Wer einmal lügt...
Eine Prostituierte hatte ihren Zuhälter wegen Gewalttätigkeit angezeigt. Das Gericht hält den Mann nicht für unschuldig. Warum es den 28-Jährigen trotzdem freigesprochen hat
Irgendwann, der Prozess war erst wenige Stunden alt, fiel jener verräterische Satz, der ahnen ließ, wie das Urteil ausfallen könnte. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“, zitierte Richter Roland Christiani ein altes Sprichwort. Statt durchaus möglicher acht bis neun Jahre Haft hat gestern die Dritte Strafkammer am Landgericht den Angeklagten, einen jungen Rumänen, vom Vorwurf des schweren Menschenhandels freigesprochen. Am Vortag war die Belastungszeugin, eine Prostituierte, sieben Stunden vom Gericht befragt worden. Danach seien alle im Gerichtssaal verwirrt gewesen, gestand Staatsanwältin Katja Frauenrath in ihrem Plädoyer. Die vielen Zuhörer im Gerichtssaal erlebten dann den seltenen Fall, dass am Ende der Beweisaufnahme Anklägerin, Verteidiger, aber auch Opferanwältin Marion Zech sich einig waren, der 28-Jährige sei freizusprechen.
Im Prozess hatte ein Kripobeamter die Zeugin – wie der Angeklagte kommt sie aus Rumänien – als ausgebuffte Kriminelle bezeichnet. So hat sie einen Freier, mit dem sie in einem Augsburger Hotel Sex hatte, heimlich dabei gefilmt. Anschließend hatte sie den verheirateten Mann eiskalt um 10 000 Euro er- Möglicherweise ist er nicht der Einzige gewesen, den die zierliche 38-Jährige so unter Druck setzte. Auf ihrem Smartphone fand die Polizei ähnliche Filmsequenzen mit anderen Männern. Doch der um 10 000 Euro erpresste Augsburger erstattete Anzeige. Im Februar ist die Rumänien wegen versuchter Erpressung verurteilt worden.
Gericht und Staatsanwältin schlossen aber nicht aus, dass die Prostituierte tatsächlich Opfer schwerer Misshandlungen wurde. Doch war es nicht zu beweisen. Denn die Zeugin hat sich im Prozess immer wieder in Widersprüche verstrickt. „In einem Ausmaß, das nicht mehr normal ist“, heißt es im Urteil. Was die 38-Jährige dem Gericht über die Misshandlungen beschrieb, hörte sich teilweise ganz anders an, als sie der Polizei und dem Ermittlungsrichter erzählt hatte.
Zudem warf die Aussage eines Kripobeamten kein gutes Licht auf die Zeugin. Er bescheinigte der Rumänin große schauspielerische Qualitäten. Bleibt die Frage, warum die 38-Jährige ihren Freund, der ihr Zuhälter war, angezeigt hat. Vielleicht aus verschmähter Liebe. Sie hatte den gut aussehenden Abitupresst. rienten nach Deutschland geholt und ihm hier jahrelang ein süßes Leben finanziert. Schon 2011 hatte sie, die vorher Hausdame in einem Münchner Bordell gewesen war, angeblich nicht mehr als Prostituierte arbeiten wollen. Der Angeklagte habe sie jedoch mit großer Brutalität immer wieder gezwungen, weiter anschaffen zu gehen, berichtete die Zeugin. Bis Ende 2015, als sie zur Polizei ging, der 28-Jährige daraufhin verhaftet wurde.
„Wir sind weit davon entfernt, den Angeklagten für unschuldig zu halten“, bemerkte Richter Roland Christiani, als er das Urteil begründete. Nur fehlen für die Verurteilung die Beweise.
Schauspielerische Fähigkeiten