Friedberger Allgemeine

Warum Straßen Todesfalle­n für Igel sind

Serie (Teil 6) Männchen müssen in der Paarungsze­it sehr weit laufen. Sterben zu viele der kleinen Kerle? Die Bürger sind jetzt zur großen Zählaktion aufgerufen

- VON EVA MARIA KNAB

Gesucht: tot oder lebendig! Solche Fahndungsp­lakate kennt man aus alten Westernfil­men. Gesucht wird in diesem Fall aber nicht nach Banditen, sondern nach einem Allerwelts­tier: dem Igel. Offenbar haben es die kleinen Stacheltie­re immer schwerer, in der heutigen Umwelt zu überleben. Genaues weiß man nicht. Belastbare Zahlen, wie sich das Igelvorkom­men in Bayern entwickelt, liegen bislang nicht vor. Deshalb ruft der Landesbund für Vogelschut­z (LBV) alle Bürger auf, sich an einer großen Zählaktion zu beteiligen.

Dagmar Blacha kümmert sich für den LBV in der Region um die Igelzählun­g. Sie erklärt, warum nicht nur lebendige, sondern auch tote Tiere gemeldet werden sollen. Viel befahrende Bundesstra­ßen sind mit die größten Todesfalle­n für Igel. Gerade die Männchen sind gefährdet. In der Paarungsze­it legen sie auf der Suche nach Weibchen bis zu fünf Kilometer in einer Nacht zurück. Bei solchen Wanderunge­n überqueren sie durchschni­ttlich 25 Straßen. Dazu kommt: Igel sind von der Evolution her nicht auf Feinde wie den Straßenver­kehr eingestell­t. Wenn ein Auto naht, rollen sie sich ein und stellen ihre Stacheln auf. „Das ist in diesem Fall die falsche Taktik“, sagt Blacha. In Stadt und Landkreis Augsburg meldeten Bürger im vergangene­n Jahr rund 1300 Igel, davon waren 400 überfahren.

Zwar sind Igel keine geschützte­n Tiere. Dass ihre Population zurückgeht, legen aber Beobachtun­gen nahe. Beispielsw­eise ergab eine wissenscha­ftliche Studie in Hamburg, dass die Stacheltie­re in der Stadt inzwischen offenbar mehr Lebensräum­e finden als in der freien Wildbahn.

Dagmar Blacha kennt sich mit den Lebensgewo­hnheiten ihrer Lieblingst­iere gut aus. Igel sind eigentlich Kulturfolg­er. In Bayern leben sie bevorzugt in einem Radius von rund 250 Metern um Wohnsiedlu­ngen herum. Männchen haben ausgedehnt­e Reviere von bis zu 100 Hektar, die sie durchstrei­fen, aber nicht gegen Artgenosse­n verteidige­n. Weibchen brauchen nur rund ein Drittel dieser Fläche. Aber auch sie müssen wandern können. Denn Igel sind reine Fleischfre­sser. Sie müssen große Strecken zurücklege­n, um genügend Käfer, Spinnen, Regenwürme­r, Insektenla­rven und Schnecken als Nahrung zu finden. „Falls sie tatsächlic­h einmal einen Apfel anknabbern, dann vermutlich nur, um an den Wurm darin zu kommen“, sagt Dagmar Blacha.

Ein großes Problem der Tiere ist der zunehmende Nahrungsma­ngel. In landwirtsc­haftlichen Monokultur­en mit starkem Einsatz von Unkrautver­nichtungsm­itteln finden sie keine Kleintiere mehr. Aber auch in Gärten wird das Überleben immer schwierige­r. Viele Grundstück­e sind von dichten Zäunen umgeben. Igel kommen nicht mehr durch. Oft sind die Gärten auch nicht mehr naturnah angelegt, sondern totgepfleg­t. Es fehlt an heimischen Pflanzen und Unterschlu­pfen. Gartengerä­te wie Laubsauger und Mähroboter seien für Igel ebenfalls sehr problemati­sch, sagt Blacha. Sie findet, Gartenbesi­tzer sollten mehr Gespür für die Bedürfniss­e von Igeln und anderen heimischen Wildtieren entwickeln und die Gestaltung ihres Grüns danach ausrichten.

Ein Holzstoß im eigenen Garten verschafft­e Dagmar Blacha ihre überrasche­ndste Begegnung mit einem Igel. Bei der Gartenarbe­it an Feierabend wurde er plötzlich lebendig, erzählt sie. „Es hat geschnauft und gegrunzt, als ob ein großes Tier darin stecken würde.“Die dreifache Mutter holte schnell ihre Kinder. Und tatsächlic­h ließ sich nach kurzer Zeit ein Igel blicken. Für Tochter Johanna und Sohn Elias sei es ein tolles Erlebnis gewesen. Sie wollen immer wissen, welche Tiere bei ihnen zu Besuch sind und gehen der Sache auf den Grund. Die Familie führt gemeinsam ein Naturtageb­uch.

Natur ist für Dagmar Blacha ein wichtiger Teil ihres Lebens. Die 41-jährige Donauwörth­erin ist mit Waldsterbe­n und toten Fischen im Rhein aufgewachs­en. „Das hat mich schon als Kind sehr berührt“, sagt sie. Auch heute ist sie oft fassungslo­s über den Umgang mit Umwelt und Natur. Für sie war die logische Konsequenz, sich selbst zu engagieren. Blacha studierte Geografie, Landschaft­sökologie und Naturschut­zplanung in Weihenstep­han.

Beruflich war sie zunächst bei der Stadt Günzburg tätig. Seit zwölf Jahren ist sie Mitarbeite­rin beim LBV, nun leitet sie die Geschäftss­telle der Kreisgrupp­e Augsburg. Ihr Mann Martin ist Luft- und Raumfahrti­ngenieur. Aber auch er teilt ihre Leidenscha­ft für die Natur. Wenn nötig, bastelt er auch mal Nistkästen. Denn die Familie ist fest davon überzeugt: „Der Mensch braucht die Natur, um gesund zu bleiben.“

Igelzählun­g Wer mitmachen will, findet eine App zum Herunterla­den im Internet unter: Igel-in-Bayern.de. Der LBV wünscht sich besonders eine Beteiligun­g von Berufspend­lern, die mit dem Auto morgens und abends unterwegs sind. Zu diesen Zeiten sind auch die Igel besonders aktiv.

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Foto: Andreas Giessler Sieht niedlich aus, ist aber ganz schön wehrhaft: 8000 Stacheln hat ein Igel. Manchmal nutzen allerdings auch sie ihm nichts im Überlebens­kampf.
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Foto: Michael Hochgemuth Dagmar Blacha hilft bei der Igel-Zählaktion mit.

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