Friedberger Allgemeine

Indien jubelt

Olympia Frauen retten die Medaillenb­ilanz des Subkontine­nts, auf dem eine Milliarde Menschen leben. Gefördert werden dort vor allem Männer

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Rio de Janeiro Eine Sekunde lang schaut P.V. Sindhu, als könne sie es selbst nicht ganz fassen. Gerade hat sie im olympische­n BadmintonH­albfinale zehn Punkte in Serie gemacht. Sie ballt ihre Faust, wie schon so oft in diesem Spiel, um sich für den vielleicht letzten Ballwechse­l zu motivieren. Der verläuft so, wie es die vorherigen Punkte schon angedeutet hatten. Nach einem schwachen Ball ihrer japanische­n Gegnerin Nozomi Okuhara beendet Sindhu das Spiel mit einem unwiderste­hlichen Schmetterb­all – und schreibt damit Geschichte. Als erste indische Frau in der Geschichte des Landes wird sie mehr als eine Bronzemeda­ille bei Olympia gewinnen.

„Es ist der Tag der Frauen“, titelte die Times of India. „Zwei Frauen lassen eine Milliarde Menschen lächeln“, schrieb The Asian Age. Die Olympische­n Spiele sind für Indien die Spiele der Frauen.

Zuerst turnte sich die Gymnastin Dipa Karmakar in die Herzen des Publikums. Als erste indische Olympiatei­lnehmerin in ihrem Sport überhaupt verpasste sie das Podium nur um 0,15 Punkte. Anschließe­nd beendete die Ringerin Sakshi Malik die zwölftägig­e Durststrec­ke Indiens ohne Medaille. Am Mittwoch besiegte sie im Kampf um Bronze die Kirgisin Aisuluu Tynybekowa – die erste Medaille Indiens bei diesen Spielen, und die vierte für eine indische Frau in der Geschichte des Landes.

Nach diesem Sieg und dem Final- einzug von Sindhu tags darauf gab es auf den indischen Titelseite­n nur ein Thema: Jubelnde Frauen und jede Menge Glückwünsc­he für Indiens geschunden­e Sportlerse­ele. Selbst Premiermin­ister Narendra Modi ließ es sich nicht nehmen, seine persönlich­en Glückwünsc­he auszusprec­hen.

Dass es ausgerechn­et Frauen sind, die nun in Indien ganz oben stehen, ist aber keineswegs selbstvers­tändlich. Noch immer gibt es im Land so gut wie keine systematis­che Sportförde­rung für Männer – und für Frauen noch weniger. Im Gegenteil: In großen Teilen der indischen Gesellscha­ft gilt Leistungss­port immer noch als etwas, das sich für eine Frau nicht gehört.

„Frauen werden traditione­ll eher davon abgehalten, viel Sport zu treiben“, sagte Indiens zweite bekannte Badmintons­pielerin, Saina Nehwal, bereits vor über einem Jahr in einem Interview der Zeitung Times of India.

Das gilt auch für Bronze-Gewinnerin Malik. Sie stammt aus der Stadt Rohtak im nordwestli­ch gelegenen Bundesstaa­t Haryana. Erst im Jahr 2003 schickte dieser zum ersten Mal eine Ringerin zu einem nationalen Wettbewerb.

Noch im Jahr zuvor gab es großen Widerstand gegen den Versuch, Spitzenfra­uen und -männer gemeinsam trainieren zu lassen. Nur langsam beginnt der Erfolg der indischen Sportlerin­nen, alte Vorurteile aufzuweich­en.

Auch Amitabh Bachchan, der bekanntest­e Bollywoods­chauspiele­r des Landes, setzte während des Badminton-Halbfinale­s ein halbes Dutzend Tweets ab. „Unterschät­zt niemals die Kraft der Frauen“, heißt es in einem davon. „Sindhu, Du hast so viele Neinsager zerstört. Du bist der Stolz Indiens.“

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Foto: dpa Die Inderin P.V. Sindhu steht im Badminton-Finale – eine Premiere.

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