Die Ladenhüter im Tierheim
Viele Tierliebhaber entscheiden sich bewusst dafür, Hund, Katze oder Vogel aus dem Heim und nicht beim Züchter zu holen. Was mit Tieren passiert, die trotzdem kein neues Zuhause finden
Augsburg Acht Monate war Joshi irgendwo in Bayern unterwegs. Er wurde sogar zum Abschuss freigegeben, weil er nicht eingefangen werden konnte. Nun lebt der Deutsche Schäferhund seit sieben Jahren im Neuburger Tierheim. Er gehört zu den Tieren, die eine geringe bis gar keine Chance haben, noch ein neues Zuhause zu finden. Joshi hat dennoch Glück: Heimleiter Gerd Schmidt, dem der Hund nicht von der Seite weicht, will ihn gar nicht mehr vermitteln. „Ich weiß, dass er wieder weglaufen wird und am Schluss kommt er noch unter die Räder“, sagt der 63-Jährige, der das Tierheim seit 30 Jahren ehrenamtlich leitet.
Joshi ist nicht gerade der Hund, der üblicherweise auf dem Wunschzettel steht: Joshi ist alt, scheu und will nicht angefasst werden. Das beißt sich laut Schmidt mit der Vorstellung vieler Tierheimbesucher, die am liebsten einen kleinen und auf jeden Fall einen unkomplizierten Hund suchen. Ute Prestele, Vorsitzende des Tierschutzvereins Weißenhorn, bestätigt das: „Alte Hunde bedeuten für viele Leute zu viel Arbeit“, sagt sie. „Die Leute suchen was Unkompliziertes.“Auch die unscheinbaren, wie etwa die schwarzen und braunen alten Hunde, bleiben oft auf der Strecke, wenn die jungen Tiere schwanzwedelnd auf die Besucher zulaufen. „Die Menschen wollen lieber einen aktiven Hund, den sie zum Sport mitnehmen können“, ergänzt Prestele.
Husky-Dame Ayla, die seit sechs Jahren in Neuburg ist, wird wohl bis zum Tod dort bleiben. Wegen seines stark ausgeprägten Jagdtriebs und seiner geringen Bereitschaft, Menschen zu folgen, gehört der freiheitsliebende Hund laut Schmidt zu den Hunderassen, die in Deutschland nicht gehalten werden sollten. Genauso wie die Rassen Kuvasz und Kangal. „Das sind Herdenschutzhunde, sie leben normalerweise mit Nutztieren und verteidigen ihre Herde“, sagt Schmidt aufgebracht darüber, dass diese Tiere in Deutschland gekauft werden dürfen. Drei Kangals und einen Kuvasz pflegen Schmidt und seine Mitarbeiter. „Sie wurden einst als Statussymbol besorgt und sitzen nun bei uns auf Lebenszeit.“
Zwei bis drei Tiere sterben jährlich im Neuburger Tierheim. Sie haben ihren Lebensabend dort ver- bracht. Die Heime sind verpflichtet, das Tier bis zum Tod zu pflegen. Einschläfern darf man die Tiere, die nicht vermittelbar sind, nicht, wie Schmidt erklärt. Nur diejenigen, die wegen einer Krankheit unter starken Schmerzen leiden.
Meist seien Hunde die Ladenhüter, weil sie mehr Zuwendung bräuchten als andere Kleintiere. Schmidt kritisiert die Züchter: „Viele Rassen sind kaputtgezüchtet.“Deshalb seien so viele Rassehunde krank. Die Besitzer könnten sich die Arztkosten irgendwann nicht mehr leisten und würden das Tier abgeben. Jeder zweite der 80 Hunde im Neuburger Heim ist ein Rassehund. Und kranke Tiere seien kaum vermittelbar.
Vögel gehören dagegen zu der Gruppe, die Schmidt selten abgibt. „Vögel und Kleintiere werden am schlechtesten behandelt“, sagt der Tierliebhaber. Er vermittelt sie deshalb nur, wenn das neue Zuhause mindestens den gleichen Komfort bietet wie das Heim. Doch das ist nicht leicht: Die Vögel leben in Neuburg in einer 100 Quadratmeter großen Voliere. Eine Ausnahme seien Papageien, die eher eine Bindung zum Menschen bräuchten.
Für Pferde, Ziegen und andere Nutztiere gilt in Neuburg dasselbe Prinzip. „Nutztiere sind kaum vermittelbar“, erklärt Schmidt. „Niemand nimmt ein altes oder älteres Pferd, das nicht mehr geritten oder geschlachtet werden kann.“Das Schlachten wäre für Interessenten zu teuer. „Der Markt ist überschwemmt mit alten Pferden, Ziegen und Hängebauchschweinen“, fügt Schmidt hinzu.
Es gibt aber auch Tiere, die gar nicht vermittelt werden wollen. Davon sind in erster Linie Straßenhunde betroffen. „Sie wollen gar keinen Kontakt zum Menschen“, sagt Schmidt. Dennoch nimmt er einen Prozentsatz solcher Hunde auf – wohl in dem Wissen, dass sie noch viele Jahre bei ihm bleiben werden.
Und dann gibt es Pongo. Wie Joshi lebt der Labradormix seit sieben Jahren im Neuburger Tierheim und kommt aus einem anderen Heim. Dort hat er seinen Pfleger zwei Mal gebissen, weil er nicht in den engen Zwinger gesperrt werden wollte. Solche Problemfälle werden laut Schmidt gerne aus anderen Tierheimen nach Neuburg gebracht. Deshalb gibt es dort die Ladenhüter. Schmidt versucht dann, die Hunde zu resozialisieren, indem er sie mit anderen Hunden zusammenbringt und teils frei laufen lässt. Das will Pongo wohl nicht mehr missen. Zwei Mal hat ihn Schmidt vermittelt, weil er im Tierheim unkompliziert sei. „Doch kaum ist er weg, führt er sich auf und wird zurückgebracht“, sagt Schmidt und schaut den Hund nachdenklich an. „Er will hier nicht mehr weg.“
Exoten und Kampfhunde, also die Rassen American Pitbull, American Staffordshire Terrier, Bandog, Staffordshire Bull Terrier, Tosa Inu und Kreuzungen, an denen diese Rassen beteiligt waren, dürfen in Bayern dagegen gar nicht vermittelt werden. Was die Kampfhunde betrifft, gibt es aber keine bundesweite Regelung.
„Wir arbeiten in diesem Punkt eng mit anderen Bundesländern zusammen“, erklärt Heinz Paula, Vorsitzender des Augsburger Tierschutzvereins. Heißt so viel, dass diese Hunde eben in andere Bundesländer gebracht werden. „Langzeitsitzer“, wie Paula die Ladenhüter bezeichnet, gebe es in Augsburg nicht. „Die Tiere bleiben im Durchschnitt 20 Tage bei uns.“Dies liege nicht nur an dem Gnadenhof „Gut Morhard“, mit dem das Tierheim eng zusammenarbeitet, sondern auch an einem Maßnahmenkatalog.
Und der geht so: Zeigt das Tier laut Paula bei der ersten Untersuchung psychologische Auffälligkeiten, übe eine Trainerin mit dem Hund Verhaltensgrundregeln, bis er wieder vermittelbar sei. „Es geht sogar so weit, dass auch mal ein Tierpsychologe hinzugezogen wird“, sagt Paula. So eine Maßnahme könne allerdings bis zu einem halben Jahr dauern.
Hilft das alles nichts und das Tier hat immer noch kein neues Zuhause gefunden, gibt es Tierpaten, also erfahrene Tierhalter, die den Hund zu sich nehmen. „Es sind häufig Liebhaber, die das Tier gegen eine Kostenerstattung aufnehmen.“Von dieser Maßnahme sind besonders kranke und alte Tiere betroffen. Auch der Neuburger Heimleiter Schmidt betont, dass es viele Menschen gibt, die bewusst ein altes Tier aufnehmen und pflegen.
Offizielle Studien dazu, wie viele Tiere bis zum Tod im Heim bleiben, sind weder Paula noch Schmidt bekannt. „Es ist auch schwierig zu differenzieren“, erklärt Paula. „Es gibt Tiere, die nach schweren Unfällen zu uns gebracht werden und faktisch schon tot sind.“Darunter fielen vor allem angefahrene Vögel. Deshalb sei dies statistisch schwer erfassbar.