Lauf des Mondes, Lauf des Lebens
Für Mondschein war Goethe zeitlebens empfänglich, wiederholt hat er dem Gestirn tiefgründige Verse gewidmet. Das war auch nicht anders am 25. August 1828, unter dessen Datum der 79 Jahre alte Dichter in Dornburg in sein Tagebuch notierte: „Schöner Aufgang und Fortschritt des Vollmondes“. In das Schlösschen über der Saale war Goethe ausgewichen, um in Weimar nicht am Begräbnis für Großherzog Carl August, den freundschaftlich Verbundenen über Jahrzehnte hinweg, teilnehmen zu müssen.
Auch wenn das Gedicht vor allem in der ersten Strophe vom Lauf des Mondes und der Trübung seines Lichts durch Wolken spricht – eine bloße Schilderung nächtlicher Natur findet hier keineswegs statt. Dass die Vorgänge am Himmel sich in einem Wechselspiel mit dem betrachtenden Ich befinden, geht gleich aus dem ersten Vers hervor, in dem sich die Befürchtung eines Verlusts des so vertraulich angesprochenen Mondes artikuliert. Verfinsterung ereignet sich eben nicht nur dort oben, sie droht auch dem sprechenden Ich durch das „Nicht da“-Sein des „Du“. Man geht wohl nicht fehl, vor dem unmittelbaren Hintergrund des Verlusts des herzoglichen Weggefährten in diesen Versen ein Unbehagen Goethes vor der Einsamkeit im Alter zu erkennen.
Der personifizierte Mond reagiert in Strophe zwei mitfühlend und kommt wieder hervor, zunächst nur punktuell, doch Hoffnung signalisierend als „Stern“hinter den Wolken. Die folgenden beiden Verse sind ganz den inneren Vorgängen des Ichs vorbehalten. Das wieder auftretende Licht wird als Zeuge einer erinnerten beglückenden Liebeserfahrung benannt.
Hier kommt Marianne Willemer ins Spiel, die Seelenverwandte und Suleika von Goethes „Divan“-Dichtung. Ihr übersandte er einige Zeit nach der Dornburger Vollmondnacht eine Abschrift des Gedichts, im Begleitschreiben eine frühere beiderseitige Abmachung ins Gedächtnis rufend: künftig bei Vollmond einander zu gedenken.
Die Empfindung liebenden Aufgehobenseins geht in der Schlussstrophe über in einen allgemein lebensbejahenden Impuls – wiederum in direkter Analogie zum Lauf des Mondes. Denn die Ausrufe und gesteigerten Begriffe gelten auch hier nicht allein dem nunmehr „in voller Pracht“leuchtenden Gestirn, sondern vor allem auch dem Wiedererstarken des verzagten Gemüts.
Daran vermag auch die nochmalige Reminiszenz an Schmerzliches im vorletzten Vers nichts mehr zu ändern, denn, so lautet die finale Essenz: „Überselig ist die Nacht“– neu gewonnen der Lebensmut. „So hinan denn!“, frisch ans Werk der eigenen Existenz: Das war dem Dichter auch an der Schwelle zum achten Lebensjahrzehnt noch lohnende Maxime.