Friedberger Allgemeine

Es kommen wieder mehr Menschen über das Meer

Tausende Flüchtling­e landen in Italien und Griechenla­nd. Macht die Türkei ihre Drohungen wahr?

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Spiegelgla­tte See, wenig Wind – seit Tagen weist der Deutsche Seewetterd­ienst unter der Rubrik „östliches Mittelmeer“ruhiges Spätsommer­wetter aus. Exakt die Witterung also, auf die Schlepper und Flüchtling­e an den Küsten Nordafrika­s warten. Die Bilanz: Alleine von Samstag bis Dienstag wurden zwischen Libyen und Italien rund 10 000 Menschen von ihren meist völlig maroden Booten geborgen. Gerettet von Schiffen der italienisc­hen Marine, der EU-Grenzschut­zagentur Frontex sowie von Nichtregie­rungsorgan­isationen. Im Sommer 2015 wurden bis zu 8000 Menschen an nur einem einzigen Tag aus dem Meer gerettet.

Der Druck steigt wieder: Im Juli zählten die italienisc­hen Behörden über 23 000 Flüchtling­e. Seit Jahresbegi­nn sind es damit 106 461, die über die zentralmed­iterrane Route nach Europa gelangt sind.

Eine Route, die nach einer Analyse von Experten der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) deutlich gefährlich­er ist als im Vorjahr: Danach hat jeder 85. Migrant die Überfahrt nicht überlebt – in absoluten Zahlen kamen 2016 bereits 3165 Flüchtling­e im Mittelmeer um. 2015 bezahlte noch jeder 276. den Fluchtvers­uch aus Afrika mit seinem Leben. Die IOM macht für diese dramatisch­e Entwicklun­g in erster Linie zwei Faktoren verantwort­lich. Zum einen würden die Schleuser noch skrupellos­er vorgehen und Kinder, Frauen und Männer in noch weniger seetüchtig­en Booten ihrem Schicksal überlassen. Hinzu komme, dass immer mehr Menschen den weitaus gefährlich­eren Seeweg von Ägypten wählen würden.

Einige der Menschen, die es von Nordafrika aus nach Europa geschafft haben, ließen sich auch auf dem Weg in Richtung Norden nicht aufhalten. So registrier­en die Behörden in Baden-Württember­g immer mehr illegale Einreisen nach Deutschlan­d über die Schweiz. Per Zug, Bus oder auch zu Fuß kamen im Juli 1065 Menschen über die Grenze, schon im Juni waren es 1008 gewesen. Seit Jahresbegi­nn liegt die Zahl bei 3385 Flüchtling­en, die über das Nachbarlan­d einreisten – im gesamten Jahr 2015 wurden 2455 erfasst.

Gleichzeit­ig melden die griechisch­en Behörden einen markanten Anstieg der Flüchtling­szahlen. Laut IOM kamen bis zum 28. August 163105 Flüchtling­e nach Griechenla­nd – im Vorjahresz­eitraum waren es 234357. Doch nun schnellen die Zahlen augenschei­nlich wieder in die Höhe: Allein in der Zeit von Montag bis gestern hätten 462 Menschen von der türkischen Küste aus auf griechisch­e Ägäis-Inseln übergesetz­t, teilte der Stab für die Flüchtling­skrise in Athen mit. Das sei die größte Zahl von Flüchtling­en und anderen Migranten, die seit Inkrafttre­ten des EU-Flüchtling­sabkommens mit der Türkei Anfang April an einem Tag registrier­t wurde. „Hoffentlic­h hängt das mit dem guten Wetter zusammen und es ist kein Zeichen seitens der Türkei“, sagte ein Offizier der Küstenwach­e.

Dahinter steckt die Sorge, dass Ankara beginnt, seine Drohungen wahr zu machen, die Umsetzung des Flüchtling­spaktes an die Aufhebung der Visumpflic­ht für Türken bei EU-Reisen zu knüpfen. „Wir erwarten die Aufhebung der Visumpflic­ht bis Oktober 2016“, sagte der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu. Der spürbare Anstieg zu Beginn dieser Woche könnte ein Signal aus der Türkei sein, welch wirksames Druckmitte­l das Land, in dem fast drei Millionen Flüchtling­e leben, gegen die EU in der Hand hält.

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Foto: Nardi, dpa Gerettete Flüchtling­e blicken auf die Küste von Sizilien.

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