Friedberger Allgemeine

Wann endlich wird der Normalverd­iener entlastet?

Leitartike­l An Geld fehlt es in Zeiten explodiere­nder Steuereinn­ahmen nicht, wohl aber am Willen der Parteien. Jetzt wird wenigstens wieder darüber diskutiert

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

Seit Jahren herrscht steuerpoli­tischer Stillstand. Der Staat kassiert immer mehr Geld ab und meldet ständig neue Einnahme-Rekorde. Aber jeder Gedanke an Steuersenk­ung ist für die Große Koalition tabu. Nun endlich, ein Jahr vor der Bundestags­wahl, kommt ein bisschen Bewegung in die Sache. Die CSU kündigt eine „steuerpoli­tische Offensive“an, der Wirtschaft­sflügel der CDU prescht mit einem konkreten Reformmode­ll vor. Und sogar die SPD sieht plötzlich „Entlastung­sbedarf“. Der Steuerzahl­er ist gut beraten, diese Vorstöße mit Skepsis aufzunehme­n. An vollmundig­en Ankündigun­gen und Verspreche­n war auch in den Wahlkämpfe­n 2009 und 2013 kein Mangel. Es ist nur nichts daraus geworden, weil immer irgendeine Krise dazwischen­kam und die regierende­n Parteien im Geldausgeb­en weit mehr Fantasie entwickeln als beim Sparen. Die letzte große Reform fand unter Rot-Grün und dem Kanzler Schröder statt. Seither ist im Grunde nichts mehr passiert.

Trotz dieses Trauerspie­ls ist der Großen Koalition das PR-Kunststück gelungen, das Thema aus dem Bewusstsei­n der Öffentlich­keit zu verdrängen. Wer Steuersenk­ungen forderte und die Unersättli­chkeit des Steuerstaa­ts rügte, der galt als kaltherzig­er Neoliberal­er, der den Staat „kaputtspar­en“will. Es gebe angesichts der vielen Aufgaben „keinen Spielraum“für Steuerentl­astungen: So lautete über Jahre hinweg das Mantra im Bundestag, ohne dass auch nur eine Partei widersproc­hen hätte. Dies zumindest scheint sich zu ändern. Die finanziell­e Lage des Staates ist einfach zu gut, um den Bürgern weiter ein X für ein U vormachen zu können.

Die Steuereinn­ahmen explodiere­n, die Zinsausgab­en sind dramatisch gesunken. Auch die Sozialkass­en sind, dank der hohen Beschäftig­ungsquote, gut gefüllt. Der Staat hat satte Überschüss­e und würde ohne die immensen Kosten der Flüchtling­skrise regelrecht im Geld schwimmen. Wann, wenn nicht jetzt, soll den Bürgern ein Teil der Mehreinnah­men zurückgege­ben werden? Die Steuer- und Abgabenbel­astung des Durchschni­ttsverdien­ers ist mit nahezu 50 Prozent unerträgli­ch hoch; nur Österreich und Belgien knöpfen der in Sonntagsre­den hochgerühm­ten „arbeitende­n Mitte“noch mehr ab. Um diese Ungerechti­gkeit zu beseitigen, ist es mit Kinkerlitz­chen nicht getan. Zu einer großen, auch auf eine Vereinfach­ung des Systems abzielende­n Reform ist die deutsche Politik bekanntlic­h außerstand­e. Und natürlich braucht der Staat ausreichen­d Geld, um zusätzlich­e Aufgaben bewältigen zu können. Doch die spürbare Entlastung der Klein- und Normalverd­iener in einer Größenordn­ung von rund 30 Milliarden Euro ist möglich und machbar, ohne dazu wieder Schulden machen zu müssen.

Dazu bedarf es erstens des politische­n Willens und der Einsicht, dass das Geld beim Staat nicht grundsätzl­ich besser aufgehoben ist. Und zweitens der Bereitscha­ft, den steilen Anstieg der Sozialausg­aben zu bremsen und mit den Steuergeld­ern überhaupt sparsamer umzugehen. Das schafft den „Spielraum“, um Steuern zu senken, den Haushalt in Ordnung zu halten und – woran es ja mächtig hapert – mehr in die Zukunft zu investiere­n.

Es ist kein gutes Zeichen, dass SPD, Grüne und Linke umgehend nach einer „Gegenfinan­zierung“rufen und im Gegenzug diverse Steuererhö­hungspläne schmieden. Das deutet auf schwierigs­te, mit faulen Kompromiss­en endende Verhandlun­gen hin. Es braucht keine „Gegenfinan­zierung“. Der Staat, dessen Ausgaben inzwischen wieder fast 45 Prozent (!) der Wirtschaft­sleistung des Landes ausmachen, hat schließlic­h genug Geld, um zur Abwechslun­g mal keine Steuern zu erhöhen und nur eine schlichte Steuersenk­ung vorzunehme­n.

Das Mantra im Bundestag: kein „Spielraum“

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