„Aids wird in 15 Jahren noch nicht heilbar sein“
Der Facharzt Albrecht Dix betreut seit 1987 HIV-Patienten. Er erzählt, was die Infektion für Betroffene bedeutet
Herr Dr. Dix, sind HIV und Aids heute noch Thema? Albrecht Dix: Das Interesse der Öffentlichkeit ist rückläufig, weil die tödliche Bedrohung nicht mehr so gegeben ist. Es gibt Medikamente und die Leute sind beruhigt, dass man nicht gleich stirbt. Die Infektion hat ein wenig an Schrecken verloren.
Halten Sie es für möglich, dass HIV und Aids bis 2030 besiegt werden?
Dix: Das halte ich für ausgeschlossen. Es wird weiter so sein, dass Menschen an Aids sterben werden, weil nicht alle Zugang zu Medikamenten haben. Das wird sich auch in zehn oder 20 Jahren nicht ändern lassen. Eine Heilung oder Schutzimpfung wird es in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht geben.
Pro Jahr infizieren sich weltweit 2,1 Millionen Menschen neu. Warum?
Dix: Wir haben besonders in armen Ländern das Problem, dass die Bevölkerung nicht aufgeklärt ist und keinen Zugang zu schützenden Maßnahmen hat. Dazu kommt, dass einige nicht wissen, dass sie infiziert sind. Man geht davon aus, dass in Deutschland 15000 Menschen un- wissentlich HIV-positiv sind und andere anstecken. In anderen Ländern ist das noch viel schlimmer.
Wie sind die Zahlen für Deutschland?
Dix: Wir hatten 2001 nur 2000 Neuinfektionen, das ist seitdem kontinuierlich gestiegen. Für dieses Jahr erwarten wir 3000 Neuinfektionen. Insgesamt gehen wir von 85 000 Menschen aus, die HIV-positiv sind. In der deutschen Bevölkerung herrscht ein wenig die Sorglosigkeit. Dabei berücksichtigt man nicht, dass Medikamente auch Nebenwirkungen und vor allem hohe Kosten für das Gesundheitssystem bedeuten. Eine Therapie kostet in Deutschland etwa 15000 Euro pro Jahr.
Was ist an HIV so gefährlich?
Dix: An HIV stirbt man nicht. Es ist erst mal nur eine Infektion. Wenn jemand HIV-positiv ist, lebt er in den ersten Jahren normal weiter. Frühestens nach vier bis sechs Jahren kommen Auffälligkeiten wie eine Gürtelrose oder häufige Infektionen, doch das kann jeder gesunde Mensch auch bekommen. Nach acht Jahren bekommt man eine Aids-definierende Erkrankung. Das Immunsystem bricht dann durch die langjährige Infektion zusammen und so erkranken Patienten an Krankheiten, die einem sonst nichts anhaben können. Pro Jahr gibt es in Deutschland rund 500 Aids-Tote. Ein Test kann das verhindern: Ich habe rund 300 Patienten, und die sterben nicht, weil sie behandelt werden.
Wie wird HIV denn behandelt?
Dix: Obwohl der Patient sich gesund fühlt, muss er jeden Tag eine Tablette nehmen, um die Infektion zu kontrollieren. Das verhindert, dass Aids ausbricht. Früher hat man anfangs nur beobachtet und erst später mit den Tabletten begonnen, das ist heute anders. Eine rasche Behandlung bedeutet auch, dass man kaum noch ansteckend ist. Das würde die Epidemie kontrollieren. Außerdem gibt es inzwischen Tabletten, die vor und nach Sex eingenommen werden können und vor einer Infektion schützen. Ob das in Deutschland zugelassen wird, wird noch diskutiert. Wie häufig raten Sie zum Test? Dix: Ein sexuell aktiver Mensch, der ungeschützten Sex hat, sollte sich regelmäßig testen, ungefähr einmal im Jahr. Und das nicht nur auf HIV, es gibt auch andere Geschlechtskrankheiten. Sexarbeiter müssen sich mindestens alle drei Monate testen lassen. Den Test gibt es beim Gesundheitsamt kostenlos. Aber die Antikörper, die eine Erkrankung nachweisen, sind erst nach vier bis sechs Wochen feststellbar.
Wie lebt es sich heute mit HIV?
Dix: Medizinisch gesehen ist das relativ einfach, man nimmt pro Tag eine Tablette. Das allerdings ohne Pause und bis zum Lebensende. Und sie müssen alle drei Monate zur Kontrolle kommen. Damit werden sie genauso alt wie ein gesunder Mensch, davon bin ich überzeugt. Man kann auch Kinder kriegen. Eine Heilung gibt es aber nicht.
Albrecht Dix, 60, ist Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie und in einer Praxis am Klinikum Konstanz tätig