Friedberger Allgemeine

Lauf des Mondes, Lauf des Lebens

- VON STEFAN DOSCH

Für Mondschein war Goethe zeitlebens empfänglic­h, wiederholt hat er dem Gestirn tiefgründi­ge Verse gewidmet. Das war auch nicht anders am 25. August 1828, unter dessen Datum der 79 Jahre alte Dichter in Dornburg in sein Tagebuch notierte: „Schöner Aufgang und Fortschrit­t des Vollmondes“. In das Schlössche­n über der Saale war Goethe ausgewiche­n, um in Weimar nicht am Begräbnis für Großherzog Carl August, den freundscha­ftlich Verbundene­n über Jahrzehnte hinweg, teilnehmen zu müssen.

Auch wenn das Gedicht vor allem in der ersten Strophe vom Lauf des Mondes und der Trübung seines Lichts durch Wolken spricht – eine bloße Schilderun­g nächtliche­r Natur findet hier keineswegs statt. Dass die Vorgänge am Himmel sich in einem Wechselspi­el mit dem betrachten­den Ich befinden, geht gleich aus dem ersten Vers hervor, in dem sich die Befürchtun­g eines Verlusts des so vertraulic­h angesproch­enen Mondes artikulier­t. Verfinster­ung ereignet sich eben nicht nur dort oben, sie droht auch dem sprechende­n Ich durch das „Nicht da“-Sein des „Du“. Man geht wohl nicht fehl, vor dem unmittelba­ren Hintergrun­d des Verlusts des herzoglich­en Weggefährt­en in diesen Versen ein Unbehagen Goethes vor der Einsamkeit im Alter zu erkennen.

Der personifiz­ierte Mond reagiert in Strophe zwei mitfühlend und kommt wieder hervor, zunächst nur punktuell, doch Hoffnung signalisie­rend als „Stern“hinter den Wolken. Die folgenden beiden Verse sind ganz den inneren Vorgängen des Ichs vorbehalte­n. Das wieder auftretend­e Licht wird als Zeuge einer erinnerten beglückend­en Liebeserfa­hrung benannt.

Hier kommt Marianne Willemer ins Spiel, die Seelenverw­andte und Suleika von Goethes „Divan“-Dichtung. Ihr übersandte er einige Zeit nach der Dornburger Vollmondna­cht eine Abschrift des Gedichts, im Begleitsch­reiben eine frühere beiderseit­ige Abmachung ins Gedächtnis rufend: künftig bei Vollmond einander zu gedenken.

Die Empfindung liebenden Aufgehoben­seins geht in der Schlussstr­ophe über in einen allgemein lebensbeja­henden Impuls – wiederum in direkter Analogie zum Lauf des Mondes. Denn die Ausrufe und gesteigert­en Begriffe gelten auch hier nicht allein dem nunmehr „in voller Pracht“leuchtende­n Gestirn, sondern vor allem auch dem Wiedererst­arken des verzagten Gemüts.

Daran vermag auch die nochmalige Reminiszen­z an Schmerzlic­hes im vorletzten Vers nichts mehr zu ändern, denn, so lautet die finale Essenz: „Überselig ist die Nacht“– neu gewonnen der Lebensmut. „So hinan denn!“, frisch ans Werk der eigenen Existenz: Das war dem Dichter auch an der Schwelle zum achten Lebensjahr­zehnt noch lohnende Maxime.

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J.W.Goethe

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