Ein ganzes Dorf steht auf die Kultur im Stadl
Über 20 Jahre lang stand der Bauernhof in der Ortsmitte von Wörleschwang leer. Zwei Paare haben ihn wieder belebt – und sind selbst überrascht von ihrem Erfolg
Wörleschwang Kürzlich, an einem Freitag, da haben die Leute den Kulturstadl fast überrannt. Mehr als 100 Menschen kamen zum Weißwurstfrühstück in die Ortsmitte von Wörleschwang. Es war ein ganz normaler Vormittag. Gut, es sind Ferien und es war schlechtes Wetter. Aber Wörleschwang hat nur 689 Einwohner. Da sind 100 Weißwurstesser eine ganze Menge – und eine Herausforderung für die Gast- geber. Und vor allem: ein großes Kompliment.
Vor knapp einem Jahr haben zwei Paare den Kulturstadl in Wörleschwang, einem Ortsteil von Zusmarshausen im Landkreis Augsburg, eröffnet. „Wir sind völlig geplättet von dem Echo“, sagt Horst Fritze, einer der vier Gründer, elf Monate später. Der gebürtige Nordrhein-Westfale ist vor sieben Jahren mit seinem Partner Björn Eberle in den Ort gezogen. Bald lernten die beiden Rika und Anton Hirle kennen. Und hatten gemeinsam eine Idee: den Kulturstadl.
1990 hatte Familie Hirle die dortige Landwirtschaft aufgegeben. Über 20 Jahre lang stand der Hof in der Ortsmitte leer – ein Anblick, wie man ihn mittlerweile aus vielen Dörfern kennt. Doch die Wörleschwanger erkannten das Potenzial. Hier sollte ein gemütlicher Treffpunkt mit Kultur und Gastronomie entstehen.
Die Voraussetzungen waren gut: Horst Fritze ist Kulturfan und Innenarchitekt, Björn Eberle Visagist und Hotelfachmann. Rika Hirle wollte sowieso schon lange ein Café eröffnen, und ihr Mann kann handwerklich eigentlich alles. Fast ein Jahr lang haben die beiden Paare dann den Hof umgebaut. Sie dämmten den alten Stadl, bauten Fenster und eine Bühne ein, installierten Licht- und Tontechnik. Der Hof hat seinen alten Charakter behalten, ist aber nun für Feiern und Auftritte ausgerüstet. Bis zu 100 Menschen haben hier Platz. In dem ehemaligen Kuh- und Schweinestall nebenan ist ein gemütliches Café mit Küche und Bar entstanden.
Vom ersten Tag an war hier voller Betrieb, erzählt Horst Fritze und kann es selbst gar nicht richtig glauben, wie gut bisher alles lief. Und es wird immer besser. Bis zum Ende des Jahres ist im Kalender kein Wochenende mehr frei. Der Stadl ist für Familienfeiern gebucht und bis zu viermal im Monat gibt es öffentliche Kulturveranstaltungen.
Die Bandbreite ist groß: Countryund Gospelsänger waren schon da, Kabarettisten, Magier, ein Gitarrenduo und ein Saxofonquartett. Es gab mehrere Autorenlesungen, einen Faschingsball und zur Fußball-EM Public Viewing.
Der absolute Publikumsliebling ist aber die „Stianghausratschn“, erzählt Fritze: Mit ihrem bayerischen Musikkabarett ist Roswitha Spielberger Ende September schon zum vierten Mal zu Gast – und die Veranstaltung ist seit Wochen ausverkauft. Auch einer der Betreiber steht übrigens immer wieder auf der Bühne: Björn Eberle ist Travestiekünstler, im September unterhält er als Serina Thayler im Dirndl sein Publikum.
Die Gäste kommen mittlerweile sogar aus den Städten in der Umgebung – und auch aus Wörleschwang selbst, was eigentlich die größte Anerkennung ist, sagt Horst Fritze. „In den umliegenden Orten hat ja fast alles zugemacht, auch viele Traditionsgasthäuser. Da sind die Leute heilfroh, dass es hier wieder was gibt.“Und so ist Wörleschwang in der seltenen Lage, dass das Dorf mit knapp 700 Einwohnern zwei Gaststätten hat: einen Landgasthof und eben den Kulturstadl. Bei schönem Wetter sitzen hier auch unter der Woche viele Leute beim Frühstück, mit Blick auf den Kirchturm, das Storchennest und die zahlreichen Kunstwerke, die überall auf dem Hof stehen.
„Wir brauchen jetzt dringend Personal“, sagt Fritze. Denn zu viert und mit ein paar Aushilfskräften können sie den Betrieb bald nicht mehr stemmen. Richtig Urlaub haben sie schon lange nicht mehr gehabt. Jetzt feiert der Kulturstadl Ende September erst mal seinen ersten Geburtstag mit einer Irischen Woche. Danach sind zehn Tage Betriebsferien – Zeit zum Durchschnaufen. Und bestimmt für ein paar neue Ideen.