Friedberger Allgemeine

Auf Burka-Jagd in der Schweiz

In Deutschlan­d wird noch diskutiert, im Nachbarlan­d ist die Vollversch­leierung zum Teil schon verboten. Wer im Kanton Tessin von der Polizei erwischt wird, muss zahlen. Und das könnte erst der Anfang sein

- Foto: Pablo Gianinazzi, dpa

Lugano Nur einige Meter weiter südlich wäre ihr nichts passiert. Doch die Frau in der Niqab, die kürzlich in Chiasso unweit der Grenze zu Italien vor einem Restaurant von Polizisten angehalten wurde, befand sich noch auf dem Boden des Schweizer Kantons Tessin. Dort sind Burkas wie alle anderen Formen der Gesichtsve­rschleieru­ng in der Öffentlich­keit seit dem 1. Juli verboten. Anstandslo­s zahlte die Frau 100 Franken (92 Euro) Strafe – und legte danach ihren Schleier ab.

Die Touristin aus Kuwait war die erste Frau, die für einen Verstoß gegen das Tessiner Burka-Verbot zur Kasse gebeten wurde. Weil sie mutmaßlich keine Kenntnis davon hatte, keinen Widerstand leistete und nicht als „Wiederholu­ngstäterin“einzustufe­n war, kam die Araberin mit der Mindestbuß­e davon. Die Höchststra­fe für Vollversch­leierung im freien Raum beträgt im Tessin 10 000 Franken. Sie gilt für Burkaoder Niqab-Trägerinne­n genauso wie für vermummte Hooligans oder Demonstran­ten. Lange hatten die Tessiner darüber gestritten.

Ähnlich wie in Deutschlan­d erklärten Befürworte­r, angesichts der Terrorgefa­hr könne eine Vollversch­leierung nicht akzeptiert werden. Andere forderten das Verbot, weil Burka und Niqab „Instrument­e der Unterdrück­ung von Frauen“seien. Gegner des Einsatzes von Polizisten als „Schleierlü­fter“warnten unter anderem vor Einbußen für die Tourismusi­ndustrie. Das Tessin ist mit malerische­n Bergen und mediterran­em Klima und guter Küche eine beliebte Ferienregi­on. In großer Zahl kommen auch betuchte Touristen aus arabischen Ölstaaten in den Kanton. Das hielt eine klare Mehrheit der Tessiner nicht davon ab, 2013 mit über 65 Prozent für ein strenges Burka-Verbot zu stimmen. Einen Monat nach dem Inkrafttre­ten im Juli 2016 zog Kanton Bilanz – und gab Entwarnung: Mit der Durchsetzu­ng des Verbots gebe es fast keine Probleme, erklärte der Polizeiche­f von Lugano, Michele Bertini. Bußen seien seltene Einzelfäll­e. „Wenn man den arabischen Touristen gut erklärt, dass die Autorität des Kantons – das Parlament – dies beschlosse­n hat, wird das Verhüllung­sverbot gut beSeen, folgt“, sagt der Polizeiche­f. Auch aus der Tourismusb­ranche ist Aufatmen zu vernehmen.

„Die arabischen Gäste sind gut informiert und zeigen große Bereitscha­ft, die Regeln zu respektier­en“, berichtete der Präsident des Hotellerie­verbandes, Lorenzo Pianezzi, in der Zeitung Möglicherw­eise wird die polizeilic­he „Enthüllung­sder mission“nicht auf den Kanton Tessin beschränkt bleiben. Seit einigen Wochen läuft eine Unterschri­ftensammlu­ng für eine Volksabsti­mmung über ein nationales Verbot der Vollversch­leierung. Mehr als 30 000 haben die Initiatore­n bereits gesammelt. Insgesamt werden für ein Referendum im ganzen Land 100000 Unterschri­ften benötigt. Dass sie zusammenko­mmen, bezweifelt kaum jemand.

Lanciert wurde die landesweit­e Burka-Volksiniti­ative vom „Egerkinger Komitee“. Diese politische Gruppierun­g, die maßgeblich von der nationalko­nservative­n Schweizeri­schen Volksparte­i (SVP) getragen wird, hatte schon einmal weltweit

Die Höchststra­fe liegt bei 10 000 Franken Gaddafi drohte mit „Heiligem Krieg“

für Schlagzeil­en gesorgt: 2009 stimmten die Schweizer mit 57 Prozent für ein von den „Egerkinger­n“initiierte­s Verbot des Baus von Minaretten. Seinerzeit brach eine Welle der Empörung über die Schweiz herein. Doch die ist längst vergessen, ebenso wie der Aufruf des damaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi zum „Heiligen Krieg“gegen die Schweiz als Strafe für das Minarett-Votum.

Derweil ähneln die teils kontrovers­en Schweizer Debatten über ein nationales Burka-Verbot mit ihrem Für und Wider durchaus jenen in Deutschlan­d. Einen augenfälli­gen Unterschie­d gibt es allerdings: In der Schweiz, dem Mutterland der direkten Demokratie, wird darüber letzten Endes nicht die Regierung, sondern das Volk entscheide­n.

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Die Polizei in Locarno ermahnt eine Frau, die aus Protest gegen das neue Gesetz ihr Gesicht verhüllt hat. Andere Kantone könnten dem Tessiner Anti-Burka-Gesetz bald folgen.

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