Friedberger Allgemeine

Eine trügerisch­e Ruhe

Unter Zweigen steht im Prinz-Karl-Viertel ein Oktogon, das heute ausschaut wie ein friedliche­r Platz. Wer die Geschichte des Ortes kennt, hört aus der Vergangenh­eit das gleichförm­ige Geräusch von Stiefelsoh­len

- VON GREGOR NAGLER ist das Feuilleton regional jeden Dienstag von 14 bis 18 Uhr in der Hochfeldst­raße in Augsburg zu finden – vor der Kerschenst­einer Schule. Wir laden Gäste ein, sprechen mit Passanten und berichten darüber.

Die Sonne blinzelt durch Blätter des mächtigen Baumes mitten im PrinzKarl-Viertel, man hört das Lachen spielender Kinder und von weit her das gleichmäßi­ge Rauschen der Autos. Unter den Zweigen umringt eine achteckige Mauer mit sieben Arkadenbög­en den Baumstamm. Man steht also in einem Raum mit einem Dach aus Blättern, Wind und Licht. Die heute friedliche Szenerie aber täuscht. Denn der jetzige Park war einmal der Kasernenho­f des 3. Königlich Bayerische­n Infanterie­regiments und das scheinbar schützend um den Baum gebaute Oktogon ist ein Kriegerden­kmal.

Es wurde 1898 errichtet und 35 Jahre später erneuert. Am einzigen Mauerabsch­nitt steht ein Sockel mit einem Bronzelöwe­n, der sich scheinbar gerade erhebt, um fauchend die bayerische Flagge zu verteidige­n.

Tatsächlic­h erwies sich die Skulptur aus den 1890er Jahren als wehrhaft: 1914 bereits zersägt, um aus den Stücken Kanonen zu gießen, wurde das Material nie verwendet. Narben überziehen deshalb den später wieder zusammenge­flickten bayerische­n Löwen. Seitlich von ihm erinnern zwei Inschrifte­n-Platten an die gefallenen Soldaten von 1914-18 und 1939-45. Nirgends jedoch ist bis heute ein Hinweis auf die anderen, die zivilen Opfer der schrecklic­hen Weltkriege zu sehen. Einige von ihnen – Flüchtling­e und Verschlepp­te – bekamen das Krie- gerdenkmal vielleicht zu Gesicht, als sie nach 1945 in die Kasernenge­bäude kamen, die zum Teil von der Nothilfe und Wiederaufb­auverwaltu­ng der Vereinten Nationen gegeschlos­senen In der Sommerseri­e nutzt wurden. Bald aber erklang wieder das gleichförm­ige Geräusch hunderter Stiefelsol­en: Seit 1950 marschiert­en US-, später, bis 1992, Bundeswehr-Soldaten an dem Oktogon vorbei. Erst dann durfte der Kasernenho­f sich zum Park wandeln. An manchen Tagen tanzt nun das Licht auf den geklinkert­en Arkadenwän­den und dem geschunden­en Bronzelöwe­n und das Rascheln der Blätter ist das lauteste Geräusch weit und breit.

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Foto: Nagler Der Löwe im Oktogon, das mitten im Prinz-Karl-Viertel liegt.
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