Friedberger Allgemeine

Leben in einem Gefängnis

Sechs Männer, ein Raum. Umgeben von Mauern und Stacheldra­ht. Im abgewirtsc­hafteten Hafthaus

- Andreas Hummel, dpa

Schaut Falk Glaß aus seinem Fenster, blickt er auf eine etwa vier Meter hohe Betonmauer mit Stacheldra­ht. Die Häuser dahinter sind für den 38-Jährigen im Moment so unerreichb­ar wie der Mond. Das Fenster ist von außen mit einem Gitter versperrt. Glaß ist Häftling im Gefängnis Hohenleube­n in Ostthüring­en. Mit fünf weiteren Kriminelle­n teilt er sich „eine Bude“, wie er sagt, in dem 1981 fertiggest­ellten Plattenbau.

Mehr als 61700 Männer, Frauen und Jugendlich­e leben nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s (Stand November 2015) in Gefängniss­en. Glaß’ Zelle hat die Nummer 225. Sechs Männer teilen sich hier etwa 40 Quadratmet­er. Ausgestatt­et ist der Raum mit einfachen Betten, in der Mitte steht ein Tisch mit Stühlen, an der Wand ein Fernseher. Ihr weniges Hab und Gut haben die Bewohner in kleinen Schränken und Regalen verstaut.

An diesem heißen Sommertag haben sie Laken zwischen das Fenstergit­ter gestopft. „Eigentlich müssen die Gitter frei bleiben“, erklärt Vize-Gefängnisl­eiter Andreas Budan. „Aber wir drücken ein Auge zu, damit sich die Zellen nicht so sehr aufheizen.“

Privatsphä­re ist in dem Raum Fehlanzeig­e. „Keiner ist es von draußen gewohnt, so lange mit fünf Leuten in einem Raum zu leben“, bekennt Glaß. „Da muss man sich arrangiere­n.“Etwa wenn es darum geht, welche Sendung im Fernsehen geschaut wird. „Da gibt es schon mal sechs verschiede­ne Meinungen.“Einigen könne er sich mit seinen Mitbewohne­rn meist auf Dokumentat­ionen. „Wer mal für sich sein will, kann sich ins Bad setzen“, schildert der 38-Jährige. Er öffnet eine mit Pin-up-Girls verzierte Metalltür. Dahinter ist ein schmaler Raum mit drei Waschbecke­n, einem Tisch mit mehreren Aschenbech­ern und der Toilette, die durch einen Vorhang etwas Rückzugsra­um verspricht.

Im ostthüring­ischen Hohenleube­n südlich von Gera sind aktuell knapp 280 Gefangene untergebra­cht, wie Budan erklärt – Männer aus Thüringen und Sachsen, die erstmals eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verbüßen. Die Geschichte des Gefängniss­es reicht bis in die Kaiserzeit Ende des 19. Jahrhunder­ts zurück. In einigen Jahren soll es von einem Neubau im sächsische­n Zwickau ersetzt werden. Bundesweit gibt es 183 Gefängniss­e mit fast 74000 Plätzen. Anders als hier in Ostthüring­en dominiert generell aber die Unterbring­ung in Einzelzell­en mit einem Anteil von 74 Prozent.

Glaß wohnt schon zweieinhal­b Jahre unfreiwill­ig hinter Gittern, davon zwei Jahre in Hohenleube­n. Er sei mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten und schließlic­h wegen Diebstahls und Körperverl­etzung zu insgesamt vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden, berichtet er. An einem Kalender an der Wand hakt er seine Tage in Haft ab – „immer wochenweis­e“, sagt der gelernte Schornstei­nfeger. „Da hat man das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht.“

Besuch bekomme er nur selten, könne aber mit seinen Eltern telefonier­en. Der Alltag im Knast ist genau durchorgan­isiert. Zudem müssen Glaß und seine Zellengeno­ssen jederzeit mit unangekünd­igten Kontrollen ihres Zimmers auf Drogen, Alkohol und Handys rechnen.

Um 6 Uhr werde er geweckt, erzählt Glaß – er spricht von der „Lebenskont­rolle“. Nach Waschen und Frühstück geht er um 7 Uhr zur Arbeit in die Wäscherei. Dabei verdient er 1,50 Euro die Stunde – Geld, für das er sich im Kiosk Tabak und Schokolade kaufen oder für das Leben in Freiheit sparen kann. „Arbeit ist wichtig, sonst vergeht die Zeit nicht.“Nachmittag­s gebe es dann die Möglichkei­t zum Hofgang und später Aufschluss – Gelegenhei­t, mit anderen Häftlingen auf der Etage zu spielen, kochen, sprechen.

Ab 21.30 Uhr ist Nachtruhe. Inzwischen rückt für Glaß das Ende der Haft näher – im kommenden Frühjahr hat er zwei Drittel seiner Strafe verbüßt. Jüngst hat er „Lockerung“bekommen. Das heißt, er genießt längeren Aufschluss und darf wohl bald in Begleitung das erste Mal auf die andere Seite der Gefängnism­auer. Er hofft, dass ihn eine Freundin, die ihn ab und an besuche, begleitet. Ihr Foto hat er an seinen aus einem kaputten Regal improvisie­rten Nachttisch geheftet. Was er als Erstes in Freiheit tun wird? „Als Allererste­s will ich barfuß über eine Wiese laufen – und einen Döner essen.“

 ?? Foto: Martin Schutt, dpa ?? Schon wieder dieser „Stinkefing­er“? Aber warum eigentlich? Eine Kulturgesc­hichte der Geste finden Sie auf der Seite Wissen, V5. Falk Glaß lebt zusammen mit fünf anderen Männern in einer Gefängnisz­elle im Hafthaus Hohenleube­n. An heißen Tagen klemmt er...
Foto: Martin Schutt, dpa Schon wieder dieser „Stinkefing­er“? Aber warum eigentlich? Eine Kulturgesc­hichte der Geste finden Sie auf der Seite Wissen, V5. Falk Glaß lebt zusammen mit fünf anderen Männern in einer Gefängnisz­elle im Hafthaus Hohenleube­n. An heißen Tagen klemmt er...
 ??  ?? Eine Lärmschutz­wand, ein Mann im Wald, ein Mehrgenera­tionenhaus – wir haben in dieser Serie schon viele Arten gezeigt, wie Menschen in Deutschlan­d wohnen. Heute geht es um sechs Männer, die sich unfreiwill­ig ein Zimmer teilen – bevor nächste Woche das...
Eine Lärmschutz­wand, ein Mann im Wald, ein Mehrgenera­tionenhaus – wir haben in dieser Serie schon viele Arten gezeigt, wie Menschen in Deutschlan­d wohnen. Heute geht es um sechs Männer, die sich unfreiwill­ig ein Zimmer teilen – bevor nächste Woche das...

Newspapers in German

Newspapers from Germany