Wann endlich wird der Normalverdiener entlastet?
Leitartikel An Geld fehlt es in Zeiten explodierender Steuereinnahmen nicht, wohl aber am Willen der Parteien. Jetzt wird wenigstens wieder darüber diskutiert
Seit Jahren herrscht steuerpolitischer Stillstand. Der Staat kassiert immer mehr Geld ab und meldet ständig neue Einnahme-Rekorde. Aber jeder Gedanke an Steuersenkung ist für die Große Koalition tabu. Nun endlich, ein Jahr vor der Bundestagswahl, kommt ein bisschen Bewegung in die Sache. Die CSU kündigt eine „steuerpolitische Offensive“an, der Wirtschaftsflügel der CDU prescht mit einem konkreten Reformmodell vor. Und sogar die SPD sieht plötzlich „Entlastungsbedarf“. Der Steuerzahler ist gut beraten, diese Vorstöße mit Skepsis aufzunehmen. An vollmundigen Ankündigungen und Versprechen war auch in den Wahlkämpfen 2009 und 2013 kein Mangel. Es ist nur nichts daraus geworden, weil immer irgendeine Krise dazwischenkam und die regierenden Parteien im Geldausgeben weit mehr Fantasie entwickeln als beim Sparen. Die letzte große Reform fand unter Rot-Grün und dem Kanzler Schröder statt. Seither ist im Grunde nichts mehr passiert.
Trotz dieses Trauerspiels ist der Großen Koalition das PR-Kunststück gelungen, das Thema aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verdrängen. Wer Steuersenkungen forderte und die Unersättlichkeit des Steuerstaats rügte, der galt als kaltherziger Neoliberaler, der den Staat „kaputtsparen“will. Es gebe angesichts der vielen Aufgaben „keinen Spielraum“für Steuerentlastungen: So lautete über Jahre hinweg das Mantra im Bundestag, ohne dass auch nur eine Partei widersprochen hätte. Dies zumindest scheint sich zu ändern. Die finanzielle Lage des Staates ist einfach zu gut, um den Bürgern weiter ein X für ein U vormachen zu können.
Die Steuereinnahmen explodieren, die Zinsausgaben sind dramatisch gesunken. Auch die Sozialkassen sind, dank der hohen Beschäftigungsquote, gut gefüllt. Der Staat hat satte Überschüsse und würde ohne die immensen Kosten der Flüchtlingskrise regelrecht im Geld schwimmen. Wann, wenn nicht jetzt, soll den Bürgern ein Teil der Mehreinnahmen zurückgegeben werden? Die Steuer- und Abgabenbelastung des Durchschnittsverdieners ist mit nahezu 50 Prozent unerträglich hoch; nur Österreich und Belgien knöpfen der in Sonntagsreden hochgerühmten „arbeitenden Mitte“noch mehr ab. Um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, ist es mit Kinkerlitzchen nicht getan. Zu einer großen, auch auf eine Vereinfachung des Systems abzielenden Reform ist die deutsche Politik bekanntlich außerstande. Und natürlich braucht der Staat ausreichend Geld, um zusätzliche Aufgaben bewältigen zu können. Doch die spürbare Entlastung der Klein- und Normalverdiener in einer Größenordnung von rund 30 Milliarden Euro ist möglich und machbar, ohne dazu wieder Schulden machen zu müssen.
Dazu bedarf es erstens des politischen Willens und der Einsicht, dass das Geld beim Staat nicht grundsätzlich besser aufgehoben ist. Und zweitens der Bereitschaft, den steilen Anstieg der Sozialausgaben zu bremsen und mit den Steuergeldern überhaupt sparsamer umzugehen. Das schafft den „Spielraum“, um Steuern zu senken, den Haushalt in Ordnung zu halten und – woran es ja mächtig hapert – mehr in die Zukunft zu investieren.
Es ist kein gutes Zeichen, dass SPD, Grüne und Linke umgehend nach einer „Gegenfinanzierung“rufen und im Gegenzug diverse Steuererhöhungspläne schmieden. Das deutet auf schwierigste, mit faulen Kompromissen endende Verhandlungen hin. Es braucht keine „Gegenfinanzierung“. Der Staat, dessen Ausgaben inzwischen wieder fast 45 Prozent (!) der Wirtschaftsleistung des Landes ausmachen, hat schließlich genug Geld, um zur Abwechslung mal keine Steuern zu erhöhen und nur eine schlichte Steuersenkung vorzunehmen.
Das Mantra im Bundestag: kein „Spielraum“