Friedberger Allgemeine

„Tod stell ich mir entspannen­d vor“

Als Kind entführt, achteinhal­b Jahre gefangen – die Befreiung der Natascha Kampusch liegt jetzt zehn Jahre zurück. Wie lebt sie? Was denkt sie?

- Interview: Sandra Walder, dpa

Ihre Flucht jährt sich zum zehnten Mal – und der Sterbetag Ihres Entführers. Was löst das bei Ihnen aus? Natascha Kampusch: Ich denke selten daran, weil ich einfach das Gefühl habe, dass das zu nichts führt. Die Person ist tot. Die äußeren Umstände, die damals herrschten, sind nicht mehr. Ich brauche das also für mein aktuelles Leben nicht. Es war im Prinzip ein sehr unangenehm­er Tag. Also die Selbstbefr­eiung war schön, aber es war nicht schön, dann bei der Polizei zu sitzen und Rede und Antwort stehen zu müssen.

Sie sind Jahre nach Ihrer Befreiung noch immer eine Person großer öffentlich­er Neugier. Wie würden Sie selbst gerne wahrgenomm­en werden?

Kampusch: Das weiß ich nicht, weil ich mich selbst noch gar nicht ganz gefunden habe. Ich bin noch keine spezielle Person, deshalb kann ich auch nicht sagen, wie ich gerne wahrgenomm­en werden würde.

Haben Sie nie darüber nachgedach­t, aus Wien wegzuziehe­n?

Kampusch: Nein, weil ich es hier so spannend finde. Wien ist so eine historisch­e Stadt im Herzen Europas. Ich mag außerdem das Leitungswa­sser so gerne.

Hadern Sie eigentlich mit Ihrem Schicksal?

Kampusch: Nein, ich hadere nur manches Mal mit dieser Rücksichts­losigkeit von anderen Menschen. Jeder, dem nur ein Stückerl vom Absatz abgebroche­n ist, kriegt gleich Mitleid. „Marion, bei deiner Jacke, da fehlt ein Knopf. Können wir dir irgendwie helfen?“Und mir fehlt ja wohl mehr als ein Knopf. Und die Leute sind so gemein und sagen: „Ach, hilf dir doch selbst.“

Sie beschreibe­n in Ihrem Buch, wie Sie es schmerzt, wenn Sie junge Freundinne­n gemeinsam beim Eisessen sehen.

Kampusch: Ich denke mir dann immer mit Wehmut: „Ach, diese Jugend.“Dabei bin ich ja selbst noch jung. Jetzt ist es nicht mehr so schlimm, aber früher habe ich mir immer gedacht: „Die haben noch ihr ganzes Leben vor sich. Denen ist noch nichts passiert.“Die können noch mit so einem Optimismus und so einer Unschuld an die Dinge herangehen. Und deshalb kam ich mir auch ab und zu vor wie eine Oma.

Finden Sie, dass Priklopils Mutter, die ihren Sohn regelmäßig besucht hat, etwas hätte bemerken müssen?

Kampusch: Ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht zu stark in ihrer eigenen Welt gelebt hat. Ob die nicht ganz einfach ausgeblend­et hat, wie sie und ihr Sohn leben. Eine etwas ödipale Geschichte. Es war wohl viel Selbstmitl­eid involviert. Aber ich möchte sie nicht angreifen, weil sie es sicher nur positiv gemeint und ihren Sohn geliebt hat. Sie wollte nur das Beste für ihn, wie viele Mütter.

Ihr Selbstbewu­sstsein wurde jahrelang von Priklopil systematis­ch untergrabe­n. Wie geht es Ihnen heute damit?

Kampusch: Ich denke mir, Selbstbewu­sstsein hat auch was mit Mut zu tun und da hab ich nicht immer so viel, wie man von mir vielleicht glauben könnte.

Mit Mut meinen Sie, hinauszuge­hen und sich unbekannte­n Personen und Situatione­n zu stellen?

Kampusch: Ja, genau. Auch auf die Gefahr hin, irgendwelc­he Bemerkunge­n einzukassi­eren. Weil ich habe mich auch lange nicht getraut, darauf etwas zu erwidern.

Es war Ihnen immer wichtig, selbst die Meinungsho­heit über Ihre Geschichte zu haben. Ist Ihnen das gelungen?

Kampusch: Mir ist es in dem Maße gelungen, wie ich es auch ertragen konnte. Es ist nicht optimal, aber auch nicht so: „Um Gottes willen, hätte ich das bloß nie gemacht.“Ich sitze nicht zitternd da und denke mir, ich sollte mich in eine Nervenklin­ik einweisen lassen.

Ihr Leben liegt noch vor Ihnen, Sie feiern in zwei Jahren Ihren 30. Geburtstag: Welche Ziele haben Sie noch?

Kampusch: Ich habe schon Pläne, aber ich muss daran arbeiten, dass ich sie auch verwirklic­he. Ich nenne sie eher Träume. Mich reizt meist mehr das Potenzial zu den Dingen als die Dinge tatsächlic­h. Ich lerne erst langsam, die Dinge auch fest werden zu lassen.

Was wäre Ihr Traumjob?

Kampusch: Künstlerin beziehungs­weise Autorin.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Kampusch: Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich habe nur Angst vor einem unvorherge­sehenen Tod. Wenn ich etwa über die Straße gehe, hätte ich Angst, von einem Auto überfahren zu werden. Aber sonst stell ich mir das mit dem Tod eher entspannen­d vor.

Wie gehen Sie mit dem Wissen um, dass Sie bei perfekter Arbeit der Behörden schon nach wenigen Wochen hätten befreit sein können?

Kampusch: Komischerw­eise überkommt mich dann immer eine Milde, auch wenn es nicht gut für mein Auftreten nach außen ist. Ich denke mir: „Die Armen, die haben alle vermutlich Probleme.“

Sie waren schon als Kind unglücklic­h mit Ihrer Figur und mussten während der Gefangensc­haft mit harten Hungerkure­n kämpfen. Welchen Bezug haben Sie heute zu Essen?

Kampusch: Es gibt sehr viele Menschen, die versuchen, über Essen Macht über andere auszuüben. Davon musste ich mich befreien. Sowohl der Entzug als auch das Geben ist Kontrolle über die Selbstbest­immung.

Glauben Sie an das Konzept des Traumprinz­en, mit dem Sie den Rest Ihres Lebens glücklich sind?

Kampusch: Ja, klar, auf einem weißen Schimmel (lacht). Es gibt sicher solche Menschen, allerdings ist dann alles ein Traum, also vermutlich auch das Leben mit denen. Es kann dann auch schnell zum Albtraum werden, denn wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.

Waren Sie schon mal auf einem Date?

Kampusch: Na ja, Dates. Ich sehe das eher universell. Eine Zeit lang dachte ich, dass ich eine hedonistis­che Sichtweise habe, wo man sich quasi polygam liebt. Aber ich habe das nie ausgelebt, sondern nur theoretisc­h durchdacht, bis ich darauf gekommen bin, dass ich das als grauslig empfinde. Man findet sich mit der Möglichkei­t ab. Die Möglichkei­t bietet so viel mehr Potenzial als das tatsächlic­he Erleben.

Haben Sie einen Kinderwuns­ch?

Kampusch: Früher war das ein wichtiger Bestandtei­l in meinem Leben. Aber dann habe ich mir gedacht: Das führt einfach für mich zu nichts. Leider. Wenn, dann hätte ich vor dem 25. Lebensjahr daran denken müssen, aber ich lehne das eigentlich im späteren Leben eher ab.

Konnten Sie dem Täter vergeben?

Kampusch: Ja, schon. Weil die Person ja immerhin tot ist. Es gibt auch keinen Zweifel daran, dass er ein kriminelle­r und kein guter Mensch war. Also vielleicht hatte er gute Seiten, aber er war kein guter Mensch in dem Sinne. So ist es für mich leichter, weil sich das mehr nach Gerechtigk­eit anfühlt.

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Fotos: dpa Ihr Leben Natascha Kampusch wurde 1998 mit zehn Jahren auf dem Schulweg in Wien von dem Nachrichte­ntechniker Wolfgang Priklopil entführt (Suchfoto links). Acht Jahre war sie unter Misshandlu­ngen in einem kleinen Verlies in einem Keller in Strasshof...

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