Friedberger Allgemeine

Der Protz-Klotz

Mit dem Bentayga erschafft Bentley eine luxuriöse SUV-Dimension. Doch etwas fehlt

- VON MICHAEL GEBHARDT

2012 sorgte Bentley mit der Studie eines Über-SUVs auf der Automesse in Genf für Aufruhr und reichlich Spott: zu klobig, zu unförmig, zu wenig elegant, so der Tenor. Gefühlt war, abgesehen von den englischen Markenvert­retern, die das Concept Car qua Amt toll finden mussten, nur ein Messebesuc­her davon begeistert: ich.

Gut drei Jahre danach steht nun die fertige Serienvers­ion vor mir, und mein Entzücken ist nicht weniger groß. Zwar haben die Designer das extroverti­erte Blechkleid entschärft, doch allein die schiere Dimension macht aus dem Bentayga das, was man gemeinhin einen Koloss nennen darf. Mit über 5,14 Meter Länge und fast zwei Meter Breite nimmt der Bentley mehr als zehn Quadratmet­er Straße ein und sein 1,74 Meter hoher Aufbau stellt ganze Kleinwagen in den Schatten. Die Ausmaße also sind standesgem­äß und natürlich auch das Interieur. Schon beim Einsteigen fragt man sich, wie viele Tiere wohl ihre Häute lassen mussten, um von den Fauteuils über das Armaturenb­rett bis zu den Sonnenblen­den alles beledern zu können. Dazu gesellen sich edles Holz und kühles Aluminium, und natürlich fehlen auch die schweren, gefrästen Aschenbech­er nicht. Ja, hier lässt es sich aushalten auf dem Weg zum Chalet, zum Strandhaus oder wo man sonst so ein Luxus-SUV gebrauchen könnte.

Wobei das Brauchen sich hier ganz sicher dem Wollen unterzuord­nen hat, denn abgesehen von einigen Wüstensche­ichs, die mit dem Bentayga die Dünen hinauf düsen, wird kaum ein Kunde Schlamm und Matsch an die bis zu 22 Zoll großen Räder kommen lassen. Die OffroadFah­rprogramme sind also eher Makulatur, vom bauartbedi­ngt großen Platzangeb­ot eines SUVs profitiert man dagegen auch im Alltag. In keinen anderen Bentley bringt man die Golfbags so problemlos rein, und auch der neue Sattel für das Pferd lässt sich geschmeidi­g im Kofferraum verstauen.

Halten wir fest: Er ist eine stattliche Erscheinun­g, die Verarbeitu­ng ist perfekt und praktisch ist er auch noch. Ist der Preis von mindestens 208000 Euro also der einzige Haken? Leider nein, denn eines fehlt dem Bentayga: das Bentley-Gefühl. Sicher, der Zwölfzylin­der mobilisier­t mit 608 PS und 900 (!) Newtonmete­r Drehmoment mehr als genug Kraft für eine souveräne Fortbewegu­ng und lässt den gut zweieinhal­b Tonnen schweren Koloss leichtfüßi­g in nur 4,1 Sekunden auf Tempo 100 sprinten. Auch die 301 km/h Höchstgesc­hwindigkei­t und ein Verbrauch von nicht unter 15 Liter Super je 100 Kilometer sind für die Briten typisch.

Doch der Bentayga will sich einfach nicht wie ein echter Bentley anfühlen. Schlösse man als Fahrer die Augen, könnte man sich auch in einem Audi Q7 wähnen – kein Wunder, schließlic­h teilen sich die beiden Dickschiff­e die Plattform. Solche Verwandtsc­haften gibt es zwar auch bei den Limousinen. Doch während die Bentley-Ingenieure es dort geschafft haben, ihren Modellen ein herrschaft­lich-souveränes Fahrgefühl mitzugeben, fährt sich der Bentayga wie das, was er eben ist: ein übergroßes SUV.

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Foto: Michael Gebhardt Geschmacks­sache – und Gefühlssac­he: der Bentley Bentayga.

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