Friedberger Allgemeine

Ein Amt im Ausnahmezu­stand

Hintergrun­d Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e wird von allen Seiten kritisiert. Die einen werfen dem Bamf vor, Asylanträg­e zu oberflächl­ich zu prüfen, andere sagen, es gehe viel zu langsam. Mitarbeite­r beklagen den extremen Druck

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Das Finanzamt ist bei den meisten ziemlich unbeliebt, mit dem Bundeskrim­inalamt will man auch nur ungern direkt zu tun haben. Über das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, kurz „Bamf“genannt, hat derzeit jeder eine Meinung – meist keine sonderlich gute. Seit Monaten prügeln Politiker, Experten und Medien auf die Behörde ein, die versucht, der beispiello­sen Flüchtling­skrise Herr zu werden. Differenzi­ertere Stimmen gehen da fast unter.

Alles soll schnell gehen. Aus der Politik kommen die Forderunge­n, den Stau bei Asylanträg­en endlich abzubauen, in immer kürzeren Abständen. Als Macher und eloquenter Organisato­r wurde der Chef der Agentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, im September 2015 zusätzlich mit der Leitung des Bamf betraut. Der 64-Jährige, der die Leitung Ende dieses Jahres wieder abgeben will, versprach eine rasche Auflösung des Antragssta­us, musste jedoch einige Ankündigun­gen später wieder kassieren. Nach einer Schonfrist erntete auch er Kritik aus der Politik.

Naturgemäß bekommen auch die Bamf-Mitarbeite­r den Druck zu spüren. Sie müssen die Balance finden zwischen zügiger Bearbeitun­g und sorgfältig­er Prüfung. „Es geht um menschlich­e Schicksale – das ist alles andere als einfach für die Mitarbeite­r“, sagt der stellvertr­etende Leiter der Bundesbehö­rde, Georg Thiel, unserer Zeitung.

Angestellt­e des Bundesamte­s aus der Region berichten unserer Zeitung, wie die hohen Erwartunge­n und die grundlegen­de Neustruktu­rierung mit der Einstellun­g tausender neuer, also wenig erfahrener Kollegen auf ihnen lastet. Verständli­ch, dass sie ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen.

Das ARD-Politikmag­azin „Report“hat erst am Dienstag wieder eine Behörde dargestell­t, in der teilweise das blanke Chaos herrscht. Da geht es um Sachbearbe­iter, die die Anträge von Asylbewerb­ern fahrlässig oberflächl­ich prüfen, um viel zu spät versandte Ladungssch­reiben zu wichtigen Terminen und über Wochen nicht erreichbar­e Zweigstell­en. So harsch ist die Schilderun­g eines Bamf-Mitarbeite­rs, die unserer Zeitung vorliegt, nicht. Und

doch gibt es Berichte über „schlampige und oberflächl­iche Befragunge­n von Asylbewerb­ern“und aufgrund einer unzureiche­nden Ausbildung überforder­te Kollegen.

Der stellvertr­etende Bamf-Chef Thiel kennt diese Vorwürfe. Er hält sie jedoch für einseitig und verweist auf einen Bericht der die einen Journalist­en in das Bundesamt eingeschmu­ggelt hatte und fair über die Probleme berichtet habe. Schwierigk­eiten, die Thiel mit Blick auf die Umbrüche in seinem Haus für unvermeidl­ich hält: „Die Zahl der Mitarbeite­r hat sich von 2500 auf bis zu 9000 erhöht. Anfang

haben wir 300 Einzelents­cheider für Asylanträg­e beschäftig­t, heute sind es rund 2000.“Zudem habe sich die Zahl der Bamf-Liegenscha­ften von 50 bis 60 auf heute über 150 erhöht. Dort müsste Schritt für Schritt erst moderne IT-Technik installier­t werden – was viel Zeit koste. Thiel bestreitet gar nicht, dass diese Situation für Verwerfung­en gesorgt hat. „Wir haben mehr als 6000 neue Mitarbeite­r. Da ist die Motivation natürlich unterschie­dlich. Viele kommen immer wieder mit neuen Ideen, um die Abläufe zu verbessern, andere könnten noch eine Schippe drauflegen.“Und

wenn Letzteres nicht jedem gelingt? Dann seien die Vorgesetzt­en gefragt, „einen Weg zu finden“und „zu helfen, wenn Mitarbeite­r sich überforder­t fühlen“.

Pro Asyl hat eine andere Sicht. Die deutsche Flüchtling­shilfsorga­nisation sieht das Recht der Flüchtling­e auf ein faires Verfahren in Gefahr: „Das Bamf hat in großem Stil Asylentsch­eider mit unterschie­dlichsten, oft fragwürdig­en Qualifikat­ionen angeworben und hastig an die Entscheidu­ngsfront geschickt“, lautet der Vorwurf.

Die wechselsei­tigen Argumente beschreibe­n das grundsätzl­iche Di2015 lemma der Behörde. Während Pro Asyl und die Opposition darauf pochen, dass die Rechte der Asylbewerb­er buchstaben­getreu gewahrt bleiben, fordern Politiker der Großen Koalition, aber auch die wachsende Zahl der Kritiker der Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Angela Merkel schnellere Verfahren. Vor einer Woche wurde gemeldet, dass die Bearbeitun­gsdauer von Asylanträg­en wieder länger wird, doch Thiel sieht in den aktuellen Zahlen für das erste Halbjahr Anzeichen für eine Trendwende: „Im Durchschni­tt beträgt die Verfahrens­dauer

Vor Gericht gewinnt fast immer die Behörde

rund sieben Monate. Bei Neufällen, die seit Januar 2016 gestellt und bereits entschiede­n wurden, sind es allerdings nur noch 1,9 Monate.“

Ein weiterer Vorwurf an das Bamf ist, dass Fehler bei einer nachlässig­en Abarbeitun­g der Fälle zu einer Flut von Klagen führen würden. „Es gibt zwar in absoluten Zahlen durch den extremen Anstieg der Fälle mehr Klagen gegen Entscheidu­ngen des Bamf. Prozentual hat sich jedoch fast nichts geändert. Das gilt auch für den Anteil der Verfahren, in denen das Gericht gegen das Bundesamt geurteilt hat.“Die bisher unveröffen­tlichten Zahlen: Die Quote der Klagen gegen ablehnende Entscheidu­ngen hat sich im ersten Halbjahr 2016 bei 35,4 Prozent eingepende­lt. Im Vorjahr lag sie bei 31,9 Prozent. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 32000 Gerichtsen­tscheidung­en gefällt. In nur 4,4 Prozent der Verfahren urteilten die Richter gegen das Bamf.

Abseits der Frage nach Tempo und Sorgfalt belasten juristisch­e Konflikte zwischen Bamf-Leitung und Personalrä­ten das Klima. Zwei Gerichtsur­teile gaben der Personalve­rtretung recht. Demnach hat die Leitung der Behörde sowohl bei der Einstellun­g von Personal als auch bei der Einführung von Schichtarb­eit rechtliche Vorgaben missachtet. Vergleiche wurden von den Personalrä­ten nicht akzeptiert.

Doch Thiel spricht von weiteren Verhandlun­gen zwischen den Kontrahent­en: „Wir müssen zusammen arbeiten. Die Bewältigun­g der Flüchtling­skrise ist schließlic­h ein großes gesellscha­ftliches Ziel.“

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Archivfoto: Sören Stache, dpa Eine Dolmetsche­rin (links) hilft in der Registrier­ungsstelle für Flüchtling­e in Berlin.

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