Friedberger Allgemeine

Das Ringen um Lehrlinge

Für Unternehme­n wird es immer schwerer, passende Auszubilde­nde zu finden. Manche Betriebe haben zum 1. September nicht alle freien Stellen besetzt. Woran liegt das?

- VON ANDREA WENZEL

Christoph Leberle ist Karosserie­baumeister und hat einen kleinen Betrieb mit fünf Mitarbeite­rn in Lechhausen. Dort bildet er regelmäßig aus. „Wir brauchen junge Fachkräfte, damit unser Berufsstan­d am Leben bleibt. Und die fallen nicht vom Himmel, sondern wir müssen sie heranziehe­n. Das geht nur über die Ausbildung“, sagt der 41-Jährige. Doch seit er den Betrieb vor zehn Jahren von seinem Vater übernommen hat, sei die Suche nach Azubis zunehmend schwierige­r geworden. „Es gibt immer weniger geeignete Interessen­ten“, schildert Leberle seine Situation.

Damit steht er nicht allein: Von diesem Problem berichten viele, vor allem aus mittelstän­dischen und kleinen Unternehme­n – sowohl in der Industrie als auch im Handwerk. „Die Bewerber stehen nicht mehr Schlange und die Betriebe können nicht mehr groß auswählen. Vielmehr müssen sie zielgerich­tet nach Auszubilde­nden suchen“, gibt Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben die Erfahrunge­n der Mitgliedsb­etriebe wieder. Die Gründe seien vielschich­tig. Gesellscha­ftliche Entwicklun­gen spielten aber eine wesentlich­e Rolle.

Das sieht auch Peter Saalfrank, Hauptgesch­äftsführer der IHK Schwaben, so: „Aufgrund des demografis­chen Wandels kommen immer weniger Schulabgän­ger nach. Dazu kommt der Akademisie­rungstrend in der Gesellscha­ft. Diesen müssen wir dringend korrigiere­n und aufzeigen, dass auch Aus- und Weiterbild­ung zum Erfolg führen können“, sagt Saalfrank. Wagner ergänzt: „60 bis 70 Prozent eines Schuljahrg­angs besucht eine weiterführ­ende Schule oder studiert. Teils nur, um dem Trend zu folgen. Dabei gibt es im Handwerk zahlreiche Karrierech­ancen. Und mancher Handwerker verdient mehr als ein Akademiker.“

Noch hält sich der Mangel an Auszubilde­nden in Schwaben in Grenzen. Im Handwerk konnte mit 2984 neu eingetrage­nen Ausbildung­sverhältni­ssen ein Plus von 1,7 Prozent verbucht werden, sagt Wagner, bei der IHK konnte man zum 31. Juli mit 6962 Ausbildung­sverträgen sogar ein Plus von 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahres- verzeichne­n. „Es ist aber zu erkennen, dass es Branchen gibt, die sich leichter tun als andere“, geben Wagner und Saalfrank offen zu. Im Handwerk kämpften vor allem Bäcker und Metzger, im Bereich der IHK treffe es die Bereiche Gastronomi­e, Hotellerie und Logistik. Die Arbeitszei­ten, ein oft zu Unrecht schlechter Ruf oder die Bezahlung hielten junge Menschen ab, sich in diesen Bereichen zu bewerben. Große Unternehme­n hätten zudem den Vorteil, mit attraktive­n Vertragsbe­standteile­n zu locken – und daher meist die größere Auswahl an Bewerbern. Auf diese Weise griffen sie zudem schon die Bestqualif­izierteste­n ab.

Eine Erfahrung, die auch Christoph Leberle – trotz vieler guter Auszubilde­nden – gelegentli­ch schon gemacht hat. „Aufgrund der geringeren Auswahl sinkt auch das Niveau. Da mangelt es bei manchen Bewerbern leider an Grundfähig­keiten, die für das Erlenen des Berufs nötig sind, oder an Sozialkomp­etenz“, erzählt er. Auch Wagner und Saalfrank erhalten diese Rückmeldun­gen. „Einige Unternehme­n bieten mittlerwei­le Nachhilfeu­nterricht an, um gewisse Defizite wettzumach­en, und wir hören immer wieder, dass es verstärkt an Benehmen und Teamfähigk­eit mangle“, berichtet Saalfrank. „Ausbilder brauchen viel Geduld und immer häufiger besondere pädagogisc­he Fähigkeite­n“, zieht Wagner sein persönlich­es Fazit.

Jammern helfe aber nichts, stattdesse­n müsse man sich den neuen Gegebenhei­ten anpassen und Wege zu einer Lösung finden. Beide Kammern haben daher – auch bundes- weit – verschiede­ne und langjährig­e Kampagnen aufgesetzt, um für die Aus- und Weiterbild­ung als Alternativ­e zum Studium zu werben. So besuchen sowohl IHK als auch HWK so intensiv wie nie Schulen, wenden sich mit Aufklärung­saktionen direkt an die Eltern, schließen Patenschaf­ten zwischen Firmen und Schulen und werben für verpflicht­ende oder freiwillig­e Praktika – im Speziellen an Gymnasien. Mit ersten Erfolgen übrigens.

Um schwächere Branchen wie den Dienstleis­tungssekto­r und den Handel zu stärken, werden seitens der IHK Teilzeitau­sbildungen für Spitzenspo­rtler (beispielsw­eise FCA-Jugendspie­ler) oder Mütter angeboten. Für lernschwac­he junge Menschen über 25 Jahre gibt es ab 2017 die Möglichkei­t, in bestimmten Bereichen eine sogenannte Teilmonat qualifikat­ion mit Zertifizie­rung durch die IHK abzuschlie­ßen. Hier wird nicht die komplette Ausbildung­szeit absolviert, sondern in einem stark verkürzten Zeitraum ganz gezielt für einen speziellen Einsatzber­eich geschult. Das könnte laut Saalfrank auch eine Möglichkei­t für Flüchtling­e sein, die eine Ausbildung nicht schaffen würden. Darüber hinaus existieren Konzepte, um ganz gezielt bestimmte Personengr­uppen wie Studienabb­recher oder Jugendlich­e ohne Schulabsch­luss anzusprech­en und ebenfalls in Ausbildung zu bringen.

Doch nicht nur die Kammern arbeiten auf Hochtouren, auch die Unternehme­n selbst sind zu mehr Aktivität gezwungen. „Unsere Betriebe veranstalt­en Tage der offenen Tür, nehmen an Jobmessen teil oder versuchen, mit anderen Werbemaßna­hmen wie besonders gestaltete­n Firmenfahr­zeugen auf sich und ihren Betrieb aufmerksam zu machen“, schildert Wagner. Das koste zusätzlich­e Energie und Geld, was gerade kleinen Betrieben, in denen es keine eigene Personal- oder Marketinga­bteilung gebe, viel abverlange.

Die Vertreter der Kammern hoffen, dass sich die Mühe der Unternehme­n lohnt, und weisen darauf hin, dass man sich auch dann noch auf einen Ausbildung­splatz bewerben könne, wenn die Werbekampa­gnen bereits wieder zurückgefa­hren werden. „Der 1. September als Stichtag ist nicht in Stein gemeißelt“, so Ulrich Wagner. Christoph Leberle hat für das beginnende Ausbildung­sjahr bereits einen Azubi gefunden und hofft, dass er auch künftig ausbilden kann.

Ausbilder brauchen pädagogisc­hes Geschick

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Karosserie­baumeister Christoph Leberle (rechts) mit Azubi Andre Buch bördeln an einem Radkasten. Ausbilden gehört für den 41-Jährigen dazu. Es wird aber zunehmend schwierige­r, passende Bewerber zu finden.
Foto: Michael Hochgemuth Karosserie­baumeister Christoph Leberle (rechts) mit Azubi Andre Buch bördeln an einem Radkasten. Ausbilden gehört für den 41-Jährigen dazu. Es wird aber zunehmend schwierige­r, passende Bewerber zu finden.

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