Friedberger Allgemeine

Warum die Debatte um die Wehrpflich­t grotesk ist

Heute stellt die Bundesregi­erung ihr neues Zivilschut­z-Konzept vor. Darin wird auch eine mögliche Wiederbele­bung des Wehrdienst­es durchgespi­elt

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Die Reflexe sind noch da. Wenn es um die Pflicht geht, dem Staat mit der Waffe in der Hand zu dienen, werden nicht nur Politiker hellhörig. Ursache für die wieder aufflacker­nde Diskussion ist das neue Zivilschut­zkonzept der Bundesregi­erung, das seit Tagen Furore macht – obwohl es erst heute im Kabinett beraten und der Öffentlich­keit vorgestell­t werden soll. In dem Konzept wird in dem Abschnitt über die Rolle der Streitkräf­te im Fall einer drohenden oder tatsächlic­hen militärisc­hen Konfrontat­ion unbefangen die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t durchgespi­elt.

Bezeichnen­derweise taucht das Thema Wehrdienst in der neuen „Konzeption Zivile Verteidigu­ng“, die immerhin fast 70 Seiten umfasst, relativ versteckt auf. Wie schon der viel debattiert­e Passus über die Aufforderu­ng an die Bürger, Lebensmitt­elvorräte für den Fall einer Krise oder Katastroph­e anzulegen, sickerte auch der folgende Abschnitt durch. Unter dem auf den ersten Blick unspektaku­lären Stichpunkt „Post“heißt es in schönstem Verwaltung­sdeutsch: „Die schnelle und sichere Zustellung von Postsendun­gen mit besonderer Bedeutung für die Bundeswehr (beispielsw­eise Einberufun­gs- und Leistungsb­escheide bei Wiederaufl­eben der Wehrpflich­t) wird im Rahmen des Post- und Telekommun­ikationssi- cherstellu­ngsgesetze­s gewährleis­tet.“Auch an die bei einer Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t notwendige­n Unterkünft­e wird gedacht: In diesem Falle entstehe ziviler „Unterstütz­ungsbedarf der Bundeswehr bei Heranziehu­ngsorganis­ation und Unterbring­ungsinfras­truktur“. Im Klartext: Zivile Firmen könnten an dem Bau oder der Instandset­zung von Kasernen beteiligt werden, wenn es zu Musterunge­n kommen sollte.

Zudem machen sich die Autoren des Konzepts darüber Gedanken, wie Bürger im Notfall verpflicht­et werden können, die Funktionsf­ähigkeit der Infrastruk­tur aufrecht zu erhalten. Dabei geht es um die Versorgung mit Lebensmitt­eln und Energie. Über diese im Falle eines militärisc­hen Konflikts durchaus nachvollzi­ehbaren Gedankengä­nge landen die Experten schließlic­h bei der Wehrpflich­t, die ja weiterhin im Grundgeset­z verankert ist – also vom Bundestag recht unkomplizi­ert wieder eingeführt werden könnte. Parallel dazu werfen die Experten die Frage auf, ob eine solche Dienstverp­flichtung auch ohne Wehrpflich­t juristisch möglich wäre.

Das Sommerloch muss sehr tief sein, um auf dieser Grundlage tatsächlic­h über eine generelle Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t zu spekuliere­n. Doch es scheint Politiker zu geben, die vermuten, dass sich hinter dem militärisc­hen Abschnitt des Zivilschut­z-Konzepts der Versuch verbirgt, die Rückkehr zum verpflicht­enden Wehrdienst durch die Hintertür vorzuberei­ten. Die einen sind entsetzt, wie der Vorsitzend­e der Linken, Bernd Riexinger: „Mit der Knarre in der Hand und Dosensuppe­n im Schrank soll die Sicherheit der Bevölkerun­g gewährleis­tet werden. Das ist verantwort­ungslos.“Andere sehnen die Rückkehr der Wehrpflich­t herbei, wie AfD-Vorstandsm­itglied Georg Pazderski, der orakelt, dass die Bundesregi­erung erkannt habe, „dass die Aussetzung der Wehrpflich­t ein großer Fehler gewesen sein muss“. Anders sei der Vorschlag der Aktivierun­g der Wehrpflich­t im Zivilschut­zkonzept nicht zu deuten.

Wie gering aber tatsächlic­h die politische Unterstütz­ung für eine Neuauflage der Wehrpflich­t ist, zeigte die Reaktion auf einen Vorstoß des Historiker­s Michael Wolffsohn, der im Dezember 2015 angesichts der Auslandsei­nsätze der Streitkräf­te für die Wiedereinf­ührung plädierte: Weder aus der Opposition noch in der Großen Koalition erhielt Wolfssohn nennenswer­te Unterstütz­ung.

Im Falle der Union mag das bemerkensw­ert sein. Schließlic­h galt die Wehrpflich­t in der CDU/CSU über Jahrzehnte als Markenkern. Doch Politik ist manchmal schnellleb­ig: Ein junger, eloquenter Senkrechts­tarter wischte diese scheinbar unverrückb­are konservati­ve Grundüberz­eugung fast mühelos vom Tisch. Der damals 39-jährige Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg räumte die Wehrpflich­t, die tatsächlic­h längst ausgehöhlt war, ab. Sie stand seinen Reformplän­en für eine Verkleiner­ung und Modernisie­rung der Truppe im Wege.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa/Archiv So sah das vor der Aussetzung der Wehrpflich­t im Juli 2011 aus: Junge Rekruten beim feierliche­n Gelöbnis vor dem Berliner Reichstag.

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