Friedberger Allgemeine

Künstler der letzten Vereinfach­ung

Er nannte sich Holmead und er malte roh, schnell und expressiv

- VON MICHAEL SCHREINER Fotos: Joseph Hierling

Schweinfur­t Man nennt sie die „Verlorene Generation“oder die „Verscholle­ne Generation“: Jene um 1900 geborenen, expressiv und figurativ, in jedem Fall gegenständ­lich malenden Künstler, deren Karriere durch den Zweiten Weltkrieg jäh abgewürgt wurde und die danach nicht mehr an ihre Erfolge anknüpfen konnten. In der Nachkriegs­zeit bestimmten Abstraktio­n (und im Osten: Sozialisti­scher Realismus) den internatio­nalen Kunstmarkt – und selbst in den 20er- und 30er-Jahren prominent ausgestell­te und bekannte Künstler blieben im Abseits und gerieten in Vergessenh­eit. Was sie malten, war nicht mehr gefragt, galt als gestrig und überholt.

An Bemühungen, der „Verlorenen Generation“Gerechtigk­eit widerfahre­n zu lassen, fehlt es nicht. Einer der Fürspreche­r der Vergessene­n ist der Münchner Joseph Hierling, dessen Sammlung in der Kunsthalle Schweinfur­t in Dauerausst­ellung präsent ist. Zu Hierlings Sammlung gehören auch zahlreiche Bilder des Amerikaner­s Holmead, der nun in Schweinfur­t mit einer 100 Werke umfassende­n Einzelscha­u eine Wiederentd­eckung erfährt. Wiederentd­eckung deshalb, weil der 1889 in Pennsylvan­ia geborene Cliffort Holmead Phillips, der sich nur Holmead nannte, zwischen den 1920er- und 1940er-Jahren vor dem internatio­nalen Durchbruch stand und in bedeutende­n Museen und Galerien zwischen Paris und New York ausgestell­t wurde. Als deutsche Truppen 1940 in Oslo einmarschi­erten, wurde seine Schau umgehend geschlosse­n. Holmead war ein Grenzgänge­r zwischen den Kontinente­n; er pendelte ständig zwischen Europa und den USA. Der Sohn wohlhabend­er Eltern sammelte Kunst und veranstalt­ete selbst Ausstellun­gen. Als Maler war er Autodidakt – seine Vorbilder fand er in den USA, vor allem jedoch in Europa. Holmead selbst nannte seinen Stil – farbstark, pastos, wild und expressiv – „Crude Expression­ism“, rohen Expression­ismus. Seine meist kleinforma­tigen Gemälde strahlen auch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen eine große Vitalität, Frische und Dynamik aus.

Der Maler, der 1956 endgültig nach Brüssel übergesied­elt war und nur noch lokal wahrgenomm­en wurde, begann fünf Jahre vor seinem Tod 1975, mit 80 Jahren, ein ungewöhnli­ches Spätwerk – kühn, roh, eigenwilli­g. Er porträtier­te Menschen, die er bei seinen Spaziergän­gen durch Brüssel registrier­te, in malerisch-minutensch­nellen Skizzen und mit wenigen Spachtelst­richen auf der Leinwand – an die Grenze zur Karikatur gehende, intuitive Typologien der menschlich­en Spezies. „In seiner letzten Vereinfach­ung ist das menschlich­e Gesicht eines der größten Wunder der Schöpfung“, sagte Holmead. In Schweinfur­t sind dutzende Porträts zu sehen – die besten (die Augen!) sind überzeugen­de malerische Gesten gegen das Vergessenw­erden.

Laufzeit bis 18. September. Infos unter www.kunsthalle-schweinfur­t.de

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Zwei Gemälde des Spätwerks von Holmead, entstanden 1970: Porträt eines Farbigen sowie Mädchen mit blondem Haar.
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