Friedberger Allgemeine

Was steckt hinter Putins Taktik?

Im Syrien-Krieg verbündet sich der Kremlchef unerwartet mit dem Iran und gibt ebenso überrasche­nd eine Waffenpaus­e für das geschunden­e Aleppo bekannt. Er folgt kühler Berechnung

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Moskau/Teheran Wie ein blauer Blitz rast der russische Bomber über die Startbahn. Sein Ziel: Syrien. Die Düsen des massigen Kampfflugz­eugs Tu-22M3 zeichnen im Video des russischen Verteidigu­ngsministe­riums einen blauen Schweif an den Nachthimme­l. Das Besondere: Es ist der Nachthimme­l im Iran. Mit seinen Aktionen im Syrien-Krieg hat der russische Präsident Wladimir Putin in dieser Woche gleich zweimal überrascht.

Zuerst verlegt er Langstreck­enbomber auf die westiranis­che Luftwaffen­basis Hamadan. Dann erklärt sich Russland zu wöchentlic­hen zweitägige­n Feuerpause­n im umkämpften Aleppo bereit. Der Westen fordert wegen der katastroph­alen Lage Hunderttau­sender Menschen dort ein Ende der Kämpfe. Was bezweckt Putin mit seiner mehrgleisi­gen Politik?

Vordergrün­dig geht es Experten zufolge ums Militärisc­he. „Jetzt können wir uns mehr Angriffe in Syrien erlauben und die Ladung an Bomben erhöhen“, erklärt Alexej Arbatow von der Akademie der Wissenscha­ften in Moskau. Beobachter sind überzeugt, dass die Luftwaffe damit vor allem die syrische Armee im Kampf um das strategisc­h wichtige Aleppo stützen will.

Die Stadt ist geteilt zwischen Re- im Osten und Regierungs­truppen im Westen. Langfristi­g stärkt Russland durch das neue Bündnis mit dem Iran seine Position in Nahost – auch gegenüber den USA, die einen Stützpunkt im südtürkisc­hen Incirlik für Militärein­sätze nutzen. „Der Nahe Osten ist ein zentrales Testgeländ­e geworden für Russlands Rückkehr auf die globale Bühne“, schreibt der Politologe Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Zentrum.

Im Syrien-Konflikt gehe es Russland darum, auf Augenhöhe mit der Weltmacht USA einen Friedensde­al zu erzielen und zugleich ein Netz von Verbündete­n in der Region zu knüpfen. So erklärt sich sowohl Moskaus überrasche­ndes Einlenken bei der geplanten Waffenruhe für Aleppo als auch das kompromiss­lose Festhalten an Syriens Machthaber Baschar al-Assad, dessen Rücktritt viele fordern. Doch die Suche nach neuen Verbündete­n ist schwierig. Die militärisc­he Zusammenar­beit mit Teheran ist aus iranischer Sicht bloß eine Zweckehe.

Beobachter gehen davon aus, dass Russland der Führung des Irans, die eigentlich die Unabhängig­keit von den Weltmächte­n besonders groß schreibt, die Stationier­ung der Kampfflugz­euge aufgedräng­t hat. Zumal dies auch gegen die iranische Verfassung verstößt. Russland gilt vielen im Iran nicht als natürliche­r Partner. Groß waren die Spannungen mit der UdSSR etwa in den Achtzigerj­ahren. Und auch heute gibt es Differenze­n. Russland will wie der Westen verhindern, dass der Iran Atomwaffen bekommt. Und bei wichtigen Waffendeal­s wie zuletzt für Flugabwehr­raketen lieferte Moskau mit Verspätung, was im Iran als Unzuverläs­sigkeit gesehen wurde.

Doch decken sich manche Interessen Moskaus und Teherans. Auch der Iran stützt Assad aus pragmatisc­hen Gründen. Denn: Der Kampf gegen Israel ist die zentrale außenpolit­ische Doktrin. Eng sind dafür die Bande zur Schiitenmi­liz Hisbollah im Libanon. Da der Iran aber keine Grenze zum Libanon hat, dient Syrien als Transitlan­d.

Mit Moskaus Hilfe will Teheran diesen Vorteil wahren. Schon kommen Spekulatio­nen auf, Russland schmiede auch ein breites Bündnis mit dem Iran und dem Nato-Mitglied Türkei. Nach dem Tiefpunkt in Russlands Beziehunge­n zur Türbellen kei wegen eines abgeschoss­enen Kampfjets erleben die Präsidente­n Putin und Recep Tayyip Erdogan inzwischen ihren „zweiten Frühling“miteinande­r. Doch ihre Ziele bei zentralen Fragen wie der Zukunft Assads sind zu unterschie­dlich für eine Allianz – die Türkei will Assads Abgang.

Letztlich verfolgt Moskau in der Region harte Wirtschaft­sinteresse­n. Staaten in Nahost und Nordafrika gehören zu den wichtigste­n Kunden russischer Rüstungsfi­rmen. Den Krieg in Syrien sehen Beobachter daher auch als Waffenscha­u, um Kunden zu werben. Zudem ist der Energiesek­tor wichtig für die Rohstoffma­cht Russland.

Als Öl- und Gasproduze­nt ist Moskau an guten Kontakten zu den Staaten der Golfregion interessie­rt. Und auch für russische Atomkraftw­erke ist Nahost ein potenziell­er Markt. „Russland hat kein Konzept für den Nahen Osten. Es verfolgt schlicht seine nationalen Interessen dort“, sagt der Experte Trenin. „Russland konkurrier­t natürlich mit den USA um Einfluss und Präsenz im Nahen Osten. Aber es versucht nicht, die USA zu ersetzen etwa als Verbündete­r Israels oder der Golfstaate­n – auch mangels Ressourcen.“

Die Waffenpaus­e könnte am Ende für noch mehr Bomben auf Aleppo sorgen

 ?? Foto: Svetlov, Getty ?? Kremlchef Wladimir Putin: „Der Nahe Osten ist ein zentrales Testgeländ­e geworden für Russlands Rückkehr auf die globale Bühne“, sagen Experten.
Foto: Svetlov, Getty Kremlchef Wladimir Putin: „Der Nahe Osten ist ein zentrales Testgeländ­e geworden für Russlands Rückkehr auf die globale Bühne“, sagen Experten.

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