Friedberger Allgemeine

Natur pur

US-Nationalpa­rks in Washington State

- VON CHRIS MELZER

Washington gibt es in den USA mehrfach – unter anderem als Bundeshaup­tstadt mit Capitol und Weißem Haus. Etwa 4000 Kilometer davon entfernt trägt aber auch ein Bundesstaa­t diesen Namen – in der, von Alaska einmal abgesehen, nordwestli­chsten Ecke des Landes. Washington State bietet mit Seattle zwar auch eine Großstadt, ansonsten aber vor allem Natur mit gleich drei Nationalpa­rks: Mount Rainier, Olympic und North Cascades an der Grenze zu Kanada. Zum 100-jährigen Bestehen des National Park Service erwarten die Parks jetzt noch mehr Besucher als sonst. „Ohne Euch wäre es hier ein Stück leerer. Die Deutschen scheinen unsere Natur wirklich zu lieben“, sagt Kathy Steichen vom Mount Rainier National Park. Hinter ihr erhebt sich der fast 4400 Meter hohe Berg, den manche auch Tacoma nennen und den man schon im Anflug auf Seattle sieht. Er gehört zu den bekanntest­en Bergen der USA, obwohl es 16 höhere gibt. Aber seine Schönheit und seine Lage, nur gut eine Autostunde von Seattle entfernt, machen ihn zu einer der größten Touristena­ttraktione­n im Nordwesten der USA. „Der Berg bietet für alle etwas“, sagt Steichen. „Wer nur eine Stunde wandern will, hat dafür den passenden Pfad. Wer sich aber mehr zutraut und für sich sein will, findet auch seinen Weg. Von der Familie mit Kinderwage­n bis zum Extremspor­tler: Wir haben hier alles.“Die meisten seien gut ausgerüste­t, und wer dann doch in Absatzschu­hen auf einen der langen Pfade geht, bekommt einen freundlich­en Hinweis der Ranger. „Auch bei uns gilt: Haben Sie vor allem Wasser dabei“, rät Steichen. Dabei bietet der Park den Luxus, dass man seine Flasche immer wieder an kleinen Bergquelle­n auffüllen kann, deren Wasser auch im Hochsommer kühl ist und köstlich schmeckt. Der erste Nationalpa­rk der USA entstand 1872 am Yellowston­e River in Wyoming. Es war zugleich der erste Nationalpa­rk der Welt. Der am Mount Rainier wurde 1899 ausgerufen, doch erst im August 1916 wurde der National Park Service gegründet, dessen Ranger die mittlerwei­le 59 Parks und Hunderte historisch­e Stätten betreuen. Zum 100-jährigen Bestehen gibt es Feierstund­en, Sondermünz­en, Briefmarke­n und Broschüren. Und ein Geschenk für Schulkinde­r: „Jeder Viertkläss­ler in den USA bekommt einen Familienpa­ss für einen Park“, erklärt Steichen. „Der gilt zwar für die ganze Familie, aber er gehört eigentlich dem Zehnjährig­en – und der soll dann auch entscheide­n, wo es hingeht.“Damit sollen Parks und Natur fester in der künftigen Generation verankert werden. Kein Kind soll glauben, dass Kühe lila sind.

Einmalige Kombinatio­nen aus Wald, Berge und Meer

„Wir haben hier Berge, Ozean und Regenwald. Wer kann das schon bieten?“, sagt Rangerin Barb Maynes im Olympic National Park, der nordwestli­ch des Mount Rainier liegt. „Es gibt hier Bäume, die zehn Männer nicht umfassen können. Und dann kommen Kinder aus der Stadt, die noch nie vorher in einem Wald waren, und stehen mit offenen Mündern da.“Olympic hat jedes Jahr mehr als drei Millionen Besucher und gehört zu den beliebtest­en Parks der USA. Er liegt auf einer Halbinsel und ist so abgelegen, dass es viele Tier- und Pflanzenar­ten gibt, die nur hier leben. Breite Strände gehen in feuchten Wald über, der mit umgestürzt­en, von Moos überwachse­nen Bäumen wie im Märchenbuc­h aussieht. „Wir greifen nur ein, wenn Menschen gefährdet werden“, sagt die Rangerin. „Ansonsten soll Natur hier Natur sein.“So dachte man nicht immer. Vor einem Jahrhunder­t, als es den Nationalpa­rk noch nicht gab, wurden am Fluss Elwha zwei Dämme gebaut – ohne Rücksicht auf Tiere und Pflanzen und auch nicht auf die Ureinwohne­r. Diese warnten vor den Folgen für die Natur, aber niemand hörte zu. In den vergangene­n Jahren wurden im Zuge eines der größten Renaturier­ungsprojek­te der Erde die beiden Dämme abgerissen. „Nach 100 Jahren Wasser sah das nicht gerade wie ein Garten aus“, sagt Maynes. „Aber die Natur hat sich alles schnell wieder zurückgeho­lt.“Zurückgeke­hrt sind, wie von den Ureinwohne­rn vorausgesa­gt, auch die Lachse. Wer im Herbst kommt, sieht die großen Fische zu Tausenden, wie sie sich die Ströme hochquälen. An einigen Stellen schwimmen sie Flosse an Flosse, man könnte die erschöpfte­n Tiere einsammeln. Bären lassen sich das nicht entgehen und schlagen sich die Bäuche voll. Die Nationalpa­rks sind ein Widerspruc­h in sich: Sie sollen die Natur bewahren und unverfälsc­ht zeigen, zugleich aber zugänglich sein, auch für Kinderwage­n und Rollstühle. Praktisch immer führen gut ausgebaute Straßen in die Wildnis. „Wenn wir die Menschen auf diese Weise gewinnen können, soll es mir recht sein“, sagt Jon Preston, Ranger im Hoh Rain Forest, einem Teil des Olympic National Parks. „Wir kennen nur die 30 Meter links und rechts vom Weg. Aber was ist dahinter? Da draußen könnten Dinosaurie­r sein, und wir hätten keine Ahnung.“Der Rain Forest hat seinen Namen nicht zu Unrecht. Hier kommen jedes Jahr 3400 Millimeter Regen runter – fast das Fünffache des deutschen Durchschni­tts. Es tropft fast immer von den Blättern, selbst wenn die Sonne scheint. Aber viel öfter liegt der Park in der Dämmerung, und es ist ein Heidenlärm: Die Bäume rauschen im Wind, und ziemlich jedes Tier im Park scheint auf sich aufmerksam machen zu wollen. Es ist eine Mischung aus tropischem Dschungel und verzaubert­em Märchenwal­d.

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