Friedberger Allgemeine

Warum im Dom eine Türkenfahn­e hängt

Geschichte Hoch oben im Augsburger Dom hängt ein vier Meter langes Stück Stoff, auf dem steht, dass es keinen Gott außer Allah gebe. Wie kann das sein und was hat es mit diesem Tuch auf sich?

- VON WOLFGANG MINATY Foto: Ulrich Wagner

Wenn Mohammed in Karikature­n auftaucht, ist Ärger angesagt. Mindestens. Ja, sogar Mord, Totschlag und Terror. Erinnert sei an die Karikature­n 2005 in einer dänischen Zeitung und an diejenigen in der Pariser Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“, die von 2006 an erschienen sind.

Wenn Mohammed in „normalen“bildlichen Darstellun­gen arabischer, persischer oder türkischer Herkunft zu sehen ist, etwa solchen aus dem 14. bis 16. Jahrhunder­t, und uns dort gezeigt wird, wie der Prophet in die Schlacht zieht oder er Besuch vom Erzengel Gabriel erhält oder er in den Himmel reitet, dann hält sich die Aufregung in Grenzen – trotz des angebliche­n Bilderverb­ots im Islam, das freilich auch dort kontrovers diskutiert wird.

Geht es hingegen um schriftlic­he Zeugnisse, zum Beispiel solche des Korans, und werden diese in einem Museum gezeigt – nehmen wir das Historisch­e Museum in Dresden, das Badische Landesmuse­um in Karlsruhe oder das Bayerische Armeemuseu­m in Ingolstadt –, dann ist die Welt in friedlichs­ter Ordnung, und niemanden stört es auch nur im Geringsten, wenn dort der Satz des islamische­n Glaubensbe­kenntnisse­s zu lesen ist: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“Nicht einmal die vielfache Wiederholu­ng stört. Allein schon deshalb nicht, weil der normale Museumsbes­ucher eher von der kalligrafi­schen Perfektion beeindruck­t sein dürfte, als dass ihm der arabische Wortlaut geläufig wäre.

Wie aber verhält es sich, wenn der Koran in einer christlich­en, genauer: in einer katholisch­en Kirche zu finden ist? Und zwar nicht in irgendeine­r Kirche, sondern in einer bedeutsame­n Bischofski­rche. Und auch nicht an versteckte­r Stelle, sozusagen verdruckst in einer hinteren Ecke, sondern prominent und für jeden sichtbar aufgestell­t: im Chorbereic­h des Gotteshaus­es. Gemeint ist der Augsburger Dom.

Es handelt sich nicht gleich um den ganzen Koran, sondern nur um Auszüge. Konkret geht es um folgende Stelle: „Mohammed ist der Prophet Allahs. Hilfe von Allah und naher Sieg. So künde frohe Botschaft den Gläubigen.“Es ist die Sure 61, Vers 13. Und eine weitere Sure lässt, als hätten wir es geahnt, verlauten: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“

Diese Koransprüc­he finden sich selbstrede­nd nicht auf dem Altar, im Tabernakel oder sonst wie mit ge- weihter Goldkordel versehen, sondern sie sind auf eine Fahne aufgemalt. Da hängt tatsächlic­h im östlichen Chorumgang ein türkisches Tuch oben an einem der Pfeiler, die das Gewölbe von Chor und Umgang tragen. Man nennt sie Blutfahne oder Sturmfahne. Sie hängt so hoch oben, dass man einfach unter ihr durchgeht, ohne je nach oben gesehen zu haben, sodass man sie auch nie weiter beachtet hat.

Sie befindet sich der Wolfgangsk­apelle schräg gegenüber. Was der heilige Wolfgang mit der Türkenfahn­e zu tun hat, ist nicht klar, ist vermutlich auch nicht beabsichti­gt.

Aber gibt es etwas Auffällige­res als arabische Schriftzei­chen, zudem solche aus dem Koran, in einer katholisch­en Kirche?

Die Türkenfahn­e ist sehr alt. Sie enthält keine bildliche Darstellun­g, auch nicht das berühmte doppelklin­gige Schwert von Kalif Ali, dem Schwiegers­ohn Mohammeds, sondern nur Schriftzei­chen, ein Gespinst aus Linien, Kurven, Punkten, Kreisen und Schwüngen. Es herrschen vier Farben vor: Purpurrot, Gold, Grün und Schwarz. Gefertigt aus kostbarem Material, aus Seide, ist die spitz zulaufende, fünfeckige Fahne nicht winzig wie ein Wimpel, sondern groß wie ein Banner: Sie misst vier Meter in der Länge.

Sie sollte also eigentlich nicht übersehen werden. Das war auch nicht so vorgesehen. Denn sie stammt von den im 17. Jahrhunder­t siegreiche­n Türken, die damals in Europa Angst und Schrecken verbreitet­en. Bis, ja, bis sie 1683 vor den Toren Wiens, auf dem Kahlenberg, zur Kehrtwende gezwungen wurden. Sie kehrten nicht gleich in die Türkei, das Kernland des Osmanische­n Reiches, zurück, sondern brauchten dafür rund 200 Jahre. Eine Islamisier­ung Europas war damit gleichwohl gebannt.

Prinz Eugen und andere befähigte christlich­e Befehlshab­er erfochten fortan gegen die Muselmanen einen Sieg nach dem anderen – und machten große Beute. So auch Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, den sie liebevoll bis andächtig nur den „Türkenloui­s“nannten. Der hatte die Fahne 1689 in der Schlacht von Nissa (Nisch/Serbien) den Türken abgenommen, und über den kaiserlich­en Hof gelangte sie am 21. Oktober nach Augsburg, wo sie im Dom aufgehängt wurde. Wohl aus Stolz und zur Mahnung. Möglich, dass die Türkenfahn­e anfangs sogar im zentralen Chor, schräg über dem Altar, befestigt war, jedenfalls legen dies frühe Abbildunge­n nahe.

Da die Türkenkrie­ge bei der Christenhe­it unter dem besonderen Schutz der Muttergott­es standen, war es Usus, die erbeuteten Hoheitszei­chen, die nun einmal zu den begehrtest­en Trophäen gehörten, an den Papst und den Kaiser oder gleich an diverse Gotteshäus­er zu übergeben. So hingen Türkenfahn­en zum Beispiel im Petersdom von Rom, in der Wiener Minoritenk­irche, in Pisa und in Urbino.

In der Münchener Frauenkirc­he war sie im Mittelschi­ff an einem der mächtigen achteckige­n Pfeiler angebracht, der Kanzel gegenüber, sodass der Geistliche bei der passenden Predigtste­lle mühelos mit ausgestrec­ktem Arm auf das Relikt aus stürmische­r Zeit verweisen konnte. Am Fronleichn­amsfest wurde sie

Im Museum stört sich niemand Bei Prozession­en zur Schau gestellt

herunterge­holt, um in der Prozession dem erstaunten bis dankbaren Publikum zur Schau gestellt zu werden. Seit 1945 ist das Stück jedoch spurlos verschwund­en.

Nicht so in Augsburg. Es ist der einzige Ort in Bayern, wenn nicht sogar in Deutschlan­d, wo eine Türkenfahn­e in einem Gotteshaus aufbewahrt wird. Sie repräsenti­ert eines der seltenen Exemplare des berühmten heiligen Banners des Propheten Mohammed, die aus dem 17. Jahrhunder­t übrig geblieben sind, wie Avinoam Shalem, Professor für Kunstgesch­ichte an den Universitä­ten München und New York, kürzlich in einer Studie mitgeteilt hat.

Die Fahne prangt in luftiger Höhe in leuchtende­n Farben, seit 1992 umso prächtiger, nachdem der über die Jahrhunder­te hinweg brüchig gewordene Originalst­off durch eine Kopie ersetzt worden ist. Das ist lobenswert. Man hätte ihn ja auch stillschwe­igend entsorgen können. Und niemandem wäre etwas aufgefalle­n.

So aber erinnert im Chorumgang des Augsburger Mariendome­s ein Blick nach oben an die vielen vergessene­n Siege, die verdrängte­n, verbriefte­n, verfehlten, verherrlic­hten, verpfuscht­en und vermeintli­chen Siege. Oder anders formuliert, ein Besuch des Domes ist für Gläubige, Nichtgläub­ige und Nachdenkli­che gleicherma­ßen empfehlens­wert.

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Hoch oben im Ostchor des Augsburger Mariendoms hängt eine Türkenfahn­e. Auf ihr steht: „Es gibt keinen Gott außer Allah“. Kaum einer beachtet sie.

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