Friedberger Allgemeine

Die Tragik des Königs

- Der letzte Brief Ludwigs II. VON TILL HOFMANN ioa@augsburger-allgemeine.de

Muss die bayerische Geschichte mit dem Auftauchen des vermutlich letzten Briefes Ludwigs II. neu geschriebe­n werden? Nein, sie muss es natürlich nicht. Aber sie ist um eine interessan­te Fußnote reicher geworden. Das Schreiben des menschensc­heuen Monarchen ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Mann weder an Paranoia noch an Geistessch­wäche litt. Ergebnisse der modernen Forschung lassen auf eine Sozialphob­ie schließen, die mit Schuld- und Schamgefüh­len des Königs wegen seiner homosexuel­len Neigungen zusammenhä­ngen könnte.

Die Persönlich­keitsstöru­ng Ludwigs erschwerte allerdings die Staatsgesc­häfte in nennenswer­tem Ausmaß. Er arbeitete vorwiegend nachts und schlief am Tag. Mit seinen Ministern verkehrte er in aller Regel schriftlic­h. Und wenn dringend eine Unterschri­ft benötigt wurde, mussten ihn Politiker unter Umständen in einsamen Berghütten aufsuchen. Die Bauwut des Königs war der Schlüssel für das bayerische Kabinett, den Mann loszuwerde­n. Die Regierungs­mitglieder mussten im Streit um einen Kreditwuns­ch des Königs damit rechnen, ihre Posten zu verlieren. Einer Entlassung wollten sie unter allen Umständen zuvorkomme­n. Das absonderli­che Verhalten des tragisch-berühmten Wittelsbac­hers spielte dabei nur in ihre Karten. Wer um eigene Pfründe fürchtet, hält sich nicht unbedingt an Recht und Gesetz.

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