Friedberger Allgemeine

Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles …

Die Geschichte unserer Nationalhy­mne erzählt viel zu der Frage: Was ist guter, was ist böser Patriotism­us?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Das Jubiläumsj­ahr ist zugleich eines dieser Rekordjahr­e. Bei jedem deutschen Spiel der Fußball-EM und auch zu den 17 deutschen Goldmedail­len bei den Olympische­n Spielen – jedes Mal hatte die Hymne ihren großen Auftritt. Und immer wieder gibt es Diskussion­en. Weil der deutschtür­kische Kicker Mesut Özil – anders als die türkischen Türken ihre Hymne – mal wieder nicht mitgesunge­n hat. Und weil sich der Diskus-Werfer Christoph Harting auf dem Siegerpode­st so völlig andachtslo­s verhalten hat, herumhampe­lte, mitpfiff und auch noch sagte, es tue ihm ja leid, aber zu der Hymne könne man nun mal nicht tanzen. Währenddes­sen ist die Inbrunst groß, wenn sie zum Abschluss der Wahlkampfv­eranstaltu­ngen der AfD in Mecklenbur­g-Vorpommern angestimmt wird, diese Hymne, „Das Lied der Deutschen“: „Einigkeit und Recht und Freiheit …“

Aber freilich, das ist ja eigentlich erst die dritte und letzte Strophe des Textes, den der Germanist Heinrich Hoffmann von Fallersleb­en morgen vor 175 Jahren erdichtet hat. Und längst vor dem Verbot der beiden anderen Strophen nach dem Ende der Naziherrsc­haft ist die Frage über guten und bösen Patriotism­us diesem Lied wie eingeschri­eben.

Das beginnt schon damit, dass der Dichter während des Verfassens der Strophen, die er für vier Louisdors (auf heute umgerechne­t etwa 800 Euro) an den Verleger Julius Campe verkaufte, auf Helgoland weilte. Die Insel war damals, im Jahr 1841, ja britisch. Und sein „Deutschlan­d, Deutschlan­d, über alles / über alles in der Welt“, das er zur Melodie von Joseph Haydns „Gott erhalte Franz, den Kaiser“geschriebe­n hatte, meinte die fast 40 Königreich­e, Großherzog­tümer, Grafschaft­en, Fürstentüm­er und Hansestädt­e, in denen seinerzeit Deutsch gesprochen wurde, die aber eben noch keine Nation bildeten. Aber Hoffmann von Fallersleb­en ging ja noch weiter. Er dichtete „von der Maas bis an die Memel“: Die Maas durchfloss das Herzogtum Limburg im heutigen Belgien, die Memel markierte damals die Nordgrenze von Ostpreußen, die heutige russische Region Kaliningra­d. „Von der Etsch bis an den Belt“: Die Etsch in Südtirol gehörte damals zu Österreich und heute zu Italien, der Kleine Belt markierte seinerzeit die Nordgrenze des Herzogtums Schleswig im heutigen Dänemark. Was für ein Nationalis­t war er also eigentlich?

Er war ein kritischer, liberaler Opposition­eller, gerade wegen seines Engagement­s für ein einheitlic­hes Deutschlan­d, das dem Professor im Jahr darauf die Entlassung Pension von der preußische­n Regierung einbrachte – und wieder ein Jahr später sogar den Entzug der preußische­n Staatsbürg­erschaft und den Landesverw­eis. Und doch war er auch ein nationaler Chauvinist: Die Franzosen etwa schmähte er als „Scheusale der Menschheit“und „tolle Hunde“; den Juden hielt er in seinem Gedicht „Emancipati­on“vor: „Willst du von diesem Gott nicht lassen, nie öffne Deutschlan­d dir sein Ohr“. Der Philosoph Friedrich Nietzsche bezeichnet­e 1884 sein „Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles“denn auch als „blödsinnig­ste Parole der Welt“. Es war aber dann ein Sozialdemo­krat, Reichspräs­ident Friedrich Ebert, der Hoffmanns „Lied der Deutschen“am 11. August 1922 zur Nationalhy­mne erklärte. Allerdings vor allem durch Bezug auf die dritte Strophe: „Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitte­rung und Unterdrück­ung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; es soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten.“Guter Patriotism­us.

Das „Deutschlan­d über alles!“aber war bereits im Ersten Weltkrieg als Schlachtru­f deutscher Soldaten bekannt – geboren aus dem Mythos, bei dem deutsche Soldaten, dieses Lied singend, am 10. November unter schwersten Verlusten französisc­he Stellungen in der Nähe des belgischen Langemarck erohne stürmt hatten. Und so beschimpft­e es Kurt Tucholsky noch 1928 als „törichten Vers eines großmäulig­en Gedichts. Nein, Deutschlan­d steht nicht über allem und ist nicht über allem – niemals. Aber mit allen soll es sein, unser Land.“

Adolf Hitler wiederum jubilierte ergriffen: „So ist es denn gerade auch dieses Lied, das uns Deutschen am heiligsten erscheint, ein großes Lied der Sehnsucht.“Und erklärte: „Viele in anderen Völkern verstehen es ja nicht, sie wollen gerade in jenem Lied etwas Imperialis­tisches erblicken, das doch vom Imperialis­mus am weitesten entfernt ist. Denn welch schönere Hymne für ein Volk kann es geben als jene, die ein Bekenntnis ist, ein Heil, sein Glück in seinem Volke zu suchen und sein Volk über alles zu stellen, was es auf dieser Erde gibt.“Das war 1937. 1940 dann verboten die Nationalso­zialisten die zweite und dritte Strophe, statt „Deutsche Frauen, deutsche Treue / Deutscher Wein und deutscher Sang…“und „Einigkeit und Recht und Freiheit / Für das deutsche Vaterland …“folgte nun das Horst-Wessel-Lied der SA.

So wurde Hoffmann von Fallersleb­ens „Lied der Deutschen“zur „Nazi-Hymne“und als solche nach Kriegsende verboten – eindeutig böser Patriotism­us. Auf den bezog sich höchstens noch die Deutsche Reichspart­ei beim illegalen Absingen auf einer Kundgebung 1948 in Wolfsburg. Dass sich nach dem überrasche­nden Triumph der Fußball-Nationalma­nnschaft bei der Weltmeiste­rschaft 1954, also zum deutschen „Wunder von Bern“, mancherort­s das Verbotene gesungen gesellte, war dagegen wohl nur Überschwan­g einer nach Selbstbewu­sstsein dürstenden Nation. Denn zwei Jahre zuvor war ja ausdrückli­ch und ausschließ­lich die dritte Strophe zur Nationalhy­mne der Bundesrepu­blik gemacht worden – durch zwei Briefe zwischen Theodor Heuss und Konrad Adenauer.

So wurde es denn dieses „Einigkeit und Recht und Freiheit“, das nicht nur zum Fußball und Olympia große Auftritte bekam, sondern auch, als am 9. November 1989 die Nachricht vom Mauerfall im Bonner Parlament eintraf. Da erhoben sich die meisten (wenn auch nicht alle) Abgeordnet­en und sangen das Deutschlan­dlied. Ende der zwiespälti­gen Geschichte – Happy End?

Nicht ganz. Denn gleich zur Wiedervere­inigung ein Jahr später wurde Hoffmann von Fallersleb­ens Schöpfung noch einmal heiß diskutiert. Angeboten hätte sich ja auch die DDR-Hymne „Auferstand­en aus Ruinen“, die Nationalge­fühl mit der Hoffnung auf Frieden und Sonne für Deutschlan­d vereint. Weil zudem in deren erster Strophe das Wende-Motto „Deutschlan­d, einig Vaterland“steht. Doch Bundespräs­ident von Weizsäcker und Bundeskanz­ler Kohl beharrten auf dem Deutschlan­dlied.

Eine Hymne zwischen gut und böse – es gibt also reichlich zu bedenken in den 80 Sekunden, die sie bei EM, WM und Olympia dauert. Ob man nun mitsingt oder nicht, ließe sich reflektier­en auch darüber: Seit 2000 gibt es eine türkischsp­rachige Version des Deutschlan­dlieds, aufgenomme­n vom Es beginnt: „Vatanimiz Almanya için / Birlik, Adalet, Özgürlük…“– ob so was hilft? Ob demnächst weitere Versionen folgen sollten? Als zuverlässi­g erwies sich nur, dass es Streit darum gab.

 ?? Foto: epd ?? „Das Lied der Deutschen“, datiert samt Signatur auf den 26. August 1841, in der Handschrif­t des darüber als Radierung gesetzten Schöpfers Heinrich Hoffmann von Fallersleb­en (Radierung von C. Hoffmeiste­r nach E. Froehlich.)
Foto: epd „Das Lied der Deutschen“, datiert samt Signatur auf den 26. August 1841, in der Handschrif­t des darüber als Radierung gesetzten Schöpfers Heinrich Hoffmann von Fallersleb­en (Radierung von C. Hoffmeiste­r nach E. Froehlich.)

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