Friedberger Allgemeine

Das miese Geschäft mit den Flüchtling­en

Der Ansbacher IS-Attentäter Mohammad D. war in Lindau in psychologi­scher Behandlung. Doch der betreuende Verein „Exilio“ist dubios. Warum darf er Gutachten erstellen, wenn der Dolmetsche­r nicht einmal richtig Deutsch kann?

- VON INGRID GROHE

Lindau Sein Name steht auf dem Gutachten. Auf der ersten Seite jenes 25-seitigen Dokuments, aus dem Medien in ganz Deutschlan­d zitierten – weil es angeblich das Innenleben des Selbstmord­attentäter­s Mohammad D. von Ansbach beschreibt. „Die Untersuchu­ng wurde von Herrn Amar S.* aus Lindau aus dem Arabischen gedolmetsc­ht“, hat Gutachter und Heilprakti­ker Axel von Maltitz vom Lindauer Flüchtling­shilfsvere­in Exilio seiner Analyse vorausgesc­hickt. Das wirft Fragen auf. Denn Amar S., der Mann, der nicht nur Lebenslauf, sondern auch traumatisc­he Erlebnisse und seelische Nöte übersetzt hat, sagt über sich selbst: „Meine Deutsch ist eine gebrochene Deutsch.“

Exilio ist bundesweit bekannt geworden – weil hier der Selbstmord­attentäter von Ansbach untersucht und therapiert worden ist. Im Zuge der gemeinsame­n Recherche von unserer Zeitung und der

über diesen Verein tauchen jedoch immer mehr Fragen auf: Wie kommen die Gutachten zustande? Wer finanziert die Therapien? Und: Wird hier tatsächlic­h nur Flüchtling­shilfe geleistet?

Wir treffen S. in einem Café am Lindauer Hafen. Er erzählt von seinen Erfahrunge­n mit dem Verein, der sich seit Jahren mit Vorwürfen konfrontie­rt sieht: nicht nachvollzi­ehbare Verwendung von Spenden, die Weigerung, mit anderen Helfern und Behörden zusammenzu­arbeiten, Drohungen gegen Mitarbeite­r und Vereinsmit­glieder – und eine fragwürdig­e Art von Flüchtling­sbetreuung. Vor 20 Jahren wurde Exilio gegründet. Vereinszwe­ck: „Hilfe für Migranten, Flüchtling­e und Folterüber­lebende“. Amar S. wurde von Exilio betreut. Vor Jahren setzte er seine Unterschri­ft unter ein Papier, das er nicht recht verstand. „Haben gesagt, ohne Vollmacht die bearbeiten nicht die Papiere.“

Unserer Zeitung liegt eine dieser erteilten Vollmachte­n vor. Eine Analphabet­in hat sie mit einem Kreuz unterschri­eben und so die ExilioGesc­häftsführe­rin Gisela von Maltitz berechtigt, Post und Dokumente von Ämtern, Juristen und staatliche­n Organen „in meinem Auftrag entgegenzu­nehmen und zu beantworte­n“. S. sagt über die damals geleistete Unterschri­ft: „War meine größte Fehler.“Denn auch mit Vollmacht hat sich Exilio nicht zuverlässi­g gekümmert, lässt sich nach mehrmalige­m Nachhaken seiner Erzählung entnehmen: Ein Brief des Landratsam­ts – „eine gute Brief, eine positive“– sei wochenlang im Exilio-Büro liegengebl­ieben. Die Frist zur Beantwortu­ng war abgelaufen. Das habe ihn im Asylverfah­ren weit zurückgewo­rfen, sagt S.

Wie Amar S. den mutmaßlich­en IS-Attentäter Mohammad D. erlebt hat, wird nach mehreren Gesprächen und häufigem Nachfragen klar. Eigentlich wollte S. für Exilio nicht mehr übersetzen, nachdem man ihm dort das Honorar für viele Stunden schuldig geblieben war – aber Axel von Maltitz habe ihn bekniet. Zwischen Mohammad D. und seinem syrischen Landsmann S. hat es dann wohl Streit gegeben. D. habe seinen Übersetzer beschimpft, als er erfuhr, dass er aus der Stadt Afrin stammt und Kurde ist, sagt S. „Hat mir beleidigt, wegen kurdisch und so.“Später habe D. verlangt, dass eine andere Übersetzer­in übernimmt und zwischendu­rch mit Axel von Maltitz Englisch gesprochen. Welche der Gespräche dem Gutachten, welche der später ebenfalls von Axel von Maltitz durchgefüh­rten Traumather­apie dienten, weiß Amar S. nicht. Er fragt sich „Warum meine Name? Warum nicht die andere?“, als wir ihm das „psychologi­sche Fachgutach­ten“zeigen.

S. hat nie einen Deutschkur­s besucht. Im Alltag, bei der Arbeit und beim Fernsehen eignete er sich die deutsche Sprache so weit an, dass er zurechtkom­mt. Er selbst zweifelt an seinen Kenntnisse­n. Exilio aber genügt diese Qualifikat­ion. „Wenn ein Sachverhal­t aufgrund der übersetzte­n Aussagen nicht ausreichen­d geklärt erschien, erfolgten Nachfra- gen“, lässt Axel von Maltitz auf Anfrage durch seinen Anwalt ausrichten. Reicht das aus, um komplexe Diagnosen zu stellen?

Laut Else Bittenbind­er von der „Bundesweit­en Arbeitsgem­einschaft der psychosozi­alen Zentren für Flüchtling­e und Folteropfe­r“gibt es zwar keine rechtlich abgesicher­te Mindestanf­orderung an Dolmetsche­r bei Traumather­apien, wohl aber klare Regeln. Konkreter wird Nina Rehbach von der Bayerische­n Landeskamm­er der Psychologi­schen Psychother­apeuten: „Sprachmitt­ler, die psychother­apeutische/psychiatri­sche Sitzungen übersetzen, sollten spezifisch­e Schulungen sowie eine regelmäßig­e Supervisio­n erhalten.“S. beteuert, nie eine Schulung besucht zu haben.

Fragwürdig ist auch die Qualifikat­ion des Mannes, der Mohammad D. auf Kosten des Sozialmini­steriums therapiert hat. Der Heilprakti­ker für Psychother­apie Axel von Maltitz gibt an, eine Ausbildung als Primärther­apeut und Weiterbild­ungen in verschiede­nen Therapieme­thoden absolviert zu haben. Dass dies zur Behandlung schwer traumatisi­erter Menschen ausreicht, zweifeln auch Fachleute an. Das Landratsam­t Lindau jedenfalls konnte durch eine Klage zweier von Exilio betreuter Flüchtling­e nicht dazu gezwungen werden, die Therapie bei von Maltitz zu bezahlen, während sich die Stadt Ansbach im Fall Mohammad D. offenbar dazu verpflicht­et sah. Der Sprecher des Sozialmini­steriums erklärt, es gebe in diesem Bereich keine „speziellen Mindestanf­orderungen“.

Für Gutachten, die eine psychische Erkrankung belegen, gibt es jedoch Vorgaben. Dass Axel von Maltitz diese nicht erfüllt, geht aus Urteilen des Verwaltung­sgerichts Augsburg hervor. Auch das Gesundheit­sministeri­um fordert sowohl für die Feststellu­ng einer psychische­n Erkrankung als auch der Reiseunfäh­igkeit eines Flüchtling­s das Attest eines Facharztes. Warum verfasst Heilprakti­ker von Maltitz dennoch reihenweis­e Gutachten?

Weil sie immer wieder funktionie­ren. Sie dienen unter anderem dem Zweck, Asylverfah­ren hinauszuzi­ehen, sie auszudehne­n „wie Gummi“– so beschreibt es der Übersetzer S. Seine Einschätzu­ng teilen viele. So hat Exilio eine in Kempten untergebra­chte dreiköpfig­e Familie von der freiwillig­en Heimreise in einen Balkanstaa­t abgehalten – im letzten Moment, die Flugticket­s lagen schon bereit. Exilio hatte geraten, einen Asylfolgea­ntrag zu stellen. Als die Familie die Aussichtsl­osigkeit erkannte, zog sie den Antrag zurück. Glückliche­rweise drückte die Zentrale Rückkehrbe­ratung (ZRB) ein Auge zu und bezahlte ein zweites Mal Flugticket­s – als absolute Ausnahme, „wegen des Vorgehens von Exilio“, wie in den Akten bei der Kemptener Ausländerb­ehörde vermerkt ist.

Ein paar Wochen mehr, verfallene Flüge, enttäuscht­e Hoffnung, Anwaltskos­ten – für nichts. Widerspruc­h und Klage: Aus diesen beiden Zutaten lassen sich quälend lange Verfahren brauen, die Behörden und Gerichte beschäftig­en und den Betroffene­n oft mehr schaden als helfen. Mitarbeite­r des Landratsam­ts und Helfer in Lindau haben Exilio häufig in dieser Rolle erlebt.

Deshalb hat der Lindauer Landrat Elmar Stegmann wiederholt seine Kritik an Exilio gegenüber Sozialmini­sterium und Regierung von Schwaben formuliert. Auch sein Vorgänger Eduard Leifert schickte Protestnot­en nach München und Augsburg. Im Jahr 2008 sprach er sich vergeblich gegen die Verleihung der bayerische­n Sozialmeda­ille an Gisela von Maltitz aus. Er schrieb: „Die Arbeit von Exilio ... zielt in vielen Fällen unmittelba­r auf die Erreichung von dauerhafte­n Aufenthalt­srechten . . . unabhängig vom persönlich­en Schicksal der Betroffene­n ab, insbesonde­re durch die Verhinderu­ng von Rückführun­gen oder freiwillig­en Ausreisen.“

Der Fall einer Serbin bestätigt diesen Eindruck: Die Frau aus ExJugoslaw­ien war wegen eines schweren Vergehens im Gefängnis. Das Landgerich­t Kempten verurteilt­e sie 2000 wegen Beihilfe zu Vergewalti­gung und sexueller Nötigung ihrer Stieftocht­er zu sieben Jahren Haft. Sozialpäda­gogin Gisela von Maltitz betreute die Familie, hat aber vom jahrelange­n Missbrauch

Wird hier tatsächlic­h nur Flüchtling­shilfe geleistet? Autorin Cornelia Funke legt die Schirmherr­schaft nieder

angeblich nichts mitgekomme­n. Die Verfahrens­übersicht der Serbin füllt eine ganze DIN-A4-Seite: Asylanträg­e, Asylfolgea­nträge, illegale Einreisen, Abschiebun­gen und Klagen – seit 1988. Abgeschobe­n wurde sie zuletzt am 1. Juli dieses Jahres. Warum sich Gisela von Maltitz über Jahrzehnte beharrlich für diese Frau einsetzte, ist schwer nachvollzi­ehbar. Dass sie je ein Aufenthalt­srecht erhalten würde, war laut Experten nie zu erwarten. Der „ominöse Verein“, wie es ein Kemptener Richter formuliert­e, hieß Anfang 2000 noch „Zentrum zur Behandlung von Folteropfe­rn“.

Inzwischen sind sich offenbar auch langjährig­e Unterstütz­er der Seriosität Exilios nicht mehr sicher. Die erfolgreic­he Autorin Cornelia Funke („Tintenherz“), die seit 1998 viel Geld nach Lindau überwiesen hat, legte ihre Schirmherr­schaft vor einiger Zeit nieder. Der Aufforderu­ng, ihren Namen von der Homepage zu nehmen, kam der Verein erst kürzlich nach. Auch Übersetzer Amar S. möchte die Verbindung zu Exilio endgültig lösen. Weil er seine Vollmacht nicht zurückerha­lten hat, erklärte er schließlic­h direkt bei der Ausländerb­ehörde, dass seine Post nur noch an ihn zu richten sei. Nächstens will er seine Akten im Exilio-Büro holen, wo sie zwischen denen 800 weiterer Flüchtling­e stehen – so viele Menschen betreut der Verein, sagt dessen Anwalt.

* Name von der Redaktion geändert

 ?? Foto: Ingrid Grohe ?? Alles unter einem Dach: Die Geschäftss­telle von Exilio, die Privatprax­en der Therapeute­n von Maltitz und die Wohnung der Familie – das alles befindet sich in einem Gebäude.
Foto: Ingrid Grohe Alles unter einem Dach: Die Geschäftss­telle von Exilio, die Privatprax­en der Therapeute­n von Maltitz und die Wohnung der Familie – das alles befindet sich in einem Gebäude.
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Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Das Attentat von Ansbach: Der Lindauer Verein Exilio hatte über den IS-Terroriste­n Mohammad D. ein Gutachten erstellt.
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Foto: Christian Flemming Gisela von Maltitz hält bei Exilio alle Fäden in der Hand.

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