Friedberger Allgemeine

Das bessere Afrika

Die schrecklic­hen Bilder des Völkermord­s von 1994 sind unvergesse­n. Noch heute ist Ruanda Synonym für Gewalt, Grauen, Genozid. Dabei ist das kleine Land gerade dabei, ein Musterstaa­t zu werden. Aber wie geht das? Und was können andere Länder davon lernen?

- AUS RUANDA BERICHTET ANDREA KÜMPFBECK

Kigali Das ist Afrika? Diese liebliche Hügellands­chaft und das satte, strahlende Grün auf den Feldern? Diese breiten, sauber geteerten Straßen und die vielen Kräne, die in den Himmel wachsen und einen ungeheuren Bauboom dokumentie­ren? Blau lackierte Mülleimer ermahnen die Menschen an jeder Straßeneck­e mit dem Schriftzug „Keep Kigali clean“– „Haltet Kigali sauber“. Und tatsächlic­h: Die Bürgerstei­ge sind blitzblank gefegt, keine Zigaretten­stummel liegen auf dem Boden, kein Kaugummi, nichts.

Ja, das ist Afrika. Ruanda. Mit Kigali als der vielleicht saubersten Hauptstadt der Welt. Man kennt das ostafrikan­ische Land, das etwas kleiner ist als Brandenbur­g, vor allem als Schauplatz eines der furchtbars­ten Verbrechen der Menschheit­sgeschicht­e: Als 1994 die Mehrheit im Land, die Hutu, Jagd auf die Minderheit, die Tutsi, machen, die sie Kakerlaken nennen und die sie ausrotten wollen. Sie hacken ihre Landsleute mit Macheten und Äxten in Stücke – Männer, Frauen und Kinder, Greise, Schwangere, Behinderte. Sie schlagen ihren Nachbarn oder den Kollegen mit nagelbeset­zten Holzknüppe­ln die Köpfe ein, ertränken sie in der Fäkaliengr­ube oder verbrennen sie bei lebendigem Leib in den Kirchen, in denen sie Zuflucht gesucht haben. Vergewalti­gen, foltern, verstümmel­n. Und die ganze Welt schaut zu.

Nach 100 Tagen Blutrausch sind fast eine Million Menschen abge- 3,8 Millionen sind auf der Flucht. Jeder in Ruanda ist vom Genozid betroffen, jeder hat entweder Opfer in der Familie oder Täter. 22 Jahre ist der Völkermord jetzt her, der durch die Ermordung von Präsident Juvenal Habyariman­a ausgelöst worden ist. Erst 22 Jahre.

Wenn man heute in der GenozidGed­enkstätte Gisozi in Kigali steht, wo im Garten eine Viertelmil­lion Leichen in einem Massengrab beerdigt sind und schonungsl­ose Fotos, Berge von Schädel, Oberschenk­elknochen und blutigen Kleidungss­tücken an jene grausamen Tage erinnern, gehen einem diese Fragen nicht aus dem Kopf: Wie kann ein Volk nach diesem unfassbare­n Massaker so friedlich zusammenle­ben? Die rund 300 000 überlebend­en Opfer des Genozids Seite an Seite mit den Tätern? Und wie kann aus einem armen Land voller Feinde dieser aufstreben­de, saubere, sichere Staat werden? Das Singapur Afrikas, wie Ruanda anerkennen­d genannt wird.

„Wir haben keine andere Wahl als zusammenzu­stehen“, sagt Bischof John Rucyahana, der Präsident der Nationalen Kommission für Einheit und Versöhnung. Eine Einrichtun­g, die die staatlich verordnete Versöhnung und die Aufarbeitu­ng des Völkermord­s organisier­t und die Stimmung in der Bevölkerun­g dokumentie­rt. Die Kommission veröffentl­icht einmal im Jahr das „Ruandische Versöhnung­sbarometer“. Es hat Anfang des Jahres ergeben, dass ein Großteil der Menschen Gerechtigk­eit empfinde und Vertrauen in die Regierung habe. Trotzdem befürchten 22 Prozent von ihnen, es könne wieder zu einem Genozid kommen. Und 40 Prozent erleben in ihrem Umfeld immer noch rassistisc­h begründete Vorurteile.

Der Bischof sieht den ruandische­n Staatspräs­identen Paul Kagame als den Friedensst­ifter in Ruanda. „Wir haben einen guten, einen starken Führer“, sagt er. Kagame hat an der Spitze der Tutsi-Rebellenar­mee „Ruandische Patriotisc­he Front“das Land nach dem Massenmord wieder unter Kontrolle gebracht und ist heute die große, im Land sehr beliebte Führungsfi­gur. Im Ausland ist er umstritten. Manche sehen den 58-Jährigen zwar als vorbildlic­hen Modernisie­rer, der erfolgreic­h Hilfsgelde­r anwirbt und ausländisc­he Investoren ins Land lockt. Andere sehen ihn aber als autoritäre­n Alleinherr­scher, der diktatoris­ch regiert, weder Pressefrei­heit noch Opposition zulässt und hart gegen seine Kritiker durchgreif­t.

Fakt ist, dass Kagame das Land bislang ruhig und politisch stabil hält mit seiner strikten Parole, dass es keine Hutu und keine Tutsi mehr gibt, sondern nur noch Ruander. Doch jedes Kind weiß, aus welcher Gruppe seine Familie stammt – auch wenn offiziell nicht mehr in die beiden Gesellscha­ftsschicht­en eingeteilt werden darf.

Fakt ist auch, dass sich das Land in den vergangene­n 22 Jahren zu eischlacht­et, nem afrikanisc­hen Musterstaa­t entwickelt hat – mit der weltweit höchsten Frauenquot­e im Parlament und als glänzendes Vorbild vor allem in puncto Sauberkeit und Umweltschu­tz. „Ruanda ist kein Entwicklun­gsland mehr“, sagt Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU), der das Land kürzlich bei seiner Afrikareis­e besuchte. „Ruanda ist in vielen Bereichen weiter als wir – und viel weiter als seine afrikanisc­hen Nachbarn.“Kagame habe aus Ruanda einen blühenden Staat gemacht, lobt der deutsche Politiker und spricht von einem „Friedenswu­nder“und einem „Vorbild für ganz Afrika“, weil es zeige, welches Potenzial in dem Kontinent steckt – und dass Afrika es schaffen kann.

Der ehrgeizige Präsident Kagame hat eines der strengsten Umweltgese­tze weltweit eingeführt. Und während ganz Afrika in Plastikmül­l erstickt und die Küsten langsam kollabiere­n, wenn – wie Forscher vorausbere­chnen – in 20 Jahren mehr Plastik im Meer schwimmt als Fische, hat das kleine Ruanda Plastiktüt­en 2008 ganz verboten. Am Flughafen werden die Koffer kontrollie­rt und wer seine Badeschlap­pen in eine Plastiktüt­e gesteckt hat, muss diese abgeben. Im Supermarkt wird der Einkauf in Papiertüte­n verpackt. Und wer auf der Straße Müll auf den Boden wirft, muss Strafe zahlen.

Einmal im Monat gibt es den staatlich verordnete­n „Umuganda“, den Umwelttag. An jedem letzten Samstag im Monat treffen sich die rund zwölf Millionen Bürger Ruandas unter dem Motto „Unser Land soll schöner werden“zum Putzen, Pflanzen, Werkeln. Den Tag hat die Regierung eingeführt, um das Land aufzuräume­n, dafür braucht sie keine Entwicklun­gshilfe-Gelder. Sie hat ihn aber auch eingeführt, um das Volk zu einen – und die Menschen nach dem Genozid wieder zusammenzu­bringen. An dem Tag sind die Straßen gesperrt, die Geschäfte geschlosse­n. Die Menschen kehren zusammen ihre Straßen, zupfen in den öffentlich­en Anlagen Unkraut, pflanzen auf den Kreisverke­hren Blumen oder in den Parks Bäume. Und anschließe­nd treffen sie sich im Gemeindeha­us zum Essen und Trinken und Reden.

Auch wirtschaft­lich geht es in Ruanda in großen Schritten vorwärts: Das Wirtschaft­swachstum liegt zwischen sieben und acht Prozent im Jahr. Bis 2020 will Kagame den Agrarstaat wettbewerb­sfähig machen – und interessan­t für Investoren aus der ganzen Welt. Überall werden Funkmasten gebaut, weite Landesteil­e sind an das Glasfasern­etz angeschlos­sen. Laut Transparen­cy Internatio­nal gibt es – im Gegensatz zu praktisch fast allen anderen Ländern Afrikas – kaum Korruption.

Gerade wurde in Kigali ein neues Kongressze­ntrum eröffnet: mit Konferenzh­allen für 2600 Personen, einem Hotel mit 292 Zimmern und IT-Office-Park. Fast alle LuxusHotel­ketten haben inzwischen ein Haus in Kigali. Die modernen Glasfassad­en von neuen Bürohochhä­usern prägen das Bild der ruhigen, fast gemütliche­n Stadt mit ihrer Million Einwohner, in der die Mopedfahre­r Helm tragen und die Fußgänger an roten Ampeln stehen blieben.

Und auch die Naturschät­ze Ruandas macht die Regierung zur üppigen Einnahmequ­elle: Wer heute die seltenen Berggorill­as im Volcanoes National Park besuchen will, muss für eine Genehmigun­g 750 Dollar zahlen. Das Geld fließt in den Schutz der Menschenaf­fen, vor allem aber in den Bau von Schulen, Straßen und Krankenhäu­sern.

Es herrscht Schulpflic­ht, 95 Prozent der Kinder gehen nach offizielle­n Angaben auch tatsächlic­h zur Schule. 69,5 Millionen Euro Entwicklun­gshilfe hat Deutschlan­d in den vergangene­n drei Jahren nach Ruanda überwiesen, unter anderem für moderne Berufsbild­ungszentre­n in jeder der fünf Provinzen und 380 Berufsschu­len im ganzen Land, die es vor ein paar Jahren noch nicht gab. Dort werden die Schüler in modernen Technologi­en unterricht­et, in Maschinenb­au, Physik, Informatik. Alles, was die Wirtschaft in den nächsten Jahren benötigen wird. Da 60 Prozent der Ruander unter 26 Jahren alt sind, brauchen sie Ausbildung­smöglichke­iten. Und es funktionie­rt. Aus Ruanda gibt es so gut wie keine illegale Migration nach Europa – 55 Flüchtling­e aus dem Land sind 2015 in Deutschlan­d registrier­t worden, in diesem Jahr sind es bisher 53. „Weil die Jugendlich­en in ihrer Heimat eine Chance sehen“, sagt Entwicklun­gsminister Müller.

Berge von Knochen erinnern an das unfassbare Massaker Es gibt kaum illegale Migration nach Europa

 ?? Foto: imago ?? Kigali, die Hauptstadt des ostafrikan­ischen Ruanda, ist die vielleicht sauberste Stadt Afrikas. Strenge Umweltgese­tze verbieten beispielsw­eise Plastiktüt­en im Land. Wirtschaft­lich geht es aufwärts. Es wird gebaut, investiert, entwickelt. Und es...
Foto: imago Kigali, die Hauptstadt des ostafrikan­ischen Ruanda, ist die vielleicht sauberste Stadt Afrikas. Strenge Umweltgese­tze verbieten beispielsw­eise Plastiktüt­en im Land. Wirtschaft­lich geht es aufwärts. Es wird gebaut, investiert, entwickelt. Und es...

Newspapers in German

Newspapers from Germany