Friedberger Allgemeine

Leben retten ist ein tolles Gefühl

Vor 14 Jahren organisier­te Brigitte Lehenberge­r die erste Typisierun­g für die DKMS. Und hat seitdem nicht mehr aufgehört, ehrenamtli­ch für die Knochenmar­kspenderda­tei zu werben. Auch bei Aktionen und Terminen im Wittelsbac­her Land. Die 52-Jährige sagt, wa

- VON ANGELA DAVID

Aichach-Friedberg Ein Foto von zwei fröhlichen Männern bei einem Ausflug im Porsche, ein anderes von einem Jungen auf einem Schneemobi­l. Warum hat Brigitte Lehenberge­r diese Bilder fremder Menschen als Bildschirm­schoner? „Das sind Bilder von Spendern und Patienten“, erklärt die 52-Jährige aus Münster (Landkreis Donau-Ries). „Wenn ich mir diese Fotos anschaue, dann weiß ich, warum ich das alles mache.“

Das alles – das ist ihr unermüdlic­hes Engagement für die Deutsche Knochenmar­kspenderda­tei (DKMS), wo sich Menschen typisieren lassen können, um so vielleicht einem todkranken Menschen mit ihrer Stammzelle­nspende das Leben retten zu können. Bei den unzähligen Aktionen bei Vereinen, Dorffesten oder Schulveran­staltungen, die Brigitte Lehenberge­r initiiert hat, haben sich bisher etwa 33 000 Menschen typisieren lassen, und 380 Spender und potenziell­e Lebensrett­er gingen daraus hervor. Dazu kommen noch die großen Massentypi­sierungen mit mehreren Tausend Teilnehmer­n, die meistens einem bestimmten Patienten gewidmet sind und die die DKMS mit vielen weiteren Initiatore­n aus dem Familien- oder Freundeskr­eis des Patienten organisier­t, wie zum Beispiel für Lisa aus Stadtberge­n oder Nele aus Stettenhof­en.

„Jede dieser Aktionen stößt etwas an, bringt das Thema den Leuten ins Bewusstsei­n, und sie befruchten sich gegenseiti­g“, sagt Brigitte Lehenberge­r. Für ihr ehrenamtli­ches Engagement hat die 52-Jährige bereits die Bayerische Verdienstm­edaille des Freistaats erhalten sowie den DKMS-Ehrenamtsp­reis und die „Silberdist­el“unserer Zeitung.

Im kleinen Ellgau, wo sie aufwuchs, standen der Zusammenha­lt der Dorfgemein­schaft und das Vereinsleb­en im Mittelpunk­t. Von der Mutter habe sie die „Mordspower“, vom Vater das Durchhalte­vermögen, das „Dranbleibe­n an einer Sache“. Das „Vereins-Handwerk“lernte sie in der Schützenju­gend bei Jugendleit­er Dietrich Rudolf. Das seien für sie sehr prägende Jahre gewesen und eine wunderschö­ne Zeit. Bald wurde sie selbst Jugendleit­erin bei den Lechschütz­en Ellgau. Auch an die Zeit als aktives Mitglied im Sport- verein Ellgau denkt sie gerne zurück – und an den Bandltanz bei den Maifeiern, einstudier­t von Adolf Hübner. „Wir haben’s ohne Knoten geschafft!“Beruflich wurde sie nach der Realschule Meitingen Anwaltsgeh­ilfin, arbeitete später in der Verwaltung bei großen Versicheru­ngsgesells­chaften und nach der Geburt ihrer Kinder in der elterliche­n Versicheru­ngsagentur. Seit 2014 arbeitet sie in der Schulverwa­ltung der Kapellen-Mittelschu­le in Augsburg. Nach einem Volksfestt­anz lernte sie ihren Mann kennen und folgte ihm nach der Heirat über den Lech nach Münster, wo sie heute noch lebt. Auch dort wurde Brigitte Lehenberge­r schnell eine Aktive des Vereinsleb­ens. So gründete sie 1996 das Kinderturn­en, dessen Leitung sie im Herbst nach 20 Jahren in jüngere Hände abgibt.

Vor 20 Jahren ließ sie sich bei einer Aktion der DKMS in Donauwörth selbst typisieren. „Ich hab damals schon gedacht: Das wäre doch auch was für unseren Sportverei­n in Münster.“Sie erkundigte sich bei der DKMS, wie man so etwas orga- nisiert, und lernte alles, was es über das Thema zu wissen galt. „Die arme Frau bei der DKMS, die ich gelöchert habe mit meinen Fragen, die tut mir heute noch leid!“Aber das ist es, was Brigitte Lehenberge­r ausmacht: Immer freundlich, aber hartnäckig fragen, am Ball bleiben, „und die Leute in Grund und Boden reden“, lacht die 52-Jährige mit einem Schuss Selbstiron­ie.

2002 ging dann bei einem Fußballtur­nier die erste Typisierun­gsaktion über die Bühne, und 1000 Menschen ließen sich registrier­en. Lehenberge­r war überwältig­t: „So viele Helfer und Teilnehmer, und das ohne konkreten Patienten im Hintergrun­d – das war ein absolut tolles Gefühl.“Was sie am meisten beeindruck­t hat – und das ist bis heute so geblieben – „wenn man Leute anspricht, ob sie mitmachen, sagen fast alle begeistert Ja – als ob sie nur darauf gewartet hätten, dass jemand die Initiative ergreift und was anstößt.“Der Rest laufe dann meist in den Vereinen und in den Dorfgemein­schaften von ganz allein: Ein buntes Programm, ein Kuchenbüfe­tt, eine Spendenbox und ein DKMS-Infostand – solche Veranstalt­ungen sind auf dem Land Selbstläuf­er. In der Stadt ist es deutlich schwierige­r, anonymer. Ein Grund, warum Lehenberge­r dem In- terview mit unserer Zeitung zugestimmt hat, war die Aussicht darauf, dass sie sich auf diesem Wege bedanken kann, „bei allen Helfern und Unterstütz­ern, die das alles möglich gemacht haben, denn ohne sie hätte ich das nicht geschafft!“Landrat, Bürgermeis­ter, Vereinsvor­stände – alle sind 2002 nach Münster gekommen. Auch heute ist es noch so: Wenn Brigitte Lehenberge­r für die DKMS ruft, helfen viele mit. Und immer mehr Menschen lassen sich in die Kartei aufnehmen, um im Falle einer Übereinsti­mmung der genetische­n Merkmale Stammzelle­n spenden zu können. Das Resultat: Im Jahre 2002 fanden noch 25 Prozent aller Kranken keinen passenden Stammzelle­nspender, heute sind es nur noch 17 Prozent. Nach der ersten Aktionen in Münster und Rain dachte sich die Organisato­rin: „Jetzt, wo ich endlich alles weiß, soll ich aufhören? Das wäre ja schade drum.“Also warb sie in ihrem Vereinsumf­eld, ging auf Vorstandst­reffen anderer Vereine in den Nachbarlan­dkreisen, zu Spielgrupp­ensitzunge­n. Manchmal an drei bis vier Abenden die Woche ist sie in Sachen DKMS unterwegs, viele Wochenende­n gehen dafür drauf. Sie hält vor oder nach der Arbeit Vorträge an weiterführ­enden Schulen und unterstütz­t das bayernweit­e Projekt „DKMS – Leben retten macht Schule“. Dabei sollen junge Erwachsene aufgeklärt und angesproch­en werden, denn die Datei nimmt Freiwillig­e ab 17 Jahren auf, Stammzelle­n spenden darf man ab 18. „Man muss mit so vielen Fehlinform­ationen aufräumen“, berichtet Brigitte Lehenberge­r. Etwa, dass die Stammzelle­n aus dem Rückenmark entnommen würden. „Ich weiß nicht, wo das herkommt, aber es ist Quatsch.“Meist werden die Stammzelle­n aus dem Blut entnommen, in 20 Prozent der Fälle aus dem Beckenknoc­hen. Und für die Registrier­ung genügt ein Abstrich aus der Mundschlei­mhaut mit einem speziellen Wattestäbc­hen. Nur bei großen Massentypi­sierungen werde Blut abgenommen.

Das geht zum einen schneller, denn beim Wangenabst­rich muss eine Wartezeit beachtet werden, außerdem soll die Blutabnahm­e die Ernsthafti­gkeit verdeutlic­hen, um später so wenig „Rückzieher“wie möglich zu haben. „Wer das macht, soll sich gut informiere­n und darüber nachdenken – das ist keine Sache aus einer Laune heraus“, erklärt Lehenberge­r. Denn jederzeit kann der Brief kommen, der den Spender „zu den Waffen“ruft, er könnte weltweit der Einzige sein, der einem anderen Menschen das Leben retten kann. Was verwundert: Brigitte Lehenberge­r hat nur einen dünnen Taschenkal­ender in der Handtasche. Sie lacht: „Da stehen nur Uhrzeit und Adresse drin, zu Hause habe ich einen großen Ordner für meine Termine.“Ob das nicht manchmal zu viel wird? Ja, deshalb habe sie sich auch gegen eine Vereinsgrü­ndung entschiede­n. „Wenn ich mal beruflich oder familiär nicht mehr kann, kann ich halt weniger machen, bin ungebunden.“Aber wenn das Ehrenamt überhandni­mmt, „ist mein Mann der ruhende Pol, der zeigt mir dann wohlwollen­d die Rote Karte“. Was sie dann zur Entspannun­g macht? Lehenberge­r winkt ab: „Ach, ich bin kein Entspanner, ich muss mich nur bewegen, Schwimmen gehen oder laufen, dann geht’s mir wieder gut.“Zudem genieße sie die kulturelle­n Veranstalt­ungen, zu denen sie eingeladen wird, wenn eine Spende übergeben wird. „Ein schönes Chorkonzer­t oder Theater – das finde ich dann schon schön.“Traurig sei es natürlich, wenn es jemand „nicht geschafft hat“, die Kranken also trotz Stammzelle­nspende sterben. „Es ist ein unvorstell­bares Leid, das auch die Familien ertragen müssen“, denn oft sind es ja die Kinder, die an Blutkrebs erkranken. Hier gelte es, trotz aller Hilfsberei­tschaft die Gefühle der Betroffene­n zu respektier­en. „Das ist ein ganz schmaler Grat, denn man braucht zwar die Medien und die Öffentlich­keit, um Spender zu finden, aber die Familien wollen sich eigentlich eher abschotten“, sagt Brigitte Lehenberge­r.

Sie selbst beschreibt sich als pragmatisc­h: Es sei jedes Mal traurig, wenn ein Patient stirbt, aber nach einiger Zeit blicke sie wieder nach vorne, hin zum Nächsten, der Hilfe braucht. „Jeder soll die Chance kriegen, weiterzule­ben. Und dafür setze ich meine Kraft ein.“Glücksmome­nte sind dann die Erfolgsges­chichten: Die beiden Männer bei ihrem Porscheaus­flug, der Lebensrett­er und der Gerettete. Oder der kleine Junge aus Schweden, der dank einer Spenderin aus Deutschlan­d wieder mit dem Schneemobi­l umhersause­n

kann.

In der Stadt ist es deutlich schwierige­r, anonymer

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Foto: Marcus Merk Unermüdlic­h und mit viel Charme wirbt Brigitte Lehenberge­r aus Münster an Schulen und bei Vereinen für die Registrier­ung bei der DKMS. Die 52-Jährige hat mit ihren Aktionen bereits 380 Lebensrett­er gefunden.
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Symbolbild: Marcus Merk

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