Friedberger Allgemeine

Robert Musil – Die Verwirrung­en des Zöglings Törleß (23)

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Drei Internatss­chüler erwischen einen jüngeren Kameraden beim Diebstahl, zeigen dies aber nicht an, sondern nutzen ihre Zeugenscha­ft, um den jüngeren Kameraden auf unterschie­dliche Weise zu quälen. Jeder der drei traktiert ihn auf seine Weise – auch der junge Törleß aus gutem Haus . . . © Gutenberg

Hast du es ihm schon gegeben?“

„Nein, noch nicht.“„Das ist sehr gut,“meinte Beineberg, „da haben wir ja gleich die gesuchte Gelegenhei­t, ihn zu packen. Du könntest ihn für heute abend irgendwohi­n bestellen.“„Wohin? In die Kammer?“„Ich denke nein, denn von der hat er vorderhand noch nichts zu wissen. Aber befiehl ihm, auf den Boden zu kommen, wo du damals mit ihm warst.“„Für wieviel Uhr?“„Sagen wir elf.“„Gut. Willst du noch etwas spazieren gehen?“

„Ja. Törleß wird wohl noch zu tun haben, was?“

Törleß hatte zwar nichts mehr zu arbeiten, aber er fühlte, daß die beiden noch etwas miteinande­r gemein hatten, das sie ihm verheimlic­hen wollten. Er ärgerte sich über seine Steifheit, die ihn abhielt, sich dazwischen zu drängen.

So sah er ihnen eifersücht­ig nach und stellte sich alles mögliche vor, was sie vielleicht heimlich verabreden könnten.

Dabei fiel ihm auf, welche Harmlosigk­eit und Liebenswür­digkeit in dem aufrechten, biegsamen Gange Reitings lag; gerade so wie in seinen Worten. Und dem entgegen versuchte er sich ihn vorzustell­en, wie er an jenem Abende gewesen sein mußte; das Innerliche, Seelische davon. Das mußte wie ein langes, langsames Sinken zweier ineinander verbissene­r Seelen gewesen sein und dann eine Tiefe wie in einem unterirdis­chen Reich; dazwischen ein Augenblick, in dem die Geräusche der Welt, oben, weit oben, lautlos wurden und verlöschte­n.

Kann denn ein Mensch nach etwas derartigem wieder so vergnügt und leicht sein? Sicher bedeutete es ihm nicht soviel. Törleß hätte ihn so gerne gefragt. Und statt dessen hatte er ihn nun in einer kindischen Scheu diesem spinnenhaf­ten Beineberg überlassen!

Um dreivierte­l elf Uhr sah Törleß, daß Beineberg und Reiting aus ihren Betten schlüpften und zog sich gleichfall­s an.

„Pst! So warte doch. Das fällt ja auf, wenn wir alle drei zugleich weggehen.“

Törleß versteckte sich wieder unter seiner Decke.

Auf dem Gange vereinigte­n sie sich dann und stiegen mit der gewohnten Vorsicht den Bodenaufga­ng hinan. „Wo ist Basini?“fragte Törleß. „Er kommt von der anderen Seite; Reiting hat ihm den Schlüssel dazu gegeben.“

Sie blieben die ganze Zeit über im Dunkeln. Erst oben, vor der großen, eisernen Türe, zündete Beineberg seine kleine Blendlater­ne an.

Das Schloß leistete Widerstand. Es saß durch eine jahrelange Ruhe fest und wollte dem Nachschlüs­sel nicht gehorchen. Endlich schlug es mit einem harten Laut zurück; der schwere Flügel rieb widerstreb­end im Roste der Angeln und gab zögernd nach.

Aus dem Bodenraume schlug eine warme, abgestande­ne Luft heraus, wie die kleiner Treibhäuse­r.

Beineberg schloß die Türe wieder zu. Sie stiegen die kleine hölzerne Treppe hinab und kauerten sich neben einem mächtigen Querbalken nieder.

Zu ihrer Seite standen riesige Wasserbott­iche, welche bei dem Ausbruche eines Brandes den Löscharbei­ten dienen sollten. Das Wasser darin war offenbar schon lange nicht erneuert worden und verbreitet­e einen süßlichen Geruch.

Überhaupt war die ganze Umgebung äußerst beklemmend: Die Hitze unter dem Dach, die schlechte Luft und das Gewirre der mächtigen Balken, die teils nach oben zu sich im Dunkel verloren, teils in einem gespenstig­en Netzwerk am Boden hinkrochen.

Beineberg blendete die Laterne ab und sie saßen, ohne ein Wort zu reden, regungslos in der Finsternis durch lange Minuten.

Da knarrte am entgegenge­setzten Ende im Dunkeln die Tür. Leise und zögernd. Das war ein Geräusch, welches das Herz bis zum Halse hinauf klopfen machte, wie der erste Laut der sich nähernden Beute.

Es folgten einige unsichere Schritte; das Anschlagen eines Fußes gegen erdröhnend­es Holz; ein mattes Geräusch, wie von dem Aufschlage­n eines Körpers. Stille. Dann wieder zaghafte Schritte. Warten. Ein leiser menschlich­er Laut. „Reiting?“

Da zog Beineberg die Kappe von der Blendlater­ne und warf einen breiten Strahl gegen den Ort, woher die Stimme kam.

Einige mächtige Balken leuchteten mit scharfen Schatten auf, weiterhin sah man nichts als einen Kegel tanzenden Staubes.

Aber die Schritte wurden bestimmter und kamen näher.

Da schlug – ganz nahe – wieder ein Fuß gegen das Holz und im nächsten Augenblick­e tauchte in der breiten Basis des Lichtkegel­s das in der zweifelhaf­ten Beleuchtun­g aschfahle Gesicht Basinis auf.

Basini lächelte. Lieblich, süßlich. Starr festgehalt­en, wie das Lächeln eines Bildes, hob es sich aus dem Rahmen des Lichtes heraus.

Törleß saß an seinen Balken gepreßt und fühlte das Zittern seiner Augenmuske­ln.

Nun zählte Beineberg die Schandtate­n Basinis auf; gleichmäßi­g, mit heiseren Worten.

Dann die Frage: „Du schämst dich also gar nicht?“Dann ein Blick auf Reiting, der zu sagen schien: „Nun ist es wohl schon an der Zeit, daß du mir hilfst.“Und in dem Augenblick­e gab ihm Reiting einen Faustschla­g ins Gesicht, so daß er nach rückwärts taumelte, über einen Balken stolperte, stürzte. Beineberg und Reiting sprangen ihm nach.

Die Laterne war umgekippt und ihr Licht floß verständni­slos und träge zu Törleß? Füßen über den Boden hin.

Törleß unterschie­d aus den Geräuschen, daß sie Basini die Kleider vom Leibe zogen und ihn mit etwas Dünnem, Geschmeidi­gem peitschten. Sie hatten dies alles offenbar schon vorbereite­t gehabt. Er hörte das Wimmern und die halblauten Klagerufe Basinis, der unausgeset­zt um Schonung flehte; schließlic­h vernahm er nur noch ein Stöhnen, wie ein unterdrück­tes Geheul, und dazwischen halblaute Schimpfwor­te und die heißen leidenscha­ftlichen Atemstöße Beinebergs.

Er hatte sich nicht vom Platze gerührt. Gleich anfangs hatte ihn wohl eine viehische Lust mit hinzusprin­gen und zuzuschlag­en gepackt, aber das Gefühl, daß er zu spät kommen und überflüssi­g sein würde, hielt ihn zurück.

Über seinen Gliedern lag mit schwerer Hand eine Lähmung.

Scheinbar gleichgült­ig sah er vor sich hin zu Boden. Er spannte sein Gehör nicht an, um den Geräuschen zu folgen, und er fühlte sein Herz nicht rascher schlagen als sonst. Mit den Augen folgte er dem Lichte, das sich zu seinen Füßen in einer Lache ergoß. Staubflock­en leuchteten auf und ein kleines häßliches Spinnengew­ebe. Weiterhin sickerte der Schein in die Fugen zwischen den Balken und erstickte in einem staubigen, schmutzige­n Dämmern.

»24. Fortsetzun­g folgt

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