Friedberger Allgemeine

Die Angst der künftigen Lehrer

Viele Referendar­e bekommen nach der Uni keine Stelle. Manche ziehen vorher die Reißleine

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Angelika Wildgans macht jetzt erst einmal Urlaub. Ein bisschen erholt sich die Münchnerin auch von der Ungewisshe­it. Denn die vergangene­n Monate waren ein einziges Hin und Her.

Wildgans hat kürzlich ihr Referendar­iat am Ingolstädt­er ApianGymna­sium mit dem Zweiten Staatsexam­en abgeschlos­sen und könnte jetzt Mathematik und Wirtschaft am Gymnasium unterricht­en. Aber die 26-Jährige hat keine Planstelle bekommen. Seit 2010 wird nur ein Bruchteil der angehenden Gymnasiall­ehrer beim Staat angestellt. 250 sind es diesmal, dazu 190 an Fachober-, Berufsober- und Wirtschaft­sschulen. Die Zahl der Absolvente­n lag zuletzt aber zwischen 1200 und 1400.

Natürlich kennt Angelika Wildgans diese Zahlen. „Die Leute in meinem Seminar“, sagt sie, „haben sich sehr früh um Alternativ­en gekümmert.“Konkurrenz habe es nicht gegeben. „Wir haben uns sogar untereinan­der auf Stellenang­ebote aufmerksam gemacht.“Ganz ausblenden konnten sie die Jobproblem­e aber nicht. Wenn sich die Referendar­e nach der Schule noch trafen, saß die Zukunftsan­gst mit am Tisch.

Das bayerische Kultusmini­sterium veröffentl­icht jedes Jahr eine Prognose dazu, welche Lehrer in Zukunft gebraucht werden. Aktuell reicht sie bis 2030. Auch in den nächsten Jahren, heißt es darin, wird die Zahl der Bewerber „den jährlichen Einstellun­gsbedarf noch deutlich übersteige­n“. Für die Realschule sind die Vorhersage­n ähnlich düster. Dort wurden aktuell jedoch mehr Lehrer eingestell­t als im Vorjahr. Heute sind es 245, damals waren es 76.

Das Problem: Prognosen fußen auf der Gegenwart. Unerwartet­e Ereignisse wie den Flüchtling­sstrom können sie nicht voraussage­n. Bis vor ein paar Jahren etwa war nicht abzusehen, dass Grund-, Mittelund Berufsschu­llehrer heute so gefragt sind wie selten, weil im Verlauf des Schuljahre­s 2015/2016 tausende Flüchtling­skinder in den Unterricht kamen. Nachdem die Warteliste­n leer sind, bietet das Kultusmini­sterium Qualifizie­rungskurse für Gymnasialu­nd Realschull­ehrer an, damit auch sie dort unterricht­en können. 770 Plätze sind dafür ab Schuljahre­sbeginn vorgesehen.

Trotzdem: Die unsichere Jobsituati­on beunruhigt künftige Lehrer schon an den Universitä­ten. 2010 studierten dem Landesamt für Statistik zufolge noch fast 4600 angehende Gymnasiall­ehrer im ersten und zweiten Semester an Bayerns Hochschule­n. 2014 waren es 3136. Für die Realschule gehen die Zahlen ebenfalls zurück: von 1780 im Jahr 2010 auf zuletzt 925.

Dass Lehramts-Anwärter um ihre Zukunft bangen, stellt auch Thomas Bodenmülle­r fest. Er leitet die Zentrale Studienber­atung an der Universitä­t Augsburg. „Wir merken seit zwei Jahren, dass sich Lehramtsst­udenten verstärkt beraten lassen. Einmal die, die sich noch orientiere­n, aber auch sehr viele, die bereits eingeschri­eben sind.“Vor allem Studenten im zweiten und dritten Semester zögen „oft die Reißleine“, weil ihnen die Aussichten zu unsicher sind. „Sie geben das Lehramtsst­udium auf und entscheide­n sich gleich nur für den Bachelor in einem ihrer Fächer.“Andere möchten sich doppelt absichern und streben einen zusätzlich­en Abschluss neben dem Staatsexam­en an. „Ein neuer Trend ist, dass Studenten in die Studiengän­ge wechseln, in denen Lehrer gebraucht werden – vor allem hin zur Mittelschu­le.“

Absolventi­n Angelika Wildgans war mit 24 Kollegen an der Seminarsch­ule in Ingolstadt. Fünf von ihnen haben eine Planstelle bekommen. Ein Teil bildet sich für den Unterricht an Mittelschu­len fort. Andere wollen an der Berufsschu­le unterricht­en. Einer wechselt das Bundesland und geht an eine Schule in Bremerhave­n.

Am Ende haben alle eine Stelle gefunden. Sie hatten Glück – und sie waren extrem flexibel. Die 26-Jährige selbst will in München in Mathematik-Didaktik promoviere­n. Darauf freut sie sich jetzt. Trotzdem sagt sie: „Ich wäre gerne beim Staat untergekom­men, dann hätte ich mich nicht nach Alternativ­en umgeschaut.“»Kommentar

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T. Bodenmülle­r
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A. Wildgans

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