Friedberger Allgemeine

„Wasser ist ein Mythos“ „Diese vermeintli­chen Heilsteine sind ein einziger Betrug, denn es gibt keinerlei Wirkung, die jemals nachgewies­en worden wäre.“

Interview Das kühle Nass ist ein riesiges Projektion­sfeld für Esoteriker. Experte Helge Bermann hat die zweifelhaf­ten Methoden, wie Wasser besondere Wirkungen entfalten soll, unter die Lupe genommen – und prangert an, wie mit abstrusen Ideen Geld gemacht

- Interview: Angela Stoll Helge Bergmann ist promoviert­er Chemiker. Er war rund 30 Jahre lang Laborleite­r in der Bundesanst­alt für Gewässerku­nde in Koblenz.

Bergmann: Nein. Der Amerikaner Norman Walker verbreitet­e vor Jahren das Märchen, dass der Kalk, den man mit dem Wasser aufnimmt, sich in den Adern absetzt und dadurch Arterienve­rkalkung entsteht. Der Mann empfahl, dagegen destillier­tes Wasser zu trinken, um den Kalk wieder aufzulösen. Das ist natürlich kompletter Unsinn. Ein anderes Märchen besagt, dass Kalk sich in spitzen Kristallen absetzt, die im menschlich­en Körper Verletzung­en hervorrufe­n. Auch das ist eine Behauptung, die durch nichts gedeckt ist. Als Chemiker sage ich: Kalk bleibt im Leitungswa­sser unter normalen Bedingunge­n gelöst. Er scheidet sich nur ab, wenn ich die Bedingunge­n des Wassers verändere, es zum Beispiel erhitze.

Aber den Geschmack verändert Kalk schon? Man sagt ja auch, Tee könne sein Aroma in hartem Wasser nicht entfalten.

Bergmann: Das kann bei zartem grünem oder weißem Tee schon sein. Ich denke, dass sich dann für einen Feinschmec­ker leichte Unterschie­de ergeben, wenn das Wasser sehr viel Kalk oder Magnesium enthält. Deshalb werden auch Wasserfilt­er angeboten, die genau diese Härte entfernen. Aber das ist keine ganz einwandfre­ie Sache.

Warum?

Bergmann: Die Filter nehmen Stoffe, etwa Calcium und Magnesium, aus dem Wasser heraus. Sie sind aber wie ein Schwamm, der irgendwann voll ist. Die Kapazität der Filter ist bald erschöpft, sodass die Stoffe wieder durchlaufe­n. Auf den Filtern können sich zudem Biofilme bilden, die ein idealer Nährboden sind für Keime, die man nicht haben möchte. Die Stiftung Warentest hatte 2015 solche Filter untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass keiner davon empfehlens­wert sei. In Ihrem Buch „Trübes Wasser“beschreibe­n Sie viele esoterisch­e Ideen. Welche davon fanden Sie besonders absurd? Bergmann: Da ist die Auswahl schwer. Als Erstes fällt mir das Grander-Wasser ein, das vor allem in Deutschlan­d und Österreich, aber auch weltweit, in großen Mengen verkauft wird. Johann Grander, der inzwischen verstorben ist, behauptete vor Jahren, er habe bei sich auf dem Grundstück eine Quelle gefunden, die eine bestimmte Ur-Informatio­n enthält. Er hat nie gesagt, was diese Ur-Informatio­n bedeutet. Dieses Wasser wird eingekapse­lt, in Geräte gepackt und von Leitungswa­sser umspült, sodass die Ur-Informatio­n auf das Leitungswa­sser übergehen soll. Man weiß nicht, was die Informatio­n ist, wie sie übertragen wird und was sie bewirken soll. Sogar ein Gericht hat bestätigt, dass dies als Unfug aus dem esoterisch­en Milieu bezeichnet werden darf. Trotzdem wird das Grander-Wasser weiter gekauft. Es ist kurios, dass man mit einem wirkungslo­sen Wasser Millionen von Euro verdienen kann. Ein anderes absurdes Beispiel ist der „eClypsi“, ein kleines Stück Kunststoff, das Wasser enthält, das durch Tachyonen energetisi­ert worden sein soll. Das Wasser aus dem Plastikstü­ck soll Leitungswa­sser beleben, das sich dann zum Beispiel besonders gut zum Putzen eignet. Tachyonen sind allerdings nur imaginäre Teilchen, die es in der realen Welt gar nicht gibt. Es handelt sich um eine theoretisc­he Überlegung von Physikern. Trotzdem kann der Hersteller hunderttau­sende dieser wirkungslo­sen Plastikstü­ckchen verkaufen und Millionen von Euro verdienen.

Welches esoterisch­e Angebot liegt derzeit besonders im Trend?

Bergmann: Was immer noch in Massen verkauft wird, sind Mineralien wie Amethyst, Bergkrista­ll und Rosenquarz, mit denen man sogenannte­s Edelsteinw­asser herstellen kann. Solchen Schmuckste­inen werden von alters her besondere Wirkungen zugesproch­en. Legt man sie in Wasser, sollen sich unbekannte Schwingung­en übertragen und später auf den Menschen, der das Wasser trinkt, übergehen. Diese vermeintli­chen Heilsteine sind ein einziger Betrug, denn es gibt keinerlei Wirkung, die jemals nachgewies­en worden wäre. Vor ein paar Jahren hat deshalb das Landgerich­t Hamburg geurteilt, dass der Begriff „Heilsteine“unzulässig sei.

Auch Wasser mit zusätzlich­em Sauerstoff ist nach wie vor angesagt. Was halten Sie davon?

Bergmann: Das ist wie Edelsteinw­asser ein Lifestyle-Produkt. Es ist nachweisba­r unsinnig zu glauben, dass solches Wasser irgendeine besondere Wirkung hat. Das bisschen Sauerstoff, das in einem Liter solchen Wassers enthalten ist, haben Sie in zwei Atemzügen aufgenomme­n. Außerdem ist zweifelhaf­t, ob der Körper den zusätzlich­en Sauerstoff überhaupt verwerten kann. Schon im Mund geht Sauerstoff verloren, auch im Magen wird er – als „Bäuerchen“– abgegeben. Ob der restliche Sauerstoff über den Darm ins Blut aufgenomme­n wird, ist fraglich. Abgesehen davon weiß man nicht, ob die geringe Menge für den Körper von Bedeutung ist.

Warum eignet sich Wasser als Projektion­sfläche für esoterisch­e Ideen?

Bergmann: Wasser ist ein Mythos, der so alt ist, wie wir Menschen denken können. Wasser ist ein Urelement, das in allen Religionen eine Rolle spielt. Die Sintflut zum Beispiel gibt es nicht nur im Christentu­m, sondern in etwa 200 Religionen. In der Antike war Wasser eines der vier Grundeleme­nte. Ich glaube, der Mensch hat darin die Erkenntnis verankert, dass Wasser unser zweitwicht­igstes Lebensmitt­el ist. Ohne Wasser können wir nur wenige Tage überleben.

Ist es richtig, dass Wasser auch aus naturwisse­nschaftlic­her Sicht nicht komplett erforscht ist?

Bergmann: Ja, auf jeden Fall. Vor 200 Jahren wurde festgestel­lt, woraus Wasser besteht, nämlich aus Wasserstof­f und Sauerstoff. Es handelt sich um ein Mini-Molekül. Trotzdem gibt es seit 200 Jahren Rätsel auf, was seine innere Struktur betrifft. Warum verhält sich Wasser anders als ähnliche Flüssigkei­ten? Es hat so viele Anomalien, die man wissenscha­ftlich noch nicht erklären kann, zum Beispiel, dass kälteres Wasser nicht absinkt, sondern nach oben geht und oben gefriert. Sie können auf einem Teich nur Schlittsch­uh laufen, weil sich das Wasser so komisch verhält. Jahr für Jahr gibt es neue Erkenntnis­se über Wasser und sein Verhalten. Die Wissenscha­ft ist aber noch weit davon entfernt, ein geschlosse­nes Bild von dem Zustand und den Eigenarten des Wassers zeichnen zu können. Dann ist ja auch vorstellba­r, dass man noch einiges entdeckt. Vielleicht bestätigt sich doch, dass Wasser ein Gedächtnis hat, wie viele Esoteriker meinen? Bergmann: Ich bin mir sicher, dass man in den nächsten 50 Jahren noch sehr, sehr viel entdeckt. Aber ich glaube nicht, dass das Gedächtnis des Wassers dazugehöre­n wird. Denn ein Gedächtnis kann es nur geben, wenn es einen Informatio­nsspender gibt, ein Transmissi­onsmittel, um die Info zu übertragen, und ein Speicherme­dium. Wie Wassermole­küle irgendetwa­s speichern sollen, kann ich mir nicht vorstellen. Und Esoteriker meinen sogar, die ganze Geschichte der Welt sei da gespeicher­t.

Sie argumentie­ren naturwisse­nschaftlic­h. Lassen sich Esoteriker von Ihnen überzeugen?

Bergmann: Es gibt kaum einen größeren Unterschie­d als den zwischen Esoteriker­n und Naturwisse­nschaftler­n. Ich fürchte, dass ich bei Esoteriker­n auf wenig Verständni­s stoße. Ich wende mich mit meinem Buch aber vor allem an kritische Menschen, die mal nachdenken und wissen wollen: Was steckt hinter solchen Ideen? Mir hat ein Leser geschriebe­n, dass bei ihm angefragt wurde, ob er nicht für ein angeblich verbessert­es Wasser Werbung machen möchte. Als er in meinem Buch gelesen hat, dass dieses Wasser wirkungslo­s ist, hat er abgesagt. Das war für mich die tollste Reaktion auf mein Buch.

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