Ups, Augsburg ist Trendsetter
Wollen Sie unverpackte Biolinsen kaufen und sicher sein, dass die Näherin für Ihre Hose ordentlich verdient? Oder wollen Sie sparen? Oder alles? Wie in unserer Stadt neue Wege aufgezeigt werden
Es gibt ein paar Themen, über die diskutiert es sich sehr unschön: Asylbewerber. Impfpflicht. Nachhaltig leben. Currywurstfreie Kantinentage, Fairtrade-Hosen oder Bio-Bananen können schläfrige Party-Gespräche in militante Grundsatz-Debatten verwandeln, in denen ziemlich oft die Wörter Gutmensch und Egoist vorkommen. Bringt das was, ist es gesund, rettet es die Welt, ist die Welt noch zu retten? Das soll hier nicht geklärt werden. Hier geht es darum: Nachhaltigkeit, einst ein öder Begriff, ist ein Lebensstil geworden – und damit auch ein Konsumstil. Augsburg ist da nicht so weit wie Berlin oder München, aber für eine Stadt seiner Größe und seiner Bevölkerung durchaus ein Trendsetter. Vor einer Woche eröffnete als weiterer Mosaikstein der erste verpackungsfreie Laden, Ruta Natur in der Prinzregentenstraße. Dem Geschäftsmodell ist an diesem Standort Glück zu wünschen, aber schon ganz andere haben bewiesen, dass so etwas funktionieren kann: Die umtriebige Sina Trinkwalder mit ihrer fairen und höchst erfolgreichen Modemarke Manomama zum Beispiel oder die Nachwuchs-Unternehmer von Degree Clothing, die sagen: Man muss Mode cool designen, dann kaufen auch junge Leute „aus Versehen“Fairtrade-Öko-Klamotten.
Jemand wie Norbert Stamm sagt über Nachhaltigkeit: „Augsburg ist da ein gutes Pflaster für Engagement. Es gibt hier viele Initiativen, die den Weg zu einem nachhaltigen Leben ebnen.“Muss er ja sagen, immerhin leitet er das städtische Büro für Nachhaltigkeit, das viele als verschwurbelten Exoten in der Stadtverwaltung beäugen. Aber der Erfolg gibt ihm recht. Augsvon burg, das sich unter anderem mit den Titeln Umwelt- und Friedensstadt schmückt, wurde bereits mit den Titeln „Nachhaltigste Großstadt Deutschlands“und „Fairtrade Town“ausgezeichnet und vergibt selber einen Nachhaltigkeitspreis, für den kein Mangel an Bewerbern herrscht. So etwas funktioniert nur, wenn private, wirtschaftliche und städtische Initiativen zusammenspielen. Das läuft recht gut. Ein Beispiel sind die Projekte, die nachhaltig sind, den Menschen aber eben auch einfach Spaß machen, wie Gemüse selber anzubauen und zu ernten. Über die Lokale Agenda sind sie vernetzt und bekommen Öffentlichkeit, zuletzt durch die Internetseite Lifeguide Augsburg, die unter Kategorien Einkaufen über Selbermachen bis Mobilität alle Angebote in Augsburg und Umgebung auflistet, Terminhinweise und Diskussionsbeiträge bietet.
Die Entwicklung ist ein Trend, es gibt Studien, die belegen: Ein Yuppie war man gestern, heute ist man ein Lohas, der einen Lifestyle of Health and Sustainability pflegt, also ein Leben, das an Gesundheit und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Meist ist ein Lohas laut Studie gebildet und hat Geld. In Augsburg hat man eher wenig Geld, aber gerade das kam der Nachhaltigkeitsbewegung zugute. Natürlich ist einiges ausbaufähig, aber im Großen und Ganzen entwickelte sich eine Szene, die mit und ohne Not kreativ sein musste oder konnte. Dazu gehören Flaggschiffe wie das Grandhotel, das kulturelles, ökologisches und soziales Engagement verbindet, aber auch der weniger bekannte Werkraum, in dem man Sachen selber reparieren oder upcyceln (neu für: Schönes basteln mit altem Kruscht) kann. Es gibt eine Fülle von (halb-)privaten Kleidertauschbörsen oder den sehr erfolgreichen Hinterhofflohmarkt im Bismarckviertel, wo Leute das kaufen bzw. tauschen, was andere sonst wegwerfen. Sie gehören genauso zum Netzwerk wie regionale Zusammenschlüsse wie „Unser Land“oder Unternehmen wie die Stadtwerke, die auch auf den Zug Carsharing und Fahrradvermietung aufgesprungen sind.
Jetzt muss nicht jeder gleich in geflickten Öko-Klamotten mit seiner upgeycelten Krawattentasche aus dem Sozialkaufhaus aufs alte Radl aus der Bikekitchen springen, um bei einem Glas Staudenapfelsaft mit schwer erziehbaren Jugendlichen Bio-Gemüse zu ernten und ihnen dann noch zu erklären, wie man aus den Resten selber Körperlotion macht. Aber irgendwas davon kann jeder mal ausprobieren. Vielleicht gar nicht, weil es die Welt rettet, sondern weil es Spaß macht. Hilft auch schon.
Was macht man mit dem alten Kruscht: Upcyceln!