Friedberger Allgemeine

Die Gesichter des Sigmar Gabriel

Ein Jahr vor der Bundestags­wahl versucht der SPD-Chef, sich von der umstritten­en Flüchtling­spolitik der CDU-Kanzlerin abzusetzen. Doch wie glaubwürdi­g ist der Kurswechse­l?

- VON MICHAEL POHL Foto: Kay Nietfeld, dpa

Augsburg Sigmar Gabriel hat eine gewisse Vorliebe für den Überraschu­ngseffekt. Manches Mal schockiert er dabei selbst die eigenen Genossen. Etwa als er vergangene­s Jahr überrasche­nd in Dresden „privat“bei einer Diskussion­sveranstal­tung mit Pegida-Anhängern aufkreuzte, just als seine SPD-Generalsek­retärin jeden Dialog mit den Demonstran­ten abgelehnt hatte. Nun provoziert Gabriel sowohl die Union als auch die eigenen Anhänger mit einer barschen Kritik an der Flüchtling­spolitik Angela Merkels – obwohl die SPD darin den Christdemo­kraten stets näherstand als deren Schwesterp­artei CSU.

Mit Gabriels Bemerkung, „natürlich gibt’s auch die Notwendigk­eit, eine Obergrenze zu haben“, machte sich der SPD-Chef ausgerechn­et den in der Union meist umstritten­en CSU-Begriff zu eigen. Die Wut bei den angegriffe­nen Christdemo­kraten kochte prompt hoch: „Eine bodenlose Unverschäm­theit“nannte CDU-Generalsek­retär Peter Tauber die Worte des Vizekanzle­rs in einer unter Koalitions­partnern ungewöhnli­ch scharfen Reaktion.

Dass Gabriel bei seiner polternden Rückkehr aus dem Urlaub in einem Fernsehint­erview am Wochenende auch noch in einem Nebensatz das umstritten­e Freihandel­sabkommen TTIP mit den USA für „de facto gescheiter­t“erklärte, erhöhte den Ärger in der Union noch zusätzlich: „Als Wirtschaft­sminister muss man ihn daran erinnern, dass sein Amtseid dem deutschen Volk gilt, nicht der SPD oder gar der Parteilink­en“, schlug Tauber zurück.

In seiner Wutrede ging der sonst eher für ruhigere Töne bekannte CDU-Generalsek­retär den SPDChef dann frontal persönlich an und spielte mit Gabriels Ruf der Unberechen­barkeit: „Man kann nicht als Erstes Pegida als Pack beschimpfe­n und dann hinfahren, um mit denen zu reden“, betonte Tauber. „Man kann nicht Nazis den Stinkefing­er zeigen und dann Ressentime­nts we- cken, indem man den Eindruck erweckt, es sei Ziel deutscher Politik, jedes Jahr eine Million Flüchtling­e in Deutschlan­d aufzunehme­n.“

Tatsächlic­h wird Gabriel selbst von Parteifreu­nden nicht mit großer Beständigk­eit im politische­n Alltag verbunden, obwohl der Niedersach­se immerhin der inzwischen am längsten amtierende SPD-Vorsitzend­e seit der langen Ära Willy Brandts ist. Beständig ist allerdings das Formtief der Sozialdemo­kraten in den Umfragen: Seit der letzten Bundestags­wahl dümpelt Gabriels Partei mit geringen Ausschläge­n nach oben und unten um die 25-Prozent-Marke herum.

Manche Genossen hoffen, dass der SPD ähnlich wie 2005 unter Gerhard Schröder ein Stimmungsu­mschwung im Endspurt gelingt. Doch wie schon bei der damals folgenden ersten Großen Koalition fällt es den Sozialdemo­kraten schwer, sich gegen Merkel zu profiliere­n. Zwar spaltet die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin die Nation wie kein anderes Thema ihrer Amtszeit. Doch bislang wurde die SPD dabei im Großen und Ganzen eng an der Seite der Kanzlerin verortet.

Mit seiner Absetzbewe­gung von der Regierungs­chefin bekommt Gabriel ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Zwar hatte er kurz nach der Grenzöffnu­ng im Herbst 2015 tatsächlic­h

Der Begriff der Obergrenze als bewusste Provokatio­n Die CDU spricht von bodenloser Unverschäm­theit

mehrfach betont, dass die Bundesrepu­blik nicht Jahr für Jahr eine Million Migranten aufnehmen könne: „Wir nähern uns in Deutschlan­d mit rasanter Geschwindi­gkeit den Grenzen unserer Möglichkei­ten“, sagte er vergangene­n Oktober.

Doch noch schärfer verurteilt­e Gabriel eben die CSU-Forderunge­n nach einer Obergrenze, nämlich als „Wasser auf die Mühlen der AfD“. Bei geschlosse­nen Grenzen wäre Europa am Ende: „Wir müssten doch einen Zaun rund um Deutschlan­d ziehen und die Bundeswehr mit aufgepflan­ztem Bajonett an die Grenze stellen“, sagte Gabriel beim SPD-Parteitag im Dezember.

In einem Interview betonte der SPD-Chef damals, die Kanzlerin und er selbst hätten das gleiche Konzept: Außengrenz­en sichern und Kontingent­e nach Deutschlan­d holen. Als eine Kontingent­lösung am Widerstand der EU-Partner scheiterte, arbeitete SPD-Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier maßgeblich am Zustandeko­mmen des umstritten­en Flüchtling­spakts mit der Türkei mit.

Für Gabriel dürfte ein Wahlkampf gegen die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin damit nicht einfach werden.

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SPD-Chef Sigmar Gabriel: Ein Wahlkampf gegen die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin dürfte für die Sozialdemo­kraten nicht einfach werden.

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