Wenn niemand fahren kann, fährt eben Theo
Für Menschen, die nicht mehr mobil sind, gibt es in Todtenweis einen Fahrdienst. Walter Schneider ist einer der Ehrenamtlichen, die die Leute ans Ziel bringen
Todtenweis Walter Schneider schiebt den Einkaufswagen durch die engen Gänge eines Aindlinger Supermarkts. Er bleibt vor dem Regal mit Tiernahrung stehen. Schneider nimmt einen Karton mit 20 Dosen Katzenfutter und packt ihn in den Wagen. Er überlegt kurz und nimmt dann noch einen. „Brauchen Sie auch noch Katzenstreu?“, fragt der 68-Jährige. Anna Betzmeir kommt um die Ecke. „Ja nehmen sie welches mit“, sagt sie, verschwindet wieder zwischen den Regalreihen und arbeitet ihre Einkaufsliste ab. Vor dem Kühlregal treffen sie sich wieder. Die 78-jährige Betzmeir aus dem Todtenweiser Ortsteil Sand ist auf der Suche nach einer Margarine mit Butter. Doch es gibt keine. „Die brauche ich unbedingt“, sagt sie. Die beiden müssen zu einem anderen Supermarkt. „Wenn wir schon unterwegs sind, dann können wir auch gleich alles besorgen“, sagt Schneider. Von Ungeduld oder Hektik keine Spur.
Er ist einer von 13 Fahrern einer Todtenweiser Initiative, die Menschen unterstützt, die von alleine nicht mehr ans Ziel kommen könnten. Dabei wird Schneider von Theo unterstützt, einem silberfarbigen VW-Caddy. Seit Februar 2015 ist Theo auf den Straßen rund um Tod- tenweis unterwegs. Entstanden ist der Fahrdienst aus dem Projekt „Marktplatz der Generationen“des Freistaats. Dafür hat die Gemeinde 2012 zusammen mit neun anderen Gemeinden den Zuschlag bekommen. Zwei Teile des Projekts wurden seitdem in Todtenweis umgesetzt: der Fahrdienst und die „Taschengeldbörse“. Dabei können Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren für mindestens fünf Euro pro Stunde Arbeiten für ältere Menschen übernehmen. Rasenmähen oder Unkraut jäten zum Beispiel. Für Petra Wackerl, Dritte Bürgermeisterin und Mitorganisatorin des „Marktplatzes der Generationen“steht aber der Fahrdienst „an vorderster Front“. Und das hat sich ausgezahlt, wie sie sagt. Denn seitdem Theo vor anderthalb Jahren an den Start ging, gab es insgesamt um die 400 Fahrten. „Wenn es Theo nicht mehr geben würde, wäre das inzwischen furchtbar“, sagt die Dritte Bürgermeisterin.
Was sie damit meint: Theo bringt die Todtenweiser nicht nur ans Ziel, für sie ist er auch Treffpunkt. Wie für Anna Betzmeir. Sitzt sie neben Walter Schneider im Auto, erzählt sie: Über das Wetter, was sie sich gestern im Fernsehen angeschaut hat und welche Neuigkeiten es von den Nachbarn gibt. Schneider weiß ganz gut über ihr Leben Bescheid. Kein Wunder: „Für viele ist der Tag, an dem sie gefahren werden, der schönste der Woche“, sagt er. Er lebt selbst in Sand. Die Beziehung zwischen ihm und seinen Kunden ist „fast schon freundschaftlich“. Oft haben sie sonst niemanden mehr, mit dem sie sich unterhalten könnten. Geschweige denn jemanden, der ihnen beim Einkauf hilft. Was Schneider dafür von Betzmeir bekommt: eine Wurstsemmel und eine Tafel Schokolade. Die Fahrer arbeiten ehrenamtlich. Sie sind alle selbst Rentner. Betzmeir gibt ihm aber auf jeder Fahrt etwas aus. „Sie ist sehr spendabel“, sagt er. Die Semmel holt er sich an der Wursttheke des zweiten Supermarktes, während die 78-Jährige einkauft. Das kann sie selbstständig tun, sie ist geistig topfit. Nur selber fahren oder schwer heben, das geht nicht mehr.
Während Schneider auf die Semmel wartet, erzählt er: „Nicht jeder will aber, dass ich mit in die Läden gehe.“Stattdessen bleibt er dann im Auto sitzen und wartet. Haben seine Fahrgäste einen längeren Termin, kann er das Auto in der Zeit privat nutzen.
30 Cent kostet die Passagiere der Kilometer mit Theo. Die meisten zahlen am Ende um die drei Euro, weil sie oft nur in die Nähe müssen. Drei Euro dafür, dass sie mit den Theo-Fahrern mindestens eine, häufig zwei Stunden unterwegs sind. Das ist nicht viel. Petra Wackerl weiß das. Sie sagt: „Kostendeckend ist der Fahrdienst nicht, wir müssen ihn bezuschussen.“Das sei aber zwingend notwendig, da die Gemeinde ihre Bürger unterstützen wolle. Es gebe immer mehr ältere Leute in Todtenweis. Außerdem haben sich die Leute zu sehr an Theo gewöhnt, sein Einsatz läuft jetzt unbefristet.
Zu Beginn habe es Berührungsängste gegeben, wie Wackerl erzählt: „Viele haben am Anfang gesagt: ‚den Theo brauche ich nicht’. Dann sehen sie aber, dass die Nachbarin mit ihm fährt und plötzlich wollen sie auch.“Besonders die Männer seien am Anfang skeptisch gewesen und schämten sich, auf Theo angewiesen zu sein, erklärt Walter Schneider. „Manche haben sich sogar bei mir entschuldigt, wenn sie mitgefahren sind.“Es sind nicht nur ältere Leute, die den Fahrdienst beanspruchen. Auch junge Menschen, die verletzt sind, können sich von Theo chauffieren lassen.
Schneider war sich zunächst auch nicht sicher, ob er überhaupt fahren will, als ihn eine Nachbarin auf das Projekt aufmerksam machte. Den ganzen Tag im Auto sitzen, das konnte er sich nicht so recht vorstellen. Deshalb schlug er vor, nur halbtags am Steuer zu sitzen. „Dann hätten wir aber an dem Tag immer zwei Fahrer gebraucht“, sagt er. Er hat es ganztags ausprobiert. Über eineinviertel Jahre ist das nun her. Ihm gefällt es, dass er mit Leuten in Kontakt kommt, die er sonst nur namentlich kennt. Er merkt jedes Mal, dass es seinen Fahrgästen gefällt, wenn er kommt. „Man opfert zwar immer einen Tag, aber ich freue mich jedes Mal darauf.“
Die Fahrer wechseln sich täglich ab, alle zwei Wochen ist er an der Reihe. Immer mittwochs von 8 bis 17 Uhr ist er unterwegs. Benötigt ein Todtenweiser Theo, kann er das zwischen 17 und 19 Uhr am Tag davor telefonisch anmelden. Dann vermittelt ihm eine von acht „Callgirls“einen Termin. Erreichbar sind sie unter 0151/55933521. Eine dieser Frauen ist Walter Schneiders Ehefrau Brigitta. „Wir haben dafür ein Diensthandy, unter dem wir dann zwei Stunden täglich erreichbar sind“, erklärt sie. Anschließend wird das Handy an die Nächste weitergegeben. Wohin es gehen soll, entscheidet der Passagier, Grenzen sind ihm kaum gesetzt. Der Großteil will zwar nur rund um Todtenweis gebracht werden, Touren nach Augsburg gebe es aber auch. Doch nicht nur die Mitfahrer hätten von dem Projekt profitiert, erklärt Brigitta Schneider: „Im Team sind auch Freundschaften entstanden.“
Nach dem Einkauf ist ihr Mann vor Anna Betzmeirs Haus angekommen. Draußen warten schon ihre Katzen auf ihr Futter. „Frau Betzmeir ist eine Katzen-Närrin“, sagt Schneider. Er holt die Lebensmittel aus dem Caddy und bringt sie in Betzmeirs Wohnung. Für ihn selbstverständlich. Er fragt, ob es noch etwas zu tun gibt. „Nein, nein“, sagt Betzmeir. Was sie vom Fahrdienst hält? „Super. Ganz super. Nichts auszusetzen. Mit dem Herrn Schneider kann man alles machen.“Und: „Todtenweis ist da schon ein Vorbild.“Das findet auch Petra Wackerl. Viele andere Gemeinden seien schon auf sie zugekommen und hätten gefragt, wie das mit dem Fahrdienst funktioniere. Sie sei „schon ein bisschen stolz“, dass es Theo jetzt seit anderthalb Jahren gibt, sagt sie. Walter Schneider ist auch zufrieden mit seiner Tätigkeit. Nur eine Sache, die würde er gerne ändern: Die meisten Leute wollen vormittags gefahren werden, obwohl nachmittags viel Zeit wäre. „Aber da läuft ’Sturm der Liebe’. Das wollen sie nicht verpassen.“
„Man opfert zwar immer einen Tag, aber ich freue mich jedes Mal darauf.“Walter Schneider