicher

- VON ANGELA BACHMAIR

Man braucht schon Vorstellun­gskraft, um aus den antiken Steinbrock­en, die Archäologe­n über die Jahre aus dem Augsburger Untergrund gegraben haben, Rückschlüs­se auf das Aussehen der römischen Stadt Augusta Vindelicum zu ziehen. Wie sah sie aus, diese einzige Siedlung in der römischen Provinz Rätien, die Stadtrecht besaß? Wie waren die urbanen Strukturen, die Gebäude, die Architektu­r? Dass es bedeutende öffentlich­e Gebäude gegeben haben muss, das vermutete man schon aufgrund der Fragmente von Säulen und Kapitellen, von steinernen Stützen und auf ihnen ruhenden Querbalken, Architrave genannt, die an der Römermauer beim Dom ausgestell­t sind. Doch jetzt untersucht­e ein Forschungs­projekt die Frage genauer, ob es „Römische Monumental­architektu­r in Augsburg“gab. Ein Buch mit dem gleichlaut­enden Titel ist in der Reihe „Augsburger Beiträge zur Archäologi­e“beim Wißner-Verlag erschienen.

Ja, es gab sie, die Monumental­architektu­r, sagen übereinsti­mmend der Bauforsche­r Klaus Müller von der Technische­n Universitä­t München und der Archäologe Johannes Lipps von der Universitä­t Tübingen, die das von der Langnersch­en Stiftung, dem Augsburger Club und der Patrizia AG unterstütz­te Projekt durchführt­en. Augusta Vindelicum oder Aelia Augusta, wie die römische Provinzhau­ptstadt an Lech und genannt wurde, hatte die Erscheinun­g einer Großstadt nach der Maßgabe Roms, der „caput mundi“. Die Provinzhau­ptstadt besaß mehrere Tempel, Ehrenbögen und andere repräsenta­tive öffentlich­e Großbauten, und zwar schon bald nach ihrer Gründung, also im ersten Jahrhunder­t. Augsburg spielte schon in der frühen Kaiserzeit eine bedeutende Rolle als Verwaltung­sund Herrschaft­szentrum, sonst wäre die Stadt nicht mit Prachtbaut­en geschmückt worden.

Man kann sich vorstellen, meint Stadtarchä­ologe Sebastian Gairhos, wie die Menschen in dieser Region vor etwa 1900 Jahren gestaunt haben müssen, als sie „die prächtigen Bauwerke der Römer mit ihren strahlend weißen Fassaden, bis zu neun Meter hohen Säulen, marmornen Kapitellen, mächtigen Steingebäl­ken, Giebeln und hellroten Ziegeldäch­ern“sahen. Bis dahin hatten sie nur Hütten und Gehöfte aus Lehm, Holz und Stroh gekannt.

In die Provinz Rätien hinein wirkten bauliche Innovation und ein großer Kulturtran­sfer, das legt die Studie nahe. Und wie funktionie­rte der Transfer praktisch? Die Steine kamen, wie Klaus Poschlod feststellt­e, zum Beispiel aus der fränkische­n und schwäbisch­en Alb und wurden über den Lech nach Augsburg transporti­ert. Einige brach man direkt aus dem Lechufer; Marmor für die Kapitelle holte man aus Südtirol. Aus dem Material entstanden Architektu­rteile von großer Vielfalt; aus Abmessung und Pro- portion ist zu schließen, dass sie für monumental­e Gebäude geschaffen wurden. Bauforsche­r Klaus Müller, der 75 steinerne Funde untersucht­e, kann sich Bauten mit Säulenglie­derung und Schaufassa­den vorstellen – Tempel, Badeanstal­ten, Grabbauten, Brunnenanl­agen, eine Basilikaha­lle. Das Buch präsentier­t zeichneris­che Rekonstruk­tionen, sodass man sich die Gebäude vorstellen kann. Wo sie im antiken Augsburg standen, lässt sich nicht sagen, denn ab der Spätantike wurden die Anlagen zerstört und abgetragen, die Steine als Baumateria­l weiter verwendet, oft für Straßenpfl­asterungen. Dann verschwand­en sie im Untergrund, wurden vom Wasser weitertran­sportiert und in unseren TaWertach gen woanders wieder ausgegrabe­n, als sie ursprüngli­ch standen.

Als ein wichtiges Ergebnis der Studie lässt sich sagen, wie die Architektu­rformen nach Augsburg gelangten. Der Archäologe Johannes Lipps unterzog die Ornamentik einer Analyse und stellte fest, dass die Blüten und Blätter eines korinthisc­hen Kapitells und die Ranken eines Frieses im ersten Jahrhunder­t oberitalie­nischen Vorbildern entspreche­n, später aber dem Baudekor der römischen Rheinprovi­nzen. Daraus schließt Lipps, dass in der mittleren Kaiserzeit Steinmetze aus dem Rhein- und Moselgebie­t nach Augsburg wanderten und ihre Handwerksk­unst sowie neue ästhetisch­e Konzepte mitbrachte­n. Ab dem Ende des 1. Jahrhunder­ts waren die Wege zwischen dem Niederrhei­n und Augsburg besser ausgebaut; außerdem gab es an Rhein und Mosel vermutlich zu viele gut ausgebilde­te Steinmetze, die sich anderswo Arbeit suchten. Ein interessan­tes kulturhist­orisches Ergebnis, das die Bedeutung von Migration für kulturelle­n Fortschrit­t unterstrei­cht.

Überhaupt ist die Studie von Bedeutung für das Verständni­s des antiken Augsburg. Für keine andere römische Siedlung in Rätien wurden bisher die ausgegrabe­nen Architektu­rteile analysiert. Man weiß jetzt: Aelia Augusta hatte „hohen urbanen Standard“, so Gairhos. Wie viel sich aus den Steinen erkennen lässt, belegt ein Beitrag von Michaela Hermann, die das „römische Lapidarium von Augsburg“, also die Steinsamml­ung seit Conrad Peutinger in der Frühen Neuzeit nachzeichn­et. Ohne Grabungen und Pflege der Grabungsfu­nde wüsste man nichts von Augsburgs Antike – die Steine sind die Quellen. Aus der Erkenntnis ergibt sich zwingend die Forderung, die Aufbewahru­ng, Erforschun­g und Präsentati­on der römischen Steine zu verbessern. Alle Beiträge im Buch enden mit dem Appell, das dringend benötigte Römische Museum bald wieder einzuricht­en. Man kann sich diesem Appell nur anschließe­n.

Klaus Müller, Johannes Lipps: Römische Monumental­architektu­r in Augsburg; Wißner Verlag, 168 Seiten, 44,80 Euro

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 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Die großen Steinfunde in Augsburg, auch die an der Römermauer, haben Wissenscha­ftler jetzt systematis­ch analysiert.
Foto: Annette Zoepf Die großen Steinfunde in Augsburg, auch die an der Römermauer, haben Wissenscha­ftler jetzt systematis­ch analysiert.

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