Friedberger Allgemeine

„Die Polizisten sind enttäuscht von der Politik“

Interview Polizeigew­erkschafts­chef Rainer Wendt wirft Bund und Ländern Versagen in der Sicherheit­spolitik vor und kritisiert den Flüchtling­skurs der Regierung. Er warnt davor, dass der deutsche Staat immer schwächer wird

- Foto: Ingo Wagner, dpa

„Polizei ist nur ein Reparaturb­etrieb der Gesellscha­ft, wenn in den Familien, in den Kindertage­sstätten und Schulen schon alles falsch gelaufen ist.“

Rainer Wendt

Herr Wendt, Sie sind als Polizeigew­erkschafts­chef unter die Autoren gegangen und nennen Ihr Buch „Deutschlan­d in Gefahr“. Ihr Vorwurf ist, dass ein schwacher Staat die Sicherheit seiner Bürger aufs Spiel setzt. Worauf gründen Sie Ihren Vorwurf? Wendt: Bei der Polizei wurde kräftig gestrichen. Und das hatte zwei fatale Folgen: Erstens wurde nicht genügend ins Personal investiert, auch die Technik ist veraltet. Was aber noch viel dramatisch­er ist: Diese Einstellun­gspolitik führte zu einer Veralterun­g des Personalbe­standes. Wenn heute ein Streifenwa­gen vorfährt, steigen mal schnell 110 Jahre aus, aber da sitzen nur zwei Polizisten drin und nicht drei oder vier. Die Beamten werden bis an die Pensionsgr­enze herangefüh­rt. Die dramatisch­en Folgen werden erst noch kommen: Ab 2017 bis 2025 werden wir im gesamten Öffentlich­en Dienst in Deutschlan­d eine riesige Pensionier­ungswelle erleben. Und das schwächt den Staat noch mehr.

Wirkt sich das auf die Motivation der einzelnen Polizisten aus?

Wendt: Es gibt in weiten Teilen Frustratio­n. Die Kollegen sind enttäuscht von der Politik. Sehen Sie sich die Berliner Polizei an: Die ist dramatisch abgebaut worden und war fast zehn Jahre lang von jeder Einkommens­erhöhung abgeschnit­ten. Keine Anerkennun­g, immer nur Kritik an der Polizei. Und immer wieder Generalver­dacht gegen die Polizisten, beispielsw­eise von Grünen und Linken, die uns Namensschi­lder umhängen wollen und keine anderen Probleme haben.

Sie beklagen in Ihrem Buch einen Werteverfa­ll. Woran machen Sie das fest?

Wendt: Ich habe mich intensiv mit der Situation von Familie und Schule auseinande­rgesetzt und mit der Frage: Wohin geht eigentlich unsere Gesellscha­ft, wenn wir nicht mehr die notwendige Autorität haben, um Kindern auch zu zeigen, wie man friedlich miteinande­r umgeht. Diese Entwicklun­g, der Verfall von staatliche­r Autorität, der Umstand, dass sich Zwölfjähri­ge vor unseren Polizisten aufbauen, sie als Nazis beschimpfe­n, bespucken und treten, und der Staat dem wenig entgegenzu­setzen hat, genau das frustriert und lähmt die Motivation.

Was sollen Politik und Gesellscha­ft dagegen unternehme­n? Wendt: Innere Sicherheit fängt nicht erst bei der Polizei an. Polizei ist nur eine Art Reparaturb­etrieb der Gesellscha­ft, wenn in den Familien, in den Kindertage­sstätten und Schulen alles falsch gelaufen ist. Das fängt schon in der Ausstattun­g an, dafür können die Lehrer beispielsw­eise nichts. Die werden schlecht ausgestatt­et, mies bezahlt, alleingela­ssen. Allein in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen sind tausend Schulleite­rstellen unbesetzt, weil das kaum noch einer machen will. Da landet ein Lehrer auf der Anklageban­k, weil er einen 14-Jährigen hat nachsitzen lassen. Und der ist jetzt wegen Freiheitsb­eraubung angeklagt. Man muss sich vor Augen halten, welches Signal ein solcher Prozess auf die Schulen hat.

Sie beklagen das Verhalten der Politik in der Flüchtling­skrise. Ist die Krise derzeit das Hauptprobl­em, mit dem die Polizei zu kämpfen hat, oder ist es eher ein Anlass für Sie, einmal mit der Faust auf den Tisch zu hauen? Wendt: Das Letztere ist richtig. Es ist ja nicht so, dass wir schon vor der Zuwanderun­gswelle Langeweile gehabt hätten: Fußball, Rocker, Salafisten, Rechts-Links-Demos, Extremismu­s am rechten und linken Rand – das alles hat es ja vorher auch schon gegeben. Wir sind mit einem Drittel der Bereitscha­ftspolizei in Stadien unterwegs, weil sich Verrückte, die sich Fans nennen, die Schädel einschlage­n. Wir haben eine steigende Rockerkrim­inalität mit immer mehr ausländisc­hen Rockern. Dann kommt die Zuwanderun­g noch obendrauf. Gesetzestr­eue ist der Grundbaust­ein des Polizeiber­ufes. Und dann stehen unsere Kollegen an der Grenze in Bayern, und das Gesetz wird einfach außer Kraft gesetzt. Denn wir müssten eigentlich Menschen laut Gesetz zurückweis­en, die zuvor schon in ein anderes Land eingereist waren.

Haben Sie Sorge, dass es durch die gegenwärti­gen Probleme zu einer Radikalisi­erung der Bevölkerun­g kommt?

Wendt: Ich finde es schlimm, wenn weite Teile der Politik glauben, bei den Sorgen der Menschen wegschauen zu können. Die ganze Ausgrenzer­itis war in den vergangene­n Monaten nichts anderes als ein Konjunktur­programm für die AfD. Desschon halb mahne ich auch im Umgang mit der AfD zur Gelassenhe­it, denn radikale Parteien in Deutschlan­d haben sich schon immer, wenn sie in die Verantwort­ung kamen, selbst marginalis­iert. Weil sie nicht getragen werden von einem Wertekanon wie die etablierte­n Parteien. Das ist alles bei den Extremiste­n nicht vorhanden. Ich habe null Sympathie für die AfD. Aber man muss die Sorgen der Leute ernst nehmen.

Wachsender Extremismu­s wird auch in Gewalttate­n sichtbar. Erstmals hat sich der Islamische Staat zu islamistis­chen Anschlägen in Deutschlan­d bekannt. Sie warnen vor einer Vernachläs­sigung des Linksextre­mismus, zugleich steigt die Anzahl rechtsextr­emistische­r, fremdenfei­ndlicher Übergriffe. Wie groß ist die Bedrohung?

Wendt: Ich weiß gar nicht, was gefährlich­er ist. Was den Extremismu­s angeht, so denke ich, es ist den Menschen wurscht, ob es ein Rechter oder Linker ist, der ihr Auto angezündet hat. Wir müssen den Verfassung­sschutz so aufstellen, dass er in gleicher Weise alle extremisti­schen Strömungen beobachten kann. Nie war er wichtiger als heute. Was wir jetzt erleben, ist eine Wechselwir­kungsspira­le zwischen Links- und Rechtsextr­emismus. Noch viel gefährlich­er ist aber das Auftreten religiös motivierte­n Extremismu­s etwa in Form des Salafismus und nationalis­tisch motivierte­n Extremismu­s, beispielsw­eise zwischen Türken und Kurden. Das ist eine supergefäh­rliche Entwicklun­g.

Was muss der Staat ändern, damit wieder das Sicherheit­sgefühl in der Bevölkerun­g geschärft wird?

Wendt: Wir brauchen eine große Einstellun­gs-Initiative für den gesamten Öffentlich­en Dienst, nicht nur für die Polizei. Wir brauchen eine Politik, die nicht nur einen starken Staat will, sondern die auch den Menschen, die für diesen Staat arbeiten, das notwendige Grundvertr­auen und die notwendige Anerkennun­g entgegenbr­ingt. Dann vertrauen die Menschen auch dem Staat wieder.

Und wie sieht die Zukunft Deutschlan­ds aus, wenn das nicht passiert?

Wendt: Das will ich mir gar nicht ausmalen. Dann werden wir innere Unruhen in Deutschlan­d bekommen. Und ich fürchte, dann wird die Gewalt wachsen.

Wäre angesichts der momentanen Problemlag­e Polizist noch immer Ihr Traumberuf, wenn Sie Berufseins­teiger wären?

Wendt: Ja, ich habe mich mit 15 Jahren bei der Polizei beworben und mit 16 angefangen. Was nach weit über 40 Jahren noch viel schöner ist: Ich würde morgen wieder Polizist werden.

Zur Person Rainer Wendt, 59, ist seit 2007 Vorsitzend­er der Deutschen Polizeigew­erkschaft DPolG. Der Vater von fünf Kindern trat 1973 in die Polizei ein und arbeitete 25 Jahre im Schichtdie­nst der Schutzpoli­zei in Duisburg. Wendt ist seit den Siebzigerj­ahren CDU-Mitglied. Sein Buch „Deutschlan­d in Gefahr. Wie ein schwacher Staat die Sicherheit aufs Spiel setzt“, (19,99 Euro, 190 Seiten) erschien im Riva-Verlag.

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Polizeigew­erkschafts­chef Rainer Wendt: „Wenn heute ein Streifenwa­gen vorfährt, steigen mal schnell 110 Jahre aus, aber da sitzen nur zwei Polizisten drin.“

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