Künstler der letzten Vereinfachung
Er nannte sich Holmead und er malte roh, schnell und expressiv
Schweinfurt Man nennt sie die „Verlorene Generation“oder die „Verschollene Generation“: Jene um 1900 geborenen, expressiv und figurativ, in jedem Fall gegenständlich malenden Künstler, deren Karriere durch den Zweiten Weltkrieg jäh abgewürgt wurde und die danach nicht mehr an ihre Erfolge anknüpfen konnten. In der Nachkriegszeit bestimmten Abstraktion (und im Osten: Sozialistischer Realismus) den internationalen Kunstmarkt – und selbst in den 20er- und 30er-Jahren prominent ausgestellte und bekannte Künstler blieben im Abseits und gerieten in Vergessenheit. Was sie malten, war nicht mehr gefragt, galt als gestrig und überholt.
An Bemühungen, der „Verlorenen Generation“Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, fehlt es nicht. Einer der Fürsprecher der Vergessenen ist der Münchner Joseph Hierling, dessen Sammlung in der Kunsthalle Schweinfurt in Dauerausstellung präsent ist. Zu Hierlings Sammlung gehören auch zahlreiche Bilder des Amerikaners Holmead, der nun in Schweinfurt mit einer 100 Werke umfassenden Einzelschau eine Wiederentdeckung erfährt. Wiederentdeckung deshalb, weil der 1889 in Pennsylvania geborene Cliffort Holmead Phillips, der sich nur Holmead nannte, zwischen den 1920er- und 1940er-Jahren vor dem internationalen Durchbruch stand und in bedeutenden Museen und Galerien zwischen Paris und New York ausgestellt wurde. Als deutsche Truppen 1940 in Oslo einmarschierten, wurde seine Schau umgehend geschlossen. Holmead war ein Grenzgänger zwischen den Kontinenten; er pendelte ständig zwischen Europa und den USA. Der Sohn wohlhabender Eltern sammelte Kunst und veranstaltete selbst Ausstellungen. Als Maler war er Autodidakt – seine Vorbilder fand er in den USA, vor allem jedoch in Europa. Holmead selbst nannte seinen Stil – farbstark, pastos, wild und expressiv – „Crude Expressionism“, rohen Expressionismus. Seine meist kleinformatigen Gemälde strahlen auch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen eine große Vitalität, Frische und Dynamik aus.
Der Maler, der 1956 endgültig nach Brüssel übergesiedelt war und nur noch lokal wahrgenommen wurde, begann fünf Jahre vor seinem Tod 1975, mit 80 Jahren, ein ungewöhnliches Spätwerk – kühn, roh, eigenwillig. Er porträtierte Menschen, die er bei seinen Spaziergängen durch Brüssel registrierte, in malerisch-minutenschnellen Skizzen und mit wenigen Spachtelstrichen auf der Leinwand – an die Grenze zur Karikatur gehende, intuitive Typologien der menschlichen Spezies. „In seiner letzten Vereinfachung ist das menschliche Gesicht eines der größten Wunder der Schöpfung“, sagte Holmead. In Schweinfurt sind dutzende Porträts zu sehen – die besten (die Augen!) sind überzeugende malerische Gesten gegen das Vergessenwerden.
Laufzeit bis 18. September. Infos unter www.kunsthalle-schweinfurt.de