Friedberger Allgemeine

„Als würde das Haus über uns zusammenst­ürzen“

Einige Augsburger haben das Beben im Urlaub selbst miterlebt. Nun ist bei vielen das Unbehagen groß

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Als Peter Hummel in der Nacht auf Mittwoch „von einem lauten Getöse“aufwachte, spürte er, dass sich das ganze Haus bewegte. „Nicht einfach hin und her, sondern in einer Art vibrierend­er Bewegungen.“Der Augsburger Journalist macht derzeit mit seiner Familie Urlaub in Italien. Schnell war allen in jener Nacht klar, was sie da gerade erleben: ein Erdbeben. „All dieser Krach, den wir zunächst nicht zuordnen konnten, machte auf uns den Eindruck, als stürze das ganze Haus über uns zusammen.“Rund 20 Sekunden dauerte das Beben. Danach kehrte eine „geradezu gespenstis­che Ruhe“ein.

Gleich am nächsten Morgen meldete sich Hummel über Facebook: „Nach dem Erdbeben in Italien: Wir sind in den Marken, Luftlinie etwa 60 Kilometer vom Epizentrum entfernt – und okay. Das Haus hat zwar ordentlich gewackelt, alle gingen vor die Tür, die Flaschen stürzten von den Regalen, ein Raumteiler fiel um, aber wir kamen mit dem Schrecken davon.“

So wie Hummel geht es derzeit vielen Augsburger­n, die entweder in Italien sind oder Verbindung­en dorthin haben. „Mir geht es gut, wir haben gestern das Erdbebenge­biet verlassen.“Mit dieser Nachricht auf Facebook teilte auch Livia ArenaSchön­berger am Mittwoch besorgten Freunden und Bekannten mit, dass sie von der Naturkatas­trophe persönlich nicht betroffen war.

Die Vorsitzend­e der Augsburger Dante-Alighieri-Gesellscha­ft macht gerade in ihrem Heimatland Urlaub. Am Wochenende und Anfang dieser Woche war sie im mittelital­ienischen Umbrien, etwa in Perugia, unterwegs – nicht weit vom Zentrum des Erdbebens. Mittlerwei­le ist Arena-Schönberge­r weiter Richtung Süden nach Kampanien gereist. Gerade noch rechtzeiti­g: „Wä- ren wir ein paar Stunden länger geblieben, wir wären wohl mittendrin im Erdbebenge­biet gewesen.“

Die Italieneri­n, die in Augsburg als Dozentin und Übersetzer­in arbeitet, stammt aus Palermo. Durch die dort noch aktiven Vulkane wird die Insel Sizilien immer wieder von Beben heimgesuch­t. Ein besonders schweres im Jahr 1968 erlebte Livia Arena-Schönberge­r mit. „Wir lebten damals glückliche­rweise in einem modernen Haus, das den Erschütter­ungen standhielt.“

In Augsburg leben ungefähr 4000 Menschen italienisc­her Abstammung. Viele kommen aus Süditalien, weil diese Region so arm war, dass der Auswanderu­ngsdruck höher war als weiter nördlich. Dennoch fühlen alle mit den Menschen in der Heimat, die das aktuelle Beben erlebt haben oder gar Freunde und Angehörige verloren.

Mit Erleichter­ung berichtet Roberto Calcera, Wirt der Eisdiele „Riviera“im Textilvier­tel, von einem Telefonat mit der Verwandtsc­haft. Sie lebt in Rieti – etwa 40 Kilometer vor Rom. Als er vom Erdbeben erfuhr, habe er sofort zuhause angerufen, ein Familienmi­tglied erreicht und erfahren, dass „nix passiert“sei. Auch das Haus habe das Beben unbeschade­t überstande­n.

Ganz Italien ist laut Enzo Dragone von der gleichnami­gen Pizzeria in der Augsburger Wintergass­e ein Erdbebenge­biet. Gefährdet seien mit Ausnahme der Insel Sardinien eigentlich alle Gebiete: Kalabrien, Marken, Lazio, Friaul, Umbrien... „Aber was soll man machen?“, fragt Dragone. „Die Italiener können ja nicht auch noch flüchten.“

Peter Hummel und seine Frau Sandra dachten zumindest kurzzeitig daran, den Urlaub abzubreche­n. „Am Mittwoch und in der Nacht waren immer wieder kleine Nachbeben zu spüren“, berichtet er. Am Ende entschiede­n sie sich, wie geplant erst am heutigen Freitag abzureisen. Im Dorf und bei den Nachbarn war das Beben laut Hummel Gesprächst­hema Nummer eins. „Am Mittwoch in der Bar unserer Ortschaft erzählte mir einer, dass dieses Beben heftiger war als jenes vor ein paar Jahren, das eine ganze Stadt zerstört hat“, so Hummel. Ansonsten gehe das Leben „einigermaß­en normal“weiter.

Betroffene Ortschafte­n haben Hummel und seine Familie nicht gesehen. „Wir fahren da auch nicht hin, denn da würden wir nur im Weg umgehen.“Was bleibe, sei ein großes Unbehagen, wenn man sich am Abend ins Bett lege und wisse, was Naturgewal­ten auslösen können. „An einen entspannte­n Schlaf ist da nicht zu denken.“Aber die Menschen in Italien, sagt Hummel, müssen damit leben. „Ein Bauer von nebenan sagte mir: Man darf nicht ständig daran denken, was passieren kann, sonst wirst du verrückt.“

Auf die meisten anderen Touristen dürfte das Erdbeben so gut wie keine Auswirkung­en gehabt haben, schätzt Erika Schmutz vom Reisebüro hinterm Perlach. Urlauber in Umbrien ziehe es eher nach Perugia oder an die Seen, die nicht betroffen seien.

„An einen entspannte­n Schlaf ist da nicht zu denken.“

Peter Hummel

 ?? Foto: Anne Wall ?? „Ganz Italien ist ein einziges Erdbebenge­biet“, sagen Enzo Dragone (links) und Paolo, der Maestro der Holzofen-Pizzen in der Wintergass­e, beim Blick auf die Berichters­tattung über die Katastroph­e von Amatrice.
Foto: Anne Wall „Ganz Italien ist ein einziges Erdbebenge­biet“, sagen Enzo Dragone (links) und Paolo, der Maestro der Holzofen-Pizzen in der Wintergass­e, beim Blick auf die Berichters­tattung über die Katastroph­e von Amatrice.
 ?? Foto: Peter Hummel ?? Der Augsburger Journalist Peter Hummel macht derzeit mit seiner Frau Sandra und seinem Sohn Vincent Urlaub in den italienisc­hen Marken. Das Beben in der Nacht auf Mittwoch spürten auch sie in ihrem Ferienhaus.
Foto: Peter Hummel Der Augsburger Journalist Peter Hummel macht derzeit mit seiner Frau Sandra und seinem Sohn Vincent Urlaub in den italienisc­hen Marken. Das Beben in der Nacht auf Mittwoch spürten auch sie in ihrem Ferienhaus.

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