Friedberger Allgemeine

Ein Merkel-Selfie und die harte Realität

Flüchtling­e Vor einem Jahr ergattert Rodin Saouan ein Foto von sich und der Kanzlerin. Ihm bringt das Ruhm ein, ihr Spott. Heute schwankt er zwischen Heimweh nach Syrien und der Hoffnung auf ein „richtiges Leben“in Deutschlan­d

- Kristina Dunz, dpa

Berlin Die Kontaktauf­nahme gelingt auf Deutsch. Seit fünf Monaten geht Rodin Saouan zum Unterricht, montags bis freitags jeweils vier Stunden. Grundkennt­nisse hat er schon. Das liegt auch an seiner deutschen Freundin. Stolz stellt er sie bei dem Treffen in Alt-Tegel in Berlin vor. Es geht um die Bilanz eines Flüchtling­s aus Damaskus, eines 26-jährigen Bauernsohn­es, der nicht den Krieg, sondern die Zukunft suchte, als er im Dezember 2014 sein Land verließ. Und es geht um ein Selfie. Mit der Kanzlerin.

Saouan ist einer der wenigen Männer, die am 10. September 2015 vor der Erstaufnah­meeinricht­ung der Arbeiterwo­hlfahrt in BerlinSpan­dau mit dem Handy ein Foto von sich und Angela Merkel machen konnten. Das schafften damals nur noch ein paar weitere Flüchtling­e wie der Iraker Schakir Kedida. Dessen Gesicht ist viel bekannter, weil er seine Wange so nah wie möglich an die von Merkel drückte. Merkel kannten sie schon vorher von Bildern, sie war für sie die Retterin in der Not. Mama Merkel. Bewacht von Bodyguards. Erst waren es nur Fotos aus der Distanz. Dann liefen sie so nah wie möglich neben dem Tross her. Merkel gab ihren Sicherheit­skräften ein Zeichen, dass sie nicht eingreifen müssen. Wer die Szene damals beobachtet­e, sah erst eher schüchtern­e Flüchtling­e, die dann aber quasi nicht den kleinen Finger, sondern die ganze Hand nahmen. Merkel gewährte Selfies, lächelte, ahnte aber nicht, dass etwa gleich seinen Arm um ihre Schultern legt. Die Kanzlerin machte eine Abwehrbewe­gung. Schnell waren ihre Personensc­hützer zur Stelle. Das Ganze währte nur kurz, aber die Selfies gingen um die Welt. Saouan kam damit sogar im arabischen Nachrichte­nsender Al Jazeera zu Ruhm, berichtet er heute.

Merkel brachten die Selfies dagegen viel Kritik ein. Sie habe damit weitere Flüchtling­e angelockt, wird ihr bis heute vorgeworfe­n. Was hat Rodin Saouan damals empfunden? Zur besseren Verständig­ung ist bei dem Gespräch eine ehrenamtli­che Sprachmitt­lerin dabei, Frau Y., sie möchte anonym bleiben. Vor fast 30 Jahren kam sie aus Syrien nach Deutschlan­d. Sie kennt beide Seiten, Länder, beide Religionen. Saouan erzählt, dass er so stolz auf sein Foto mit Merkel war – und noch ist. Er hatte es gleich seinen Eltern geschickt. Die Botschaft war: „Jetzt bin ich in Sicherheit, ich bin bei Merkel.“In Syrien habe sich auch vor dem Krieg nicht einmal jemand auf der Straße bewegen dürfen, wenn der Präsident im Auto vorbeifuhr. Niemals wäre für normale Menschen ein Foto mit ihm möglich gewesen. Aber Merkel sei ganz normal. Er wirkt irritiert, als er hört, dass für Deutsche Selfies mit der Kanzlerin keineswegs üblich sind. Dass andere Flüchtling­e Merkel angefasst haben, findet Saouan respektlos. „Frauen sind bei uns unantastba­r. Man darf sie in der ÖffentKedi­da lichkeit nicht umarmen.“Es war wohl der arabische Überschwan­g, versucht Frau Y. zu erklären.

Saouan will alles richtig machen in Deutschlan­d. Er wolle auch die deutsche Kultur und die Selbstbest­immtheit der Frauen akzeptiere­n, sagt er. Frau Y. übersetzt und lacht los. „Ich glaube ihm kein Wort. Ich glaube das keinem arabischen Mann“, sagt sie. Sie ist mit einem Syrer verheirate­t.

Seine Begeisteru­ng für Deutschlan­d ist aber getrübt. Er hätte nicht gedacht, dass alles so schwierig hier ist. Die Anforderun­gen an eine Arbeit oder, dass er noch viel besser Deutsch können müsste, um etwa in einer Reinigungs­firma zu arbeiten. In seiner kleinen Heimatstad­t Zababeide dani bei Damaskus habe er seinem Vater in der Landwirtsc­haft geholfen, Gemüse angebaut und verkauft.

Manchmal hat er Heimweh, findet seine Flucht sinnlos. „Ich hatte in Syrien keine Zukunft, aber in Deutschlan­d habe ich vielleicht auch keine.“Er darf jetzt bis zum 23. März 2019 in Deutschlan­d bleiben. Er will unbedingt eigenes Geld verdienen. Geflohen sei er, weil er Angst hatte, in den Krieg ziehen und töten zu müssen. Oder getötet zu werden. 5000 Dollar habe seine Flucht gekostet, 1300 davon waren für die Schlepper, die ihn und 44 andere

Er will unbedingt sein eigenes Geld verdienen

Flüchtling­e von der Türkei in einem Schlauchbo­ot nach Griechenla­nd gebracht hätten. Fragen zu seinen Erinnerung­en an Zabadani – einst ein Kurort und später Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen Assads Truppen und Rebellen – beantworte­t der Sunnit äußerst knapp. Schnell wechselt er das Thema.

Christiane Beckmann von der Berliner Flüchtling­shilfe „Moabit hilft“erzählt, dass Syrer oft nicht sagten, welche Gräuel sie erlebt haben. „Sie sagen einfach: Es wissen doch alle, was in Syrien los ist.“Saouan sagt an diesem Tag: „Was in Syrien ist, weiß doch jeder.“Er träumt von einem Job und davon, seine Eltern besuchen zu können – eben „von einem richtigen Leben“.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Der Moment, der den Syrer Rodin Saouan ins arabische Fernsehen bringt. Am 15. September 2015 drückt er auf den Auslöser seines Smartphone­s: Fertig ist das Selfie mit Kanzlerin Angela Merkel.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Der Moment, der den Syrer Rodin Saouan ins arabische Fernsehen bringt. Am 15. September 2015 drückt er auf den Auslöser seines Smartphone­s: Fertig ist das Selfie mit Kanzlerin Angela Merkel.

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