Europa hilft jetzt nur eins: Probleme lösen!
Leitartikel Nach dem „Brexit“geht es darum, den Laden zusammenzuhalten und Handlungsfähigkeit zu beweisen. Das Versagen der EU in der Flüchtlingskrise
Langsam nur löst sich die Europäische Union (EU) aus der Schockstarre, die der vom britischen Volk beschlossene Austritt Großbritanniens ausgelöst hat. Der 23. Juni 2016 wird als jener Tag in die Geschichte eingehen, an dem die Vision von einem immer enger zusammenwachsenden Europa zerstört und die EU in die schwerste Krise ihrer Geschichte katapultiert wurde. So tief ist dieser Einschnitt, dass nunmehr sogar die Zukunft Europas auf dem Spiel steht.
Wie soll es ohne die Briten weitergehen? Und, vor allem: Welche Lehren zieht die EU aus dem „Brexit“, der vom zunehmenden Verdruss vieler Europäer zeugt und ansteckend wirken könnte. Was muss jetzt passieren, um die Menschen aufs Neue vom Nutzen und Sinn der EU zu überzeugen und ihr Vertrauen zurückzugewinnen? Auf diese Fragen gibt es keine raschen Antworten, zumal jede Entscheidung Kompromisse erfordert und den meisten Staaten das nationale Hemd mehr denn je näher ist als der europäische Rock. Für den Augenblick kommt es darauf an, den Laden zusammenzuhalten und zu zeigen, dass Europa den mannigfachen Herausforderungen – Terrorismus, Wachstumsschwäche, Schulden- und Flüchtlingskrise – gewachsen ist. Deutschland und der dienstältesten Regierungschefin, Angela Merkel, fällt dabei eine maßgebliche Führungsrolle zu.
Das ist insofern heikel, als in ganz Europa das Gespenst einer deutschen „Hegemonie“an die Wand gemalt wird und insbesondere kleinere Länder das Gefühl haben, von Berlin nicht hinreichend einbezogen oder gar einem „Diktat“unterworfen zu werden. Also muss Deutschland, wenn es – schon aus eigenem Interesse – den Karren der EU wieder flottzumachen versucht, mit Fingerspitzengefühl agieren. Der jüngste diplomatische Marathon der Kanzlerin, die binnen einer Woche mit 15 von 28 Staats- und Regierungschefs zusammengetroffen ist, diente dem Zweck, einerseits die Fäden in die Hand zu nehmen und andererseits auch die Ängste vor deutscher Dominanz zu zerstreuen. In der Sache ist dabei nicht viel herausgekommen. Die Debatte um den „Neustart“der EU und das künftige Verhältnis zu Großbritannien steht erst am Anfang. Klar ist einstweilen nur, dass das Brüsseler Jetzterst-recht-Gerede von „mehr Europa“und einer Vertiefung der Union vom Tisch ist. Eines Tages wird sich die EU mit der Änderung ihrer Verträge und einer bürgernäheren Kompetenzverteilung zwischen ihr und den Nationalstaaten befassen müssen. Jetzt, inmitten der Stürme, geht es darum, zu handeln und Probleme gemeinsam anzupacken.
Die Bürger erwarten, dass die EU im Kampf gegen den Terrorismus enger zusammensteht, ihre eigenen, im Euro-Stabilitätspakt verankerten Regeln endlich einhält und jene Reformen anstößt, die der Wirtschaft Europas auf die Beine helfen. Und dann ist da die Flüchtlingskrise, die über die völlig unvorbereitete EU hereingebrochen ist und – nicht zuletzt wegen Merkels Alleingang – Europa gespalten hat. Nichts, auch nicht die ewige EuroRettungspolitik, hat die EU mehr Kredit gekostet als dieses Versagen im Umgang mit der Masseneinwanderung. Die Pläne zur Verteilung der Flüchtlinge sind gescheitert, die EU-Außengrenzen weiter nicht geschützt. Man verlässt sich auf den türkischen Machthaber Erdogan und das kleine Mazedonien, das die Balkanroute dichtgemacht hat. Was für ein Trauerspiel! Und kein Ende in Sicht.
Niemand, der bei Trost ist, zweifelt an dem großen Friedensprojekt EU und der Notwendigkeit eines vereinten Europa. Aber es bedarf auch des Rückhalts durch die Völker, die nicht mit großen Reden, sondern nur durch die Lösung von Problemen zu gewinnen sind.
Eine „Vertiefung“der Union ist vom Tisch