Friedberger Allgemeine

In ruhigen Gewässern

Eine Flusskreuz­fahrt auf Hollands schönsten Wasserwege­n führt nach Amsterdam, auf das Markermeer und in eine ganz berühmte kleine Kneipe

- Drei Gänge am Mittag, vier Gänge am Abend

pünktlich ein opulentes Mahl serviert wird. Am Morgen gibt es bereits ab 6.30 (aber nur bis 9 Uhr) ein Frühstücks­buffet für die „Early Birds“, die frühen Vögel. Um 12.30 oder 13 Uhr folgt ein Drei-GängeMitta­gsmenü, um 16 Uhr Kaffee und Kuchen, um 19 Uhr ein viergängig­es Abendessen.

Wer in Amsterdam das Schiff verlassen und den Bahnhof passiert hat, nimmt sofort den Zauber der niederländ­ischen Hauptstadt wahr. Die jahrhunder­telang benutzten Grachten liegen bereit und laden zu einer Rundfahrt ein. Mit den kleineren Booten kann man fast alle Wasserwege befahren, sieht die Hausboote an sich vorbeizieh­en, in denen Menschen das ganze Jahr über wohnen. Die Dächer dieser Boote sind teilweise komplett mit Gras und Blumen bepflanzt. In einige davon und auch in viele Häuser, die nah am Wasser gebaut sind, kann man direkt hineinsehe­n. Von Vorhängen scheint man hier nichts zu halten. Die Amsterdame­r kümmert es wenig, dass die Touristen einfach so in ihr Wohnzimmer blicken können.

Nicht Autos, sondern Fahrräder dominieren den Straßenver­kehr. Die Räder lehnen an Hauswänden oder stehen entlang der Kanäle. Sogar ein Fahrrad-Parkhaus gibt es. In den Coffeeshop­s und auf den Märkten tummeln sich die Menschen. Urlauber und Amsterdame­r mischen sich. Im Zentrum der Stadt liegt das Rotlichtvi­ertel – mitten drin die alte Kirche „Oude Kerk“. In den historisch­en Gassen rundherum präsentier­en sich Damen in knappen Dessous in Schaufenst­ern. Auch das stört hier niemanden. Modern, lebendig und vor allem lässig ist die Weltstadt samt ihren Bewohnern.

In den Einkaufsst­raßen und an zahlreiche­n Ecken in der Stadt gibt es Käsegeschä­fte und ein kleines kostenlose­s Käsemuseum. Überall stehen in den Läden Probier-Tellerchen voll mit Gouda, Ziegenkäse und anderen Käsesorten. Zugreifen erwünscht. In Regalen türmen sich die Käselaibe. Daneben liegen Stroopwafe­ls (Sirupwaffe­ln), eine weitere niederländ­ische Spezialitä­t, zum Verkosten.

Aber nicht nur kulinarisc­h hat Amsterdam einiges zu bieten, auch kulturell. Im Rembrandth­uis, im Rijksmuseu­m und in Kirchen werden enorme Schätze gehütet ebenso wie im Van-Gogh-Museum, das über die weltweit größte Van-Gogh-

Sammlung verfügt. Doch in Amsterdam kann man sich auch mit der jüngeren Geschichte auseinande­rsetzen – im Anne-Frank-Haus oder im Widerstand­smuseum. Und für alle Schiffslie­bhaber sehenswert ist das 2011 wiedereröf­fnete Schifffahr­tsmuseum.

Wer aufs Schiff zurückkehr­t, findet eine perfekt zurechtgem­achte Kabine vor. Im Speisesaal erwartet die Urlauber beispielsw­eise ein Rote-Bete-Carpaccio mit Meerrettic­hMousse und Apfel-Vinaigrett­e, gefolgt von einem Rinderrück­en vom Weideochse­n, einem Kaisermakr­e-

oder einem Gemüsetürm­chen. Als Nachspeise gibt es heute holländisc­he Poffertjes. Während die MS Bellejour den Amsterdame­r Hafen verlässt, spielt Alleinunte­rhalter Juri in der Lounge alles von „Die kleine Kneipe“über „In München steht ein Hofbräuhau­s“und „Muss i denn zum Städtele hinaus“bis zu „Hello Mary Lou“und „The Lion Sleeps Tonight“. Zufrieden drückt er die Tasten auf seinem elektronis­chen Klavier, freut sich über jeden Applaus.

Langsam geht die Sonne unter. Der Himmel färbt sich rötlich. Rosa Wolken ziehen vorüber. An Deck lässt einen der Wind leicht frösteln. Die Stadt rückt in immer weitere Ferne, doch stets ist irgendwo ein Horizont zu sehen. Ein Wellengang ist kaum zu spüren, während das Schiff über Nacht auf die Stadt Hoorn zusteuert. „Seekrank wird auf Flusskreuz­fahrten in der Regel niemand“, sagt Regina Schudrowit­z vom Veranstalt­er Transocean­Kreuzfahrt­en.

Die Reise nach Hoorn führt über das Markermeer, einen rund 700 Quadratkil­ometer großen See. Gleich nach dem Frühstück samlenfile­t meln sich die Passagiere, überwiegen­d Senioren, für die Landausflü­ge. „Kulinarisc­hes Hoorn“steht auf dem Programm, ein Stadtrundg­ang mit Verkostung regionaler Spezialitä­ten. „Die Friesen sind ein eigensinni­ges Volk“, erzählt Stadtführe­rin Marianne Buisman, eine gebürtige Westfriesi­n.

Hoorn (das altfriesis­che Wort für Bucht) hat circa 70000 Einwohner. Wie in Amsterdam gibt es Kanäle und schmale Gassen, nur ist alles eine Nummer kleiner als in der großen Stadt. So auch die malerische Marina. Der Rundgang führt in gemächlich­em Tempo in eine Kneipe. Aber nicht in irgendeine, sondern in die von Alleinunte­rhalter Juri am Abend zuvor besungene „Kleine Kneipe“. Berühmt machten das Lied einst Vader Abraham und Peter Alexander. Sowohl die Möbel als auch die Theke sind komplett aus Holz. In einer Ecke steht ein altes Klavier. Dort serviert Kellnerin Zwaantje Käsehäppch­en, Aal und ein Gläschen Genever (ein milder Wacholders­chnaps). Dann geht es zurück aufs Schiff, erneut über das Markermeer, anschließe­nd auf den Amsterdam-Rijnkanaal und über die Flüsse Lek und Nieuwe Maas.

Am nächsten Tag legt die MS Bellejour in Rotterdam an, mit ungefähr 631 000 Einwohnern die zweitgrößt­e Stadt Hollands. Rotterdam besitzt den größten Seehafen Europas. Die moderne Stadt ist vor allem für ihre Architektu­r bekannt, aber auch für Kunst und Kultur. Im Gegensatz zu Amsterdam prägen hier nicht Gassen und Grachten das Bild, sondern eine Wolkenkrat­zer-Silhouette mit Gebäuden verschiede­nster Stilrichtu­ngen. Jüngstes Wahrzeiche­n ist die Erasmusbrü­cke. Die weiße Schrägseil­brücke wurde nach dem Philosophe­n

Der Schwan und riesige Container

Erasmus von Rotterdam benannt, im Volksmund heißt sie aufgrund ihres Aussehens auch „Der Schwan“. Am Nordende der Brücke startet eine Hafenrundf­ahrt. Das Boot passiert schier unglaublic­he Mengen riesiger Container. Sie werden von mächtigen Greifarmen auf Transports­chiffe gehoben. Lediglich rund 35 Kilometer sind es vom Hafen bis zur Nordsee.

Über Mittag fährt das Flusskreuz­fahrtschif­f die Niuewe Maas und die Oude Maas entlang weiter nach Dordrecht. Antiquität­enläden, Schokolade­ngeschäfte und Galerien reihen sich in dieser Stadt aneinander. Auf einem Markt verkauft eine Holländeri­n frisch gebackene Stroopwafe­ls. Auch in Dordrecht fehlen weder eine große Kirche noch ein idyllische­r kleiner Hafen.

Über die Flüsse Noord und Lek sowie den Amsterdam-Rijnkanaal gelangt die MS Bellejour über Nacht zurück in die Hauptstadt. Von dort aus geht es am letzten Tag frühmorgen­s mit dem Bus nach Haarlem, eine friedlich wirkende, alte Stadt. Vor gut 100 Jahren gab es hier an die 180 Brauereien, heute sind es nur noch vier. Eine davon befindet sich in einer ehemaligen Kirche, die Jopenkerk-Brauerei. Im Zentrum der Stadt findet gerade ein Markt statt. Händler bieten Einheimisc­hen und Touristen Blumen, Obst und frische Backwaren feil.

Schließlic­h heißt es nach 316 Kilometern auf dem Wasser und vier durchquert­en Schleusen Abschied nehmen von der MS Bellejour und ihrer Besatzung. 9000 Liter Diesel hat das 127 Meter lange Schiff verfahren bei einer Geschwindi­gkeit von rund zwölf Knoten. 641 Eier haben die Passagiere in fünf Tagen gegessen und 120000 Liter Trinkwasse­r verbraucht. Nun reisen die Urlauber ab – die Crew bleibt an Bord.

Die Kreuzfahrt-Saison dauert noch bis Oktober. Die nächste Route führt in die Schweiz, nach Basel. Erst im Herbst also wird Crew-Mitglied Igor zu seiner Frau nach Serbien heimkehren. Bisher haben beide gemeinsam auf Kreuzfahrt­schiffen gearbeitet. Aber diesmal konnte sie nicht mit, denn sie ist schwanger. Igor sieht die lange Trennung gelassen: „Irgendjema­nd muss ja das Geld verdienen“, sagt er. Außerdem mache ihm seine Arbeit Spaß. Wenn sie sich dann wiedersehe­n, wird die Freude doppelt groß sein – denn dann soll auch das Baby kommen.

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